Kapitel VIII

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     »In the dawn's first light, you are the one who breaks the silence, you are the one who brings the dawn. Oh, Odonata, won't you tell me where you go? Oh, Odonata, won't you show me what you know?«  Textpassage aus dem Lied »Odonata, A Song for The Dragonfly« von der Band »Yaima«

     Wir passierten den Eingang zum Konzertbereich, der jetzt von einer dichten Menge belagert wurde. Menschen schoben sich von allen Seiten, bunte Lichterketten spannten sich über die Köpfe hinweg, Foodtrucks reihten sich entlang des Weges, und die Luft war erfüllt vom Duft nach gegrilltem Essen, frisch gebrühtem Kaffee und... Marihuana?! Eine kräftige Wolke drang zu mir durch, und ich musste unweigerlich husten.

     »Kommt ihr?«, rief Lily hinter mir, während sie sich an Tyler klammerte und sich durch das Gedränge in Richtung Hauptbühne schob. Fast hätte ich den Anschluss verloren...

     Ich folgte ihnen, Noah dicht hinter mir, gefolgt von Chris, doch meine Gedanken waren woanders. Mein Blick wanderte immer wieder suchend durch die Menge. Was, wenn Jaxon hier war? Mist, ich hoffte inständig, ihm nicht jetzt über den Weg zu laufen...

     Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung an meiner Seite. Chris war auf einmal neben mich getreten. Ich zuckte leicht zusammen.

     »Ich dachte, ich bleib lieber bei dir...«, sagte er mit einem aufgesetzten Lächeln, das nicht zu seiner steifen Haltung passte. »Hier ist es ziemlich wild. Aber wenn es uns hier nicht gefällt, können wir ja zusammen abhauen.«

     Seine Worte klangen beiläufig, aber der unterschwellige Ton entging mir nicht. Ein Gefühl der Beklemmung machte sich in mir breit, während ich versuchte, meine Anspannung zu verbergen. »Ja, klar...«, murmelte ich, suchte aber verzweifelt nach einem Weg, ihm zu entkommen. Argh, wie sollte ich jetzt alleine abhauen?!

     Das Gedränge wurde dichter, die Atmosphäre intensiver, voller Vorfreude. Menschenmassen drängten in alle Richtungen. Ich hatte gehofft, mich irgendwie davonzuschleichen, aber das schien jetzt unmöglich... nicht, solange Chris bei mir war. Tyler bahnte uns den Weg, bis wir schließlich einen Platz kurz vor der Bühne fanden. Es war eng, die Menschen drängten sich dicht an dicht, aber immerhin konnten man noch gut die Bühne sehen.

     Lily stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe hinwegzuschauen. »Zum Glück haben wir so gute Plätze!«, rief sie begeistert und drückte Tylers Hand. »Aber keine Spur von Jaxon und seine Freunden!«

     Jaxon... 

     Nervosität überkam mich bei ihren Worten. Ich zwang mich, mich auf das Konzert zu konzentrieren, aber meine Gedanken schwirrten unaufhörlich. Immer wieder wanderte mein Blick durch die Menge. Jaxon war nirgendwo zu sehen, was mich ein wenig erleichterte... aber warum machte ich mir überhaupt solche Gedanken? Es war nur doch nur ein Typ auf einem Festival, nichts weiter. Trotzdem konnte ich das Kribbeln in meinem Bauch nicht abschütteln, das sich plötzlich bemerkbar machte...

     Chris, der immer noch dicht an meiner Seite war, schien meine Unruhe zu bemerken. »Alles okay?«, fragte er und sah mich prüfend an.

     Wieder zwang ich mich zu einem Lächeln. »Ja, klar. Nur ein bisschen heiß hier. Sonst nichts...«

     Chris schnaubte leise und sah sich in der Menge um. »Tja, Festivals sind eben nicht für jeden was. Vielleicht sollten wir doch zu einer anderen Band gehen, wenn es dir hier nicht gefällt...« Er gab einfach nicht auf, was?

     Die unterschwellige Bemerkung war deutlich, aber ich entschied mich, nicht darauf einzugehen... Ich seufzte leise und schaute zur Bühne. Die Band hatte noch nicht angefangen zu spielen, aber ich wünschte mir nun, dass sie endlich loslegten - einfach, um Chris Kommentare auszublenden. Vielleicht konnte ich mich doch noch irgendwie davonschleichen und mich auf das konzentrieren, weshalb ich eigentlich hier war: die Musik.

     Die Menge tobte, als die tiefen Bässe des Konzerts plötzlich durch die Luft dröhnten. Die Menschen rissen ihre Arme hoch und jubelten, während die Lichter auf der Bühne grell aufblitzten. Ich versuchte, einen Überblick zu bekommen, aber es war chaotisch. Chris stand immer noch dicht neben mir und versuchte, einen Arm um mich zu legen. Doch ich wich ihm geschickt aus, ohne dass es zu auffällig wirkte. Mein Blick wanderte rastlos über die Menschenmassen - suchend nach Noah, der eine Reihe hinter mir stand. Meine Rettung! Er lächelte mir zu. Vielleicht konnte ich mich zu ihm stellen, weg von Chris, weg von dem ganzen Durcheinander in meinem Kopf...

     »Hey, schau mal!«, rief Lily plötzlich aufgeregt, und Tyler hob sie hoch, damit sie einen besseren Blick auf das Geschehen hatte. »Da vorne ist Jaxon!«

     Mein Herz setzte für einen Moment aus. Reflexartig suchte ich die Menge ab - und da war er: Jaxon stand nur wenige Meter entfernt, links von uns, lachend und umgeben von einer Gruppe von Freunden - und zwei hübschen Mädchen... Eines von ihnen stand dicht neben ihm, lachte mit ihm, und sie wirkten...  vertraut. Viel zu vertraut. Er hatte sie im Arm. Ein Stich durchzuckte mich, unerwartet und schmerzhaft. War das... Eifersucht?! Warum fühlte ich das?

     Ich konnte nicht glauben, dass es mich so traf. War es die Erkenntnis, dass ich tatsächlich eifersüchtig war? Oder die Tatsache, dass Jaxon doch genau die Art von Typ zu sein schien, vor der ich mich immer gefürchtet hatte: ein Player, der mich nur verarscht hatte! Trotz meines Schwurs, dass er mir egal sein sollte, fühlte ich mich verletzt. Tief verletzt... Jetzt, wo ich ihn so lachend mit diesen Mädchen sah, fühlte ich mich... bedeutungslos. 

     »Jaxon!«, rief Lily und winkte hektisch. Nein, Lily! 

     Jaxon hörte ihren Ruf, schaute auf und winkte ihr zu. Dann wanderte sein Blick zu mir, als Lily ein Handzeichen in meine Richtung machte.

      Er entdeckte mich in der Menge und lächelte, während er mir zuwinkte. Doch ich konnte nur zögerlich zurückwinken. Mein Lächeln war kühl und unsicher, meine Gedanken immernoch bei diesem ... Mädchen. Genau in diesem Moment spürte ich, wie Chris es schaffte, seinen Arm um mich zu legen. Ich konnte den Blick von Jaxon nicht abwenden und sah, wie sein Lächeln für einen winzigen Moment erstarrte, als er Chris Arm bemerkte. Verdammt!

      Eine verzerrte Gitarre riss plötzlich durch die Boxen, und die Menschen sprangen auf, tanzten und jubelten. Im Getümmel verlor ich Jaxon aus den Augen. Frustriert versuchte ich, noch einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen, aber er war verschwunden. Chris blieb dicht an meiner Seite, doch ich konnte seine Nähe nicht länger ertragen. Was sollte diese Aktion?! Ich fühlte mich eingesperrt, überwältigt von all den Gedanken, die in meinem Kopf kreisten. Chris hatte eindeutig eine Grenze überschritten. Meine Grenze!

      »Ich... ich muss aufs Klo«, rief ich Noah und Chris zu, über den Lärm des Konzerts hinweg, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich löste mich von Chris Umarmung und sah nicht zurück. Der Moment, als das Schlagzeug der Band einsetzte, bot mir die perfekte Gelegenheit, mich durch die tobende Menge zu schlängeln. Vorbei an den Menschen... Ich wollte einfach nur noch weg hier!

     Endlich hatte ich etwas Abstand. Mein Herz raste, und ich wusste nicht, ob es von der Musik, den Menschen oder den widersprüchlichen Gefühlen in mir kam... Wie hatte ich nur so naiv sein können? Natürlich interessierte sich Jaxon nicht wirklich für mich! Was hatte ich mir nur gedacht? Diese Mädchen, die er um sich hatte, waren viel schöner, selbstbewusster... 

     Und ich? Ich war nur die verwirrte, unsichere, verpickelte Harper, die sich fest vorgenommen hatte, nach Liam nie wieder jemanden so nah an sich heranzulassen. Und doch... Jaxon hatte etwas in mir berührt, das ich lange tief in mir vergraben glaubte. Aber: Wie... dumm war ich nur gewesen? 

     Mit jedem Schritt in Richtung des Ausgangs kämpfte ich gegen die aufkommenden Tränen an. Die kühle Luft von draußen traf mich, als ich endlich aus der tobenden Menge heraustrat, und ich wischte mir hastig über das Gesicht, doch die Tränen ließen sich nicht mehr aufhalten. Sie kullerten unaufhaltsam über mein Gesicht...

      Verdammt Harper, wieso heulst du wegen diesem Typen?!

Als der Regen fielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt