Kapitel 3 - Vom Wahnsinn jenseits unserer Welt (deutsch)

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Das gottverfluchte Kästchen beginnt mit ihr zu kommunizieren. Es tut das nicht, indem es mit ihr spricht. Kleine Papierschnipsel erscheinen wie aus der Luft herbeigezaubert, und es dauert eine Weile, bis sie versteht, dass es das Kästchen ist, das ihr damit eine Richtung andeutet. Viele kleine Hinweise nach irgendwo hinein ins Unbekannte.

Sie braucht eine halbe Stunde, um bis zum „Propheten" zu kommen. Sie schickt dem Mann mit dem dunkelblauen Mantel, Haythorne, eine Nachricht, wo sie hingeht. Als sie aus der U-Bahn kommt, fängt es wieder an zu regnen, und dieses Mal ernsthaft, schwere Wolken, die vom Meer her aufziehen. Noch vor dem eigentlichen Sonnenuntergang fällt die Welt in Dunkelheit. Sie erinnert sich an den Mantel, den der Mann – Haythorne! – ihr gegeben hat.

„Warum sollte ich den brauchen?", hat sie gefragt.

„Reine Erfahrung", war seine Antwort. „Gemessen daran, dass wir beide nicht mehr so schnell sind, wie wir es einmal waren." Er brauchte nicht auf ihre jeweils angeschlagenen Beine hinzuweisen.

Sie hat den Mantel eingepackt, ohne wirklich zu glauben, dass sie ihn einmal brauchen würde. Jetzt ist es soweit. Er hat eine rostbraunen Farbe, wie sie unschwer feststellt, als sie ihn von unter ihrer Messenger Bag losschnallt und ausschüttelt. Ein rostbrauner Mantel, und er wirkt ein wenig zu weit, und warum überrascht sie das nicht?

Der „Prophet" lebt in einer Seitengasse abseits der 42. Straße. Müllcontainer stehen hier, und es riecht muffig und abgestanden trotz des Regens. Es gibt es einen überdachten Eingang, an dem früher vielleicht Lastwagen entladen wurden und der einen gewissen Schutz bietet. Und hier findet sie tatsächlich den „Propheten", einen Mann von vielleicht fünfzig Jahren, obwohl sich das schwer einschätzen lässt, mit weißem Bart, runder Brille und Tweet-Mantel, der dort auf einem Schlafsack sitzt.

„Warum hier?", fragt sie ihn.

Er steht auf, streicht sich den Mantel glatt. Er ist kleiner, als sie es angenommen hat. „Müll", sagt er, „ist tot." Als wäre das eine Erklärung für was auch immer.

Ihr Smartphone vibriert, eine SMS, die hereinkommt. Haythorne. Gut, steht da. Aber gehen Sie auf keinen Fall alleine weiter. Warten Sie auf mich.

Sie holt das Kästchen heraus. Vorsichtig. Ganz vorsichtig.

Der Mann, der „Prophet", macht zwei Schritte zurück. Starrt es an.

„Niemand will mit mir darüber reden," sagt sie. „Ich muss es zurückbringen."

„Mutig", entgegnet er. „Aber völlig sinnlos. Die großen Mysterien jenseits unserer Welt. Sie werden nicht damit zurechtkommen."

Irgendwie bringt sie das aus der Fassung. Sie hat weiß Gott genug mitgemacht. „Bei allem Respekt, Sie wissen einen Scheiß über mich."

Er mustert sie aus sehr kleinen Augen, und zum ersten Mal ist da etwas, das sie erschreckt. Seine Augen sind alt und kalt, wie fremde, unendlich entfernte Sterne. Es gefällt ihr gar nicht. Dann scheinen ihm zum ersten Mal die Bandagen und Schienen um ihr Bein herum aufzufallen, dort, wo der Mantel diese nicht ganz verdeckt.

„Ein Ritter?", sagt er, als würde er es selbst nicht glauben.

Es klingt so abwegig und so befremdlich, und trotzdem fällt ihr eine Erwiderung ein, ohne dass sie lange darüber nachdenken muss. „Der Tod", sagt sie, als würde sie ihn korrigieren. „Das Kästchen bringt den Tod."

Er geht nicht darauf ein. „Er hat es mitgebracht, nicht wahr? Der Mann, der im letzten Herbst hier war. Der Mann aus dem Museum."

Sie nickt nicht einmal.

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