"Jadoo, was sollen wir tun?"
Erwartungsvolle Blicke lagen auf der alten Dame, die mit verschlossenen Augen auf ihrem Schaukelstuhl saß und ein leises Seufzen von sich gab. Ihr hölzerner Schaukelstuhl wippte vor und zurück, während sie in ihrer eigenen Gedankenwelt gefangen war. Es dauerte, bis sie endlich zum Sprechen ansetzte.
"Ich weiß es nicht."
Eine niederschmetternde Antwort. Jadoo spielte gedankenverloren mit ihren Fingern, zupfte an deren Kuppen und öffnete die trüben Augen, die verrieten, dass ihre Sicht mittlerweile zu wünschen übrigließ. Kein Wunder. Die Gründerin der Solis war mittlerweile über achtzig Jahre alt.
Es herrschte eine unangenehme Stille im Raum. Einige der älteren Solis hatten sich in Jadoos kleiner Hütte am Stadtrand versammelt, nachdem es zu unerfreulichen, nahezu beängstigenden, Neuigkeiten gekommen war. Ein Anschlag. Es hatte einen Anschlag auf den örtlichen Marktplatz gegeben. So nannten sie das Feuer, welches in der letzten Nacht auf dem Marktplatz gelegt wurde.
"Es war nur ein einfaches Feuer. Sowas kommt in den umliegenden Städten immer wieder vor. Wieso regen wir uns also auf?" warf ich fragend in die Runde.
"Wir regen uns auf, weil man direkt am Schwarzen Brett einen Zettel gefunden hat, der mit dem Feuer in Zusammenhang gebracht wird!" Crystal, eine ältere Dame, schnappte sich ihre Handtasche und wühlte in dem darin herrschenden Chaos herum, um anschließend eine zerknitterte Zeitung in die Luft zu halten. Die Schlagzeile auf dem Titelbild sprang mir direkt ins Auge.
Die Hexen zurück in Salem?! Plötzliches Feuer und eine rätselhafte Nachricht!
Unter der irreführenden Schlagzeile wurde ein Foto von dem gelegten Feuer abgebildet. Direkt daneben war der besagte, rätselhafte Zettel zu sehen. In feinster Schrift - wobei bunte Buchstaben, ausgeschnitten aus einem Prospekt oder Comicbuch, besser gepasst hätten - geschrieben, ließ sich Rätselhaftes erlesen.
Gruß, die Nachfahren derjenigen, die ihr nicht verbrennen und vertreiben konntet. Möget ihr fühlen, wie ihr sie einst fühlen ließet.
~ M
"Das könnte uns auffliegen lassen! Wir wissen wohin das führen kann!" keifte Crystal mit ihrer schrillen, unerträglichen Stimme, während sie die Zeitung auf den Tisch knallte. Sie strahlte eine Mischung aus Panik und Zorn aus, sie zitterte und ballte die Fäuste, wippte nervös mit dem Fuß. Die Dame war ein wirkliches Wrack. Einerseits konnte ich ihre Panik verstehen, andererseits wusste ich aber auch, wie sehr sie zur Überdramatisierung neigte.
"Reg' dich ab. Vielleicht interpretieren wir da viel zu viel hinein und die Zeitung sowieso. Die suchen doch immer nach Schlagzeilen und übertreiben gerne. Wahrscheinlich steckt da nur ein Kinderstreich hinter. Eine Mutprobe oder so. Es ist Oktober, bald ist Halloween, da erlauben sich die Jugendlichen doch immer irgendeinen Mist, um ihrem Umfeld Angst zu machen."
Ja, das klang relativ logisch für mich. Leider schien es aber nicht so, als würde es Crystal beruhigen. Nein, eher schien es sie noch mehr in Ekstase zu versetzen.
"Hah!" Sie prustete lauthals los und erntete ein paar genervte Blicke. Manche rollten mit ihren Augen, ich musste mir ein genervtes Stöhnen verkneifen. Unsere Dramaqueen erfreute sich nicht der größten Beliebtheit und wir machten uns auch nicht immer die Mühe, um das zu verbergen. Dennoch gehörte sie irgendwie dazu und sie wurde geduldet. "Eine Mutprobe?! Ein Streich?! Ja, so einfach kann man es sich auch machen! Dieser Zettel, dieses Feuer..." Sie tippte mit ihren langen Fingernägeln auf das Foto. "...sind der eindeutige Beweis, dass es sich hier um einen Anschlag von einer oder mehreren Hexen handelt!"
"Ach bitte, jetzt übertreib' doch nicht! Hast du etwa schon wieder dein Johanniskraut vergessen?" Himmel, ging diese Frau mir so manches Mal auf die Nerven. Im Mittelalter wäre sie zuerst verbrannt worden. Nicht, weil man sie für eine Hexe hielt, sondern, weil sie einfach wahnsinnig war. "Das sind keine Beweise. Das ist einfach nur ein Scherz."
Gerade drohte Crystal aus der Haut zu fahren, da hallte die strenge Stimme meiner Großmutter Jadoo durch den Raum. "Schluss jetzt!" Crystal schluckte ihren Zorn und ihre Antwort herunter. Nicht einmal sie wagte es, sich den Befehlen meiner Großmutter zu widersetzen.
"Wir können uns jetzt verrückt machen oder aber einfach abwarten und schauen, was sich noch ergibt. Womöglich hat Willow Recht und es handelt sich um einen einfachen Scherz. Und wenn nicht, dann wird es nicht der einzige Anschlag bleiben. Malen wir nicht den Teufel an die Wand. Die Medien haben schon zu meiner Zeit immer übertrieben", seufzte die alte Dame, die sich zuvor selber beinahe von der Panik der anwesenden Solis mitreißen lassen hatte, jetzt aber so souverän wie immer wirkte.
"Erinnert ihr euch noch an die Horrorclowns, die seit Jahren während der Halloweenzeit in sämtlichen Staaten auftauchen? Wahrscheinlich wurde es den Jungen zu langweilig, weshalb sie sich etwas Neues einfallen lassen haben."
Ich hoffte, dass ich Recht behielt. Großmutter hatte, gemeinsam mit den älteren Hexen, damals in den Zwanzigern hart darum gekämpft die Solis aufzubauen, um sich nicht mehr in den Wäldern, fernab der Zivilisation, verstecken zu müssen. Sollte hinter dem Feuer wirklich eine - oder mehrere - Hexe stecken und sollten die Medien, die normalen Menschen, dahinterkommen, wäre womöglich alles für die Katz gewesen. Zwar konnte ich nicht verstehen, weshalb man sich ein Leben zusammen mit den Menschen wünschte, aber ich hatte die Zeit in den Wäldern auch selber nicht mehr miterlebt. Ich war die dritte Generation, die zusammen mit den Menschen lebte, daher kannte ich es nicht anders.
"Gut", schnaubte unsere Dramaqueen und erhob sich von der Couch. "Dann warten wir ab. Einen schönen Abend noch." Somit machte Crystal auf dem Absatz kehrt, eilte zur Tür und verließ die Hütte. "Hach, wir lieben sie ja", nuschelte ich leise vor mich hin, schenkte dem Ganzen aber keine weiteren Worte.
Die übriggebliebenen Damen unterhielten sich noch mit meiner Großmutter. Angesteckt durch die Panikmache Crystals ließen sie sich beruhigende Worte von der Ältesten zukommen, um beruhigt den Heimweg anzutreten und ihrem Rat, dass wir einfach abwarten sollten, nachzugehen. Stück für Stück leerte sich die kleine Hütte meiner Großmutter, mit der ich alleine zurückblieb.
"Ich werde zu alt für die Launen dieser Dame." Ich schmunzelte bei ihren Worten und tätschelte sachte ihren Arm. "Wir würden es vermissen, wenn sie nicht mehr so wäre."
"Da hast du wohl recht, meine Liebe. Musst du aber nicht auch langsam nach Hause?" "Ja schon. Ich mache dir noch einen Tee, dann solltest du dich auch langsam ins Bett legen. Es ist schon spät."
"Und die Jüngste bin ich auch nicht mehr", krächzte sie. Ich lachte, stand auf, um heißes Wasser für einen Baldriantee aufzusetzen. Den trank sie immer, wenn sie zu Bett gehen wollte. Er wirkte beruhigend und das brauchte sie nach dem unangekündigten Besuch der Damen. Nach außen hin ließ sie es sich zwar nicht mehr anmerken, aber ich bemerkte ihre innere Unruhe und das leichte Zittern ihrer Finger, die sie ineinander verschränkt auf ihrem Bauch abgelegt hatte.
Nachdem ich ihr ihren Tee serviert und sie anschließend in Richtung ihres Schlafzimmers begleitet hatte, verabschiedete ich mich mit einem Kuss auf ihre Wange und einer herzhaften Umarmung von ihr. "Wir sehen uns morgen bei der Arbeit. Schlaf gut, Oma."
"Bis morgen, mein Kind. Komm' gut nach Hause."
Ein letztes Mal für diesen Abend lächelte ich ihr zu, ehe auch ich mich in die Dunkelheit der Herbstnacht begab, um meinen Heimweg anzutreten.
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Binding Shadows
FantasySeit ihrer Geburt lebt die Junghexe Willow im verschlafenen Salem. Gemeinsam mit ihrer Großmutter Jadoo, die Gründerin des Solis-Zirkel, führt sie einen kleinen Tee- und Kräuterladen, der die erste Anlaufstelle sämtlicher Hexen darstellt. Das sie H...