Kapitel 3: Eine Seltsame Freundschaft

7 0 0
                                    

Die folgenden Tage schlichen still an mir vorbei, als hätte jemand den Lebensrhythmus gedämpft und meine Existenz in eine graue, unbestimmte Zwischenwelt getaucht. Ich kämpfte mich durch die Jobsuche, eine Pflicht, die mittlerweile wie ein schwermütiges Ritual wirkte. Die Gelegenheitsarbeiten, die ich annahm, entglitten mir fast genauso schnell, wie sie gekommen waren. Jeder Abend endete gleich, immer wieder kehrte ich in mein leeres Apartment zurück. Doch dort wartete Merle, meine flauschige Perserkatze und zugleich mein treuster Begleiter. Ihr anklagendes, ja forderndes „Miau!" schien eine leise Anklage an mein fernes Dasein zu sein. Sie dirigierte mich auf die Couch, und als ich saß, sprang sie mit der Anmut eines Miniaturtigers auf meinen Schoß, rollte sich dort zusammen und ließ ein leises Schnurren erklingen. In ihrer Wärme fühlte ich einen winzigen Funken Trost.

Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - tauchte Emma immer wieder in meinen Gedanken auf. Sie war zu einem leisen, aber beständigen Echo geworden, das in den stillen Momenten zwischen zwei Atemzügen erklang. Ihre Energie, diese faszinierende Lebendigkeit, strahlte eine fast unwirkliche Leichtigkeit aus, die so sehr im Kontrast zu meiner eigenen Schwere stand. Doch wie oft ich auch in die Erinnerung an ihre Art, ihr sorgloses Lachen, abdriftete, die Realität hielt mich in einem festen Griff und zerrte mich zurück in den zähen Alltag. Es war, als könne das Bild von Emma und der unüberwindbare Ernst meines Lebens nicht im selben Raum existieren.

Ein paar Tage nach unserem ersten Treffen im Park verspürte ich erneut den Drang, dorthin zurückzukehren. Der Herbst hatte inzwischen Einzug gehalten, und in Los Angeles zeigte sich das durch die schwerere, kühle Luft und die zunehmende Unbeständigkeit des Wetters. Die Bäume hatten schon die ersten Blätter verloren, und überall schien eine Art Vergänglichkeit zu liegen, wie ein stiller Hauch, der mich daran erinnerte, dass alles im Wandel war - auch mein Leben, das sich unmerklich, aber unausweichlich veränderte.

Als ich zum See kam, fiel mein Blick sofort auf eine vertraute Silhouette auf meiner Bank. Emma saß bereits da, ein Buch aufgeschlagen auf ihren Knien, während ihr Blick verträumt über die Wasseroberfläche wanderte. Sie bemerkte mich, hob ihren Kopf und strahlte mit dieser unbekümmerten Energie, die mich zugleich amüsierte und irgendwie überforderte. Sie winkte mir zu und klopfte einladend auf die Bank neben sich.

„Samuel Sam!" rief sie lachend und ließ ihre Stimme durch die kühle Luft hallen. Als wäre unser vorheriges Treffen der Auftakt zu einer tiefen Vertrautheit gewesen, die sich nur darauf wartete, weiterzuwachsen. In ihrer heiteren Offenheit lag eine Ernsthaftigkeit, die mich ungewollt in ihren Bann zog, und ich setzte mich langsam neben sie. Ein sanftes Gefühl der Vertrautheit überkam mich, als wären wir alte Bekannte, die da weitermachten, wo sie aufgehört hatten.

„Emma, Emma Rogen," antwortete ich, um ihren humorvollen Ton vom letzten Mal aufzugreifen. Sie lachte erneut und schlug mir spielerisch auf den Arm. Dieses kleine Ritual, das ich mit niemandem teilte, brachte etwas wie Wärme in mein Inneres.

„Ich wusste, dass du wiederkommst!" sagte sie und strahlte dabei, als wäre dies die selbstverständliche und unumstößliche Wahrheit. „Der See hat einfach eine gewisse Anziehungskraft, oder nicht?" Ich nickte und wollte schon etwas Floskelhaftes erwidern, doch spürte, dass sie auf etwas Tieferes hinauswollte.

„Was machst du eigentlich hier jeden Tag?" fragte sie unvermittelt und betrachtete mich mit einem aufrichtigen Interesse, das mir fast unangenehm war. „Ich sehe dich oft am See sitzen, aber immer so... abwesend." Sie sprach es aus, als wäre mein Dasein für sie so klar zu lesen wie die Seiten ihres Buches, als könnten meine Bewegungen und meine Einsamkeit ihr Geschichten erzählen, die ich selbst kaum verstand. Ich spürte, wie ich versucht war, mich mit einem simplen „Ich mag die Ruhe hier" aus der Affäre zu ziehen, doch etwas in mir wehrte sich gegen diese Oberflächlichkeit. Stattdessen holte ich tief Luft und ließ ein wenig von dem, was mich drängte, nach draußen.

„Es ist schwer zu erklären," begann ich zögerlich. „Ich... hier finde ich einen Ort, wo meine Gedanken einfach fließen können. Das ist alles. Manchmal, wenn ich genug Ruhe habe, entgleitet mir die Welt da draußen, und ich... verliere mich ein wenig." Die Worte klangen beinahe kitschig, und ich wartete darauf, dass sie lachen würde. Doch sie nickte nur ernst, als könne sie jeden meiner unausgesprochenen Gedanken nachvollziehen, als hätte sie diese Abgründe selbst durchlebt.

„Ja," sagte sie leise. „Manchmal ist es so, als könnte man das Chaos der eigenen Gedanken einfach wegfließen lassen, oder?" Ihr Verständnis überraschte mich, und in ihrem Blick lag eine Zärtlichkeit, die ich sonst nur bei Merle gespürt hatte.

Wir saßen eine Weile nebeneinander, in einem Schweigen, das schwerelos und doch erfüllend war. Sie legte sich leicht gegen die Rückenlehne, schloss die Augen und wirkte, als hätte sie die Gabe, einfach mit der Welt zu verschmelzen, ohne dabei ihre Präsenz zu verlieren.

„Weißt du," begann sie nach einer Weile in einem Ton, der kaum mehr als ein Flüstern war, „ich habe auch meine Dämonen. Das Leben ist selten einfach. Die meisten Menschen verstecken sich hinter einer Maske und tun so, als sei alles perfekt." Sie öffnete ihre Augen und richtete ihren durchdringenden Blick auf mich. „Aber ich... ich glaube, das Leben ist viel ehrlicher, wenn wir uns selbst akzeptieren, mit allem, was dazugehört - auch dem Schmerz."

Ich nickte zögernd, obwohl ich nicht sicher war, ob ich dasselbe glaubte. Die Last meiner Vergangenheit, die Schatten, die Tiffany hinterlassen hatte, sie waren wie bleierne Ketten, die ich weder akzeptieren noch abstreifen konnte.

„Was liest du da eigentlich?" fragte ich schließlich, um die Schwere des Augenblicks zu durchbrechen. Sie nahm das Buch in die Hand und zeigte es mir. Es war ein Sammelband mit Gedichten von Pablo Neruda, alt und abgenutzt, voller kleiner Markierungen.

„Poesie ist das einzige, das mich manchmal noch zum Weinen bringt," sagte sie und lächelte verschmitzt. „Und du? Liest du gerne?"

Früher hätte ich ja gesagt. Lesen hatte mir einmal Freude bereitet, aber das schien in einem anderen Leben gewesen zu sein. Heute fühlten sich Bücher fremd an, wie Relikte aus einer Vergangenheit, die ich kaum noch greifen konnte.

„Früher vielleicht," murmelte ich. „Heute nicht mehr so oft." Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

„Das ist schade. Poesie kann uns so viel geben, wenn wir sie nur lassen." Sie kicherte und schlug das Buch an einer bestimmten Stelle auf. „Hier, das ist eines meiner liebsten Gedichte." Ihre Stimme senkte sich, und sie begann vorzulesen, ruhig und sanft, sodass die Worte wie der leise Wind über den See zu tragen schienen.

In diesem Moment wurde mir klar, dass Emma mehr war als eine zufällige Begegnung. Sie war wie ein Lichtschein in meinem düsteren Alltag, ein Strahl, der die düsteren Ecken meiner Seele beleuchtete und mir zeigte, dass es vielleicht doch noch etwas Gutes gab, etwas, das nicht in der Vergangenheit feststeckte.

Die Sonne begann bereits unterzugehen, als wir uns voneinander verabschiedeten. Sie reichte mir ihre Hand, und als ich sie ergriff, durchströmte mich eine seltsame Wärme, die mich daran erinnerte, wie lange ich schon keine echte Nähe gespürt hatte. Es war eine simple Geste, und doch fühlte es sich an wie ein kleiner Anker, der mich in dieser neuen, fremden Welt hielt.

„Bis morgen, Sam," sagte sie mit einem sanften Lächeln und einem Glitzern in den Augen, das fast wie ein Versprechen wirkte.

„Vielleicht," murmelte ich unsicher, aber tief in mir wusste ich bereits, dass ich zurückkommen wollte, dass ich dieses Strahlen in ihren Augen wiedersehen wollte.

Als ich schließlich nach Hause kam, war Merle wie immer zur Stelle. Sie sprang auf meinen Schoß und rollte sich gemütlich zusammen, und ich spürte das vertraute Gewicht und die Wärme ihres Körpers. Doch meine Gedanken kreisten um Emma und die Worte, die sie mir anvertraut hatte. Es war ein stiller Tag gewesen, unspektakulär und ruhig, aber trotzdem spürte ich, dass etwas in mir sich verändert hatte. Emma hatte eine winzige Flamme der Hoffnung entzündet, dass auch ich vielleicht eines Tages einen Neuanfang wagen könnte.

Ich fühlte mich für einen Moment sicher und geborgen... Einen Moment in dem ich nicht acht gab

Mein Name ist Sam...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt