die Phantom

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Ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Die Situation ist mir mehr als unangenehm, und auch JJ scheint sie nicht egal zu sein. Zum Glück entschärft John B die Stimmung. „Leute, ich würde auch gern mehr über Laura und JJ erfahren, aber wir müssen hier weg!“, sagt er, immer noch sichtlich außer Atem von der Flucht.

Kiara, die seit der Enthüllung, dass JJ die Nacht bei mir verbracht hat, noch genervter wirkt als sonst, wirft ein gestresstes „Und wohin bitte?“ ein.

„Wie wäre es mit Charleston?“, schlägt Pope vor und erntet fragende Blicke. „Ich habe die ganze Nacht das Tagebuch und die Karte studiert und bin mir ziemlich sicher, dass wir nach Charleston müssen.“

„Dann sollten wir uns schnell ein Boot besorgen“, sagt Sara und blickt auffordernd zu JJ, der gerade in Gedanken zu sein scheint. „JJ?“, fragt sie und schnippt mit den Fingern vor seinem Gesicht, was ihn aufschrecken lässt. „Was? Tut mir leid, ich war gerade woanders“, murmelt er schüchtern und weicht den Blicken der anderen aus.

„Wir brauchen ein Boot, das uns nach Charleston bringt“, wiederholt Sara mit Nachdruck und einer leicht genervten Note.

„Ja, ich kann eines besorgen. Gebt mir eine Stunde, dann treffen wir uns unten am Hafen, okay?“ Alle nicken einverstanden und machen sich auf den Weg. Unsicher, ob auch ich gemeint bin oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort, bleibe ich sitzen und sehe den Pogues hinterher, bis Pope sich zu mir umdreht.

„Laura, kommst du?“

Ich lächle leicht. Obwohl mir Entscheidungen in den letzten Tagen schwergefallen sind, war diese einfach. Rasch stehe ich auf und folge Pope.

„Okay, JJ, du besorgst das Boot. Ki und Pope, ihr bleibt hier und passt auf das Tagebuch und die Karte auf. Ich, Sara und Laura sehen nach meiner Hütte. In einer Stunde treffen wir uns am Hafen“, sagt John B und übernimmt klar die Führung. Er wirkt größer und dominanter als sonst; ich habe ihn noch nie so in Aktion gesehen. Gefahr verändert einen – das weiß ich nur zu gut.

„Nichts für ungut“, mischt sich Sara ein, „aber sollte nicht jemand JJ begleiten? Er sieht mit all den Schrammen nicht gerade vertrauenswürdig aus.“

Ich ahne, worauf sie hinauswill. Unter anderen Umständen würde ich nichts lieber tun, als mit JJ zu gehen. Aber die Situation hat sich geändert, und ich bin mir nicht sicher, wie viel Kontrolle ich über meine Gefühle habe, wenn ich allein mit ihm bin. Wahrscheinlich denkt er genauso.

„Laura kann mitkommen“, sagt JJ plötzlich, und unsere Blicke treffen sich für einen Moment. Okay, da habe ich mich wohl geirrt.

Nach allem, was passiert ist, kann ich jetzt nicht eine auf Diva machen. Auch wenn ich immer noch wütend auf die Pogues und ihre Spielchen bin, bin ich lieber hier als allein zu Hause.

Ich nicke und stimme dem Plan zu – einem weiteren Plan der Pogues.

„Dann bis später“, sagt John B, und jeder geht in eine andere Richtung. Schließlich stehe ich mit JJ allein da.

„Und? Wie sieht dein Plan aus?“, frage ich schnippisch und kreuze die Arme.

Er setzt nervös seine Baseballkappe auf und läuft ohne Antwort zu seinem Motorrad. Ich ahne, dass mir der Plan nicht gefallen wird.

Er setzt sich auf seine in die Jahre gekommene Maschine, klopft auf den Platz hinter sich und reicht mir den Helm.

„Vergiss es“, protestiere ich und verschränke die Arme.

„Wenn wir in deinem schicken Mercedes bei meinem Vater auftauchen, kannst du das Boot vergessen, okay?“ Seine Worte klingen besorgt und flehend, und ich spüre eine Traurigkeit dahinter.

Er will nicht zu seinem Vater – zumindest nicht allein. Darum sollte ich mitkommen.

„Okay“, lenke ich ein, setze den Helm auf und setze mich hinter ihm auf das Motorrad. Vorsichtig schlinge ich die Arme um seinen Oberkörper und schließe die Augen, innerlich die ganze Welt verfluchend.

Er startet den Motor und fährt los, was mir ein leises Quietschen entlockt. Die ganze Fahrt halte ich die Augen geschlossen und presse mich noch enger an JJ.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wird das Bike langsamer, und ich öffne die Augen. Das Maybank-Anwesen sieht noch schlimmer aus als das von John B. Es ist eine heruntergekommene Hütte, umgeben von Bierdosen, Metallschrott und anderem Müll.

Mit zittrigen Beinen steige ich ab und gebe JJ seinen Helm zurück. „So schlimm war es nicht, oder?“, fragt er scherzend. Doch mir ist nicht zum Lachen. Ich verdrehe nur die Augen und lächle gezwungen. Ich muss zugeben, bei keinem anderen wäre ich auf ein Motorrad gestiegen. Aber ein Teil von mir – so klein er im Moment auch sein mag – vertraut ihm immer noch.

Wir nähern uns dem Haus, und mit jedem Schritt wirkt JJ angespannter. Seine Hände sind verkrampft, und sein Gesicht ist düster. Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus.

„Wow, sieh mal an, wer da angekrochen kommt“, lallt eine Stimme aus dem Haus, und ein offensichtlich angetrunkener Mann tritt in die Tür. „Der verlorene Sohn kehrt zurück, und dann noch in Begleitung!“

Spott und Hohn tropfen aus seinen Worten, und es tut mir weh zu wissen, dass JJ das sein Zuhause nennt.

JJ stellt sich beschützend vor mich. „Ich brauche die Schlüssel für die Phantom“, sagt er, ohne auf seinen Vater einzugehen.

Der Mann lacht laut und kickt ein paar Bierdosen beiseite. „Wieso? Willst du deine kleine Freundin beeindrucken?“ Dann spuckt er aus. „Das Boot kann sie nicht täuschen… Sie wird schon noch merken, was für ein Mensch du bist.“

Wut steigt in mir auf. Was für ein Vater redet so über seinen eigenen Sohn?

„Dad, gib mir einfach den Schlüssel.“

Das höhnische Lachen seines Vaters wird lauter, während er auf uns zugeht. Instinktiv verstecke ich mich hinter JJ, der schützend die Arme vor mich ausbreitet. Sein Vater packt ihn am Kragen und zieht ihn zu sich heran.

„Wie wär’s mit einem ‚Bitte‘?“, faucht er.

JJ hält seinem Blick stand und presst ein leises „Bitte“ hervor. Ich atme hörbar aus, als sein Vater ihn loslässt und den Schlüssel aus seiner Hosentasche holt.

Verächtlich wirft er den Schlüssel JJ zu und wankt wortlos ins Haus zurück. Angespannt bleiben wir stehen, und ich lege eine Hand auf JJs Schulter, um ihm etwas Halt zu geben.

„Lass uns gehen“, flüstere ich, und er nickt stumm. Ich setze mich wieder auf das Motorrad und lehne mich behutsam an ihn. Ich weiß, ich sollte wütend sein und sein Verhalten nicht entschuldigen. Aber das Leben ist nicht so einfach. Es gibt nicht nur gut und böse, richtig oder falsch.

Es ist viel komplizierter – und für den Moment lasse ich Wut und Ärger hinter mir.

Stupid things have good outcomes all the timeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt