Kapitel 15: Riesenrad

0 0 0
                                    

Janic erzählte mir begeistert vom Pacific Park am Santa Monica Pier, einem Ort, den wir früher manchmal besucht hatten – damals, wenn wir es einrichten konnten und seine Eltern uns mitnahmen. Es war ein kleines Stück Freiheit und Abenteuer, das uns immer in Staunen versetzte. Der Pier hatte eine besondere Atmosphäre – eine Mischung aus Nostalgie und aufregendem Rummel, die uns immer wieder anzog. Janic meinte, es wäre eine gute Idee, einfach mal wieder hinzufahren, den Kopf frei zu bekommen und den Tag so richtig auszukosten. Seine Stimme war voller Vorfreude, und ich konnte den Enthusiasmus in seinen Worten beinahe spüren.

Anfangs zögerte ich. Ich hatte mich so sehr an die Routine gewöhnt, an das ständige Grübeln über alles, dass ich kaum in der Lage war, einfach mal abzuschalten. Der Gedanke, mich in das Getümmel zu stürzen, erschien mir fast fremd. Aber Janic etwas abzuschlagen, war wie das Verweigern eines Wunsches an ein hungriges Raubtier – er ließ einfach nicht locker. Er wusste, wie er mich überreden konnte. In einem Moment der Schwäche gab ich schließlich nach und sagte: „Okay, warum nicht?“ Ich schlüpfte in die „guten" Klamotten – das, was im Schrank noch akzeptabel roch und keine Flecken hatte – und ließ mich von ihm abholen, drei Stunden später.

Als wir endlich vor Ort ankamen, kämpften wir uns durch das übliche Parkplatzchaos. Die üblichen Anzeichen von Sommer an einem beliebten Touristenziel waren überall: das Summen von Motoren, die hastigen Schritte von Menschen, die den Pier besuchen wollten, und der Duft von frittierten Snacks, der in der Luft hing. Wir ließen das Auto stehen, und schon beim Aussteigen hörte ich die fröhlichen Schreie und das ansteckende Lachen, das über den Pier hinwegwehte. Es war wie ein musikalisches, fast hypnotisches Geräusch, das den Ort in seinen Bann zog.

Janic war in seinem Element, voller Vorfreude und mit einem breiten Grinsen im Gesicht, das sich immer weiter ausdehnte, je näher wir dem Pier kamen. Ich hingegen fühlte mich wie ein Beobachter, der sich in dieser lebendigen Umgebung nur schwer zurechtfand. Ein Teil von mir war zwar bereit, mich von der Energie um mich herum mitreißen zu lassen, doch ein anderer Teil hielt sich zurück, beobachtete alles und versuchte, die Teile meines eigenen Gefühlslebens zu ordnen. Das hatte sich irgendwie verändert – vielleicht, weil ich es so lange vermieden hatte, einfach zu leben.

Doch dann sah ich sie. Sie stand etwas abseits am Rand des Piers, eine auffällige Erscheinung, die sich von der Menge abhob. Emma. Ihre Augen schienen das alles mit einer Leichtigkeit zu beobachten, die sie von den anderen Menschen dort abgrenzte. Sie wartete auf uns. Ihr Outfit – so bunt und ausgefallen, dass jede Modelinie es als Provokation empfinden würde – passte perfekt zu ihr. Sie hatte diesen einzigartigen Stil, der von einer tiefen Selbstsicherheit zeugte, und trug es mit einer Leichtigkeit, die sofort meine Aufmerksamkeit fesselte. Ein Band von Wärme zog durch meinen Körper, als ich sie dort stehen sah, und mein Herz machte einen kleinen Sprung. Ich bemerkte ein sanftes Lächeln, das sich auf mein Gesicht schlich. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich ... ja, wirklich glücklich, sie zu sehen.

Janic ging auf sie zu, und zu meinem Erstaunen begrüßten sie sich wie alte Freunde, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen. Sie umarmten sich, lachten zusammen, und in mir regte sich ein unerwartetes Gefühl – ein leiser, aber tief sitzender Stich, der irgendwo zwischen Herz und Magen saß. Eifersucht? Ich konnte mich nicht erinnern, so etwas jemals verspürt zu haben, nicht einmal bei Tiffany. Es war, als hätte sich in mir eine Seite aufgetan, die ich bis jetzt nicht gekannt hatte, als wäre ein Teil von mir, den ich über Jahre weggeschoben hatte, plötzlich wieder ans Licht gekommen. Es war unangenehm. Sehr unangenehm.

Wir begannen gemeinsam über den Pier zu schlendern, eingetaucht in die Atmosphäre dieses lebendigen, leuchtenden Ortes. Um uns herum glitzernde Lichter, das Rattern und Klicken der Fahrgeschäfte, der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln, der uns umgab und in die Nasen zog. Die Geräusche und Gerüche schienen in einem unaufhörlichen Strom zusammenzufließen, und für einen Moment fühlte es sich an, als wären wir Teil dieses magischen Tunnels aus Farben und Eindrücken. Es war ein Gefühl von Freiheit, von einer Welt, die sich dreht und lebt, wie sie es schon immer getan hatte. Die Menschen lachten, redeten, scherzten – und alle schienen in einem sorglosen Moment gefangen zu sein.

Doch obwohl ich mich sicher fühlte, fast ein wenig befreit, mit Janic und Emma an meiner Seite, hielt dieses ungewisse Ziehen in meiner Brust an. Es war wie ein Schatten, der sich nicht vertreiben ließ, ein zarter Schmerz, der tiefer reichte, als er es sollte. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, mich von der Energie der beiden anstecken zu lassen, aber es gelang mir nicht wirklich. Es war ein seltsames Gefühl – wie eine unsichtbare Mauer, die sich langsam zwischen uns aufbaute, ohne dass ich genau wusste, warum.

Als die beiden nebeneinander liefen, bemerkte ich, wie vertraut sie wirkten. Ihre Bewegungen schienen so synchron zu sein, als hätten sie das schon oft getan. Diese Vertrautheit ließ mich nicht los, und das Ziehen in meiner Brust wurde stärker. Ein wenig unsicher, fragte ich schließlich: „Habt ihr ... habt ihr schon länger Kontakt?“ Die Worte verließen meine Lippen ohne viel Nachdenken, aber als sie ausgesprochen waren, schämte ich mich sofort. Ich hatte es so beiläufig gesagt, aber in Wahrheit war da diese kleine, unerklärliche Wunde, die nicht aufhören wollte zu pochen.

Emma sah Janic an, und ein kleines, fast verschwörerisches Grinsen huschte über ihr Gesicht, das etwas Unheimliches in sich trug. „Ja, also ... wir haben uns das ein oder andere Mal auf einen Kaffee getroffen“, antwortete sie, ihre Stimme warm und leicht, aber mit einem Hauch von Geheimnis. Janic kratzte sich verlegen am Nacken, als würde er die Bedeutung der Worte durch eine beiläufige Geste verringern wollen. „Hey, wollen wir Riesenrad fahren?“ rief er plötzlich, fast ein wenig zu enthusiastisch, als wollte er die Stimmung in eine andere Richtung lenken.

Der Vorschlag stand im Raum, und obwohl ich nickte und mitging, begleitete mich eine kleine Wolke von Unsicherheit. Das Riesenrad schien mir plötzlich wie eine Metapher für all das, was sich gerade in mir drehte. Als wir uns in das Riesenrad setzten und langsam höher fuhren, versuchte ich, mich auf den weiten Blick über das Meer zu konzentrieren. Der Wind streichelte mein Gesicht, die Sonne war bereits untergegangen, und die Lichter von Santa Monica glitzerten im Dunkeln, während der Ozean in der Ferne wie ein schwarzes Tuch lag.

Die Welt unter uns schien kleiner zu werden, je höher wir fuhren, und für einen Moment konnte ich die Bewegung des Riesenrads beinahe als beruhigend empfinden. Die Wärme von Janic und Emma neben mir half dabei, aber es war mehr ein Trost, den ich mir selbst gab. Ich dachte an all die Momente, in denen wir hier waren, zusammen, als alles noch einfacher gewesen war. Früher hatte der Blick über den Ozean mir Freude bereitet. Aber an diesem Abend spürte ich, wie die Dinge in Bewegung gerieten – nicht nur das Riesenrad, sondern auch etwas in mir, das ich nicht benennen konnte. Etwas, das sich nicht fassen ließ. Vielleicht war es das, was mit uns geschah.

Mein Name ist Sam...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt