Kapitel 16: Drachen und Feuer

0 0 0
                                    

In der Gondel des Riesenrads saßen wir zu dritt, doch während Janic und Emma miteinander redeten, saß ich stumm am Fenster und starrte hinaus in den Abend, der langsam zu dämmern begann. Ihre Stimmen wurden immer leiser, wie in weiter Ferne, während ich mit meinen Gedanken abdriftete, tief in die Welt meines Geistes, die mich immer öfter gefangen nahm. Es war, als würde sich ein dicker Nebel über mein Bewusstsein legen, mich in eine andere Realität ziehen, eine, die sich beängstigend echt anfühlte.

Plötzlich blendete mich ein helles Licht, scharf und unwirklich, als würde jemand einen gigantischen Scheinwerfer auf die Gondel richten. Doch es war nicht nur Licht - die Szene vor mir wandelte sich. Die ruhige, sich drehende Aussicht des Riesenrads verschwamm und machte einem düsteren Bild Platz. Riesige, flügelschlagende Schatten schoben sich in den Himmel, und ich sah, wie sich die Luft von Hitze und Flammen wellte. Drachen, gigantische, furchterregende Kreaturen mit ledrigen Schwingen und schuppigen Leibern, tauchten aus der Dunkelheit auf. Dies waren nicht die harmlosen Wesen, die ich einst gesehen hatte, sondern große, mächtige Ungeheuer, die Feuer spien und alles unter sich in Flammen setzten.

Ich war gefangen, fühlte die Wände der Gondel sich enger um uns schließen, ein Gefängnis, das wir uns selbst geschaffen hatten. Unter uns schrien die Menschen, sie rannten vergeblich, während das Feuer sie erreichte, das Meer zu Lava und das Ufer zu einem brennenden Abgrund wurde. Panik breitete sich in mir aus, und ich schlug mit den Fäusten gegen die Glasscheiben, suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Emma schrie hinter mir, ihr Gesicht von Entsetzen gezeichnet, und Janic hielt sie in seinen Armen, versuchte sie zu beruhigen. Mein Herz raste, und obwohl ich am liebsten geschrien hätte, trieb mich ein verzweifeltes Bedürfnis zu handeln.

Mit einem letzten Kraftaufwand trat ich das Glas ein und streckte Janic meine Hand entgegen. „Schnell, komm!" Doch in dem Moment, in dem ich mich einen Sekundenbruchteil ablenken ließ, traf mich eine heiße, brennende Welle am Arm. Mein Kopf ruckte zur Seite, und ich sah ihn - einen roten Drachen mit giftgrünen Augen, die vor Gier und Hass leuchteten. Er öffnete sein Maul, Flammen hüllten alles ein, und ich schrie auf. Der Schmerz fraß sich in mich hinein, überwältigend und endgültig, und ich wusste, dass dies mein Ende war.

„Sam! Sam!" Die Stimmen holten mich zurück, und als ich die Augen aufschlug, lag ich auf dem Boden der Gondel. Über mir waren Emma und Janic, beide beugten sich besorgt über mich, mit Augen, in denen Angst stand. Emma hielt meine Schultern fest, ihre Finger zitterten leicht, während Janic stumm neben ihr kniete, mit einer Mischung aus Sorge und Unruhe im Blick.

„Was ... was war das?" murmelte ich, unfähig, zu begreifen, was gerade passiert war. Ich atmete schwer, versuchte die Realität um mich zu ordnen, meine Gedanken zu sammeln. Es war wieder geschehen - ich hatte wieder die Kontrolle verloren, die Realität entglitten wie Sand zwischen den Fingern.

„Wir sollten gehen", sagte Janic leise, sein Ton fest, doch ich spürte die Enttäuschung darin. Enttäuschung und Sorge, die wie ein Stich in meiner Brust wehten. Ich wollte protestieren, wollte sagen, dass es mir gutging, dass ich den Abend mit ihnen verbringen wollte - musste -, doch Janic und Emma hatten bereits entschieden. Ohne weiteres Widersprechen standen wir auf, und beide halfen mir aus der Gondel.

Der Rückweg zum Auto war bedrückend, und ich trottete neben ihnen her, stumm und mit einem bitteren Geschmack im Mund. Der lebhafte Trubel des Piers schien um uns herum abzuebben. Die Lichter, die Musik, das Lachen und die Stimmen der Menschen drangen dumpf an mein Ohr, doch alles wirkte seltsam leise und taub. Ich war enttäuscht - von mir selbst, von meinem Unvermögen, das alles für einen Moment auszublenden und das Hier und Jetzt mit ihnen zu genießen.

In meiner Verzweiflung ließ ich meinen Blick umherschweifen, an den bunten Ständen und Fahrgeschäften vorbei, bis er bei Emma und Janic hängen blieb. Beide gingen dicht beieinander, so nah, dass ich fast meinte, Emmas Hand streife beiläufig die seine. Es war ein sanftes, beinahe unschuldiges Berühren, etwas, das den meisten Menschen kaum auffallen würde. Doch mir entging es nicht. Ich fühlte einen stechenden Schmerz, der tiefer ging, als ich es erwartet hatte - eine Mischung aus Verrat und Eifersucht, die wie ein kalter Schauer über meinen Rücken kroch. Warum tat es so weh? Hatte ich etwa gedacht, ich könnte Emma für mich allein haben, dass sie nur mir nah sein würde?

Als wir schließlich beim Auto ankamen, verabschiedete sich Emma beiläufig, ohne viel anmerken zu lassen. Doch ich sah es - das kleine Funkeln in ihrem Blick, das flüchtige, aber unübersehbare Lächeln. Es war so viel mehr, als ich zwischen uns gespürt hatte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, und ich fragte mich, ob es überhaupt einen Platz für mich gab, irgendwo, bei jemandem. War ich es wert, geliebt zu werden? Verdiente ich es überhaupt, Freude zu empfinden?

„Bye, Sam", sagte Emma sanft, ihr Blick begegnete meinem, als hätte sie gespürt, was in mir vorging. „Pass auf dich auf." Ihre Worte holten mich zurück, brachten mich einen Moment lang wieder ins Hier und Jetzt. Dann sah ich zu, wie sie sich von uns entfernte, und mein Herz schmerzte, als ich den Moment zwischen ihr und Janic an jenem Abend im Kopf wieder und wieder durchspielte.

Im Auto war es still, Janic startete den Motor und richtete seinen Blick geradeaus. Doch bevor er losfuhr, hielt er inne, seine Augen hafteten einen Moment lang auf dem Rückspiegel, wo Emma langsam kleiner wurde. Es war ein Moment, der mir alles sagte, was ich wissen musste, und der das leise Knacken in meinem Inneren zur Gewissheit werden ließ.

Er brach das Schweigen, sein Gesicht drehte sich leicht zu mir, und er lächelte sanft, als ob er nichts bemerkt hätte. „Was hast du eigentlich gesehen, Sam?" fragte er mit einem freundlichen, neugierigen Unterton, als ob er eine harmlose Frage stellte.

Ich schluckte schwer und zwang mich, an die Szene mit den Drachen und dem Feuer zu denken. „Es war ... ich habe Drachen gesehen. Feuer und ...", begann ich, und plötzlich fiel mein Blick auf meine Hand, wo eine kleine, rötliche Verbrennung sich über den rechten Handballen zog. Verwirrt betrachtete ich sie und fragte mich, wann ich das überhaupt gespürt hatte.

Janic runzelte die Stirn, sein Lächeln verschwand, und ich spürte seine Anspannung, während ich in diese winzige Brandstelle starrte, die in mir nur noch mehr Fragen weckte.

Mein Name ist Sam...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt