Kapitel 23

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Der Wind streicht durch meine Haare. Es fühlt sich ungewohnt an wieder an der Frischen Luft zu sein. Doch gleichzeitig auch sehr gut.
Nachdem ich mich die ganze letzte Woche in meinem Zimmer vergraben habe, konnte ich mich endlich dazu bewegen raus zu gehen.
Doch ich habe immer noch dieses Gefühl - oder besser gesagt diese Angst, dass sie nach Hause kommen könnte und ich nicht da bin.
Ich wende meinen Blick von der Zeichnung ab und schaue den Kindern zu, die auf dem Spielplatz spielen. Das schlechte Wetter der letzten Tage hat Spuren hinterlassen, doch der nasse Spielplatz scheint sie nicht zu stören.
Ich wäre gerne zurück in der Phase, in der man sich keine Sorgen um die Zukunft macht um die Zukunft. Niemals hätte ich gedacht, dass ich ohne meinen Vater und Lexa leben müsste.
Ich widme mich wieder meiner Zeichnung und schaue in Lexas Gesicht. Ihre Augen strahlen, selbst in meiner Zeichnung. Ich versuche meine Tränen zu unterdrücken. Es tut so weh.
Ich bereue es, dass ich Dad damals nicht gemalt habe. Mom hat kurz nach seinem Tod alle Bilder verbrannt, zerschnitten und weggeworfen. Bevor sie wieder so Tick hat, dachte ich mir, dass ich Lexa malen sollte. Ich hätte echt gerne ein Bild von Dad. Ich kann mich an vieles noch erinnern, aber anderes verschwimmt. Er hatte braunes Haar und trug jeden Tag Kontaktlisen, aufgrund seiner unglaublich schlechten Sehschwäche. Und.. ich glaube er hatte meistens einen drei-Tage-Bart. Umso länger ich an ihn denke, umso mehr verschwimmt. Ich möchte nicht, dass mir das Gleiche mit Lexa passiert.
Plötzlich hält mir jemand meine Augen zu.
„Rate", sagt die Person.
Aber ich schweige. Für einen kurzen Moment muss ich nicht die glücklichen Kinder sehen oder in Lexas Gesicht schauen. Es fühlt sich gut an.
„Mia! Sie möchte jetzt vllt nicht ‚Wer bin ich' spielen!", schimpft Liv.
„Das weißt du doch nicht."
Sie setzen sich neben mich und schauen auf meine Zeichnung.
„Wow. Mia hatte recht als sie meinte du bist talentiert!", staunt Liv.
„Danke."
„Ist das deine kleine Schwester?"
Ich nicke.
Beide Schweigen. Als wurden sie wissen was passiert ist. Es geht wahrscheinlich schon in der Schule rum. ‚Kylie , als Gesprächsthema Nummer 1': Vater verloren, Schwester verloren, Schulische Probleme und nicht zu vergessen die beiden Frauenschwärme der Schule reden zu viel mit ihr.
„Wir haben dich in der Schule vermisst", sagt Mia.
„Und auf der Lichtung", fügt Liv hinzu.
Sie tauschen einen kurzen Blick aus und Mia fragt dann: „Stimmt es.. also was mit deiner Schwester passiert ist.".
Ich wusste es.
„Sie ist verschwunden.", bestätige ich ihre Frage.
„Das tut uns leid.."
„Euch muss es nicht leid tun. Es ist.." ‚meine Schuld' - doch ich kann den Satz nicht laut beenden. Ich bin noch nicht bereit dazu zu reden. Nur mit mir selbst, trage ich diesen Kampf aus.
„Ich sollte gehen. Meine Mom macht sich sicherlich schon Sorgen."
„Sehen wir uns morgen in der Schule?", fragt Liv.
„Ich denke schon", sage ich und stehe auf. Ich schenke ihnen noch ein schwaches Lächeln, bevor ich verschwinde.
Wie hatten sie mich eigentlich gefunden?

Während ich die Einfahrt zum Haus entlang laufe, fühle ich mich beobachtet. Ich schaue um mich und kann Jake entdecken. Er steht an seiner Haustüre. Ohne etwas zu sagen dreht er sich um und geht in sein Haus. Ob er sauer ist? Doch weshalb? Vielleicht kann er mit trauer nicht umgehen.
Ich mache die Haustüre leise hinter mir zu und gehe in die Küche. Sie ist voll mit dreckigen Teller, leere Verpackungen, Reste vom Essen und ausgetrunkenen Flaschen. Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer. Mom liegt, so wie die restlichen Tage auch, auf dem Sofa und schaut irgendwelche Arztserien an. Für Mom gibt es momentan nur 3 Stationen: Die Küche, das Wohnzimmer und das Badezimmer. Nachts kann ich sie weinen hören. Und ich frage mich immer ob ich was tun kann um ihr zu helfen. Doch Mom lehnt jede Berührung, jede Geste oder Gespräche ab. Sie sagt sie wartet auf Lexa und das sie wieder kommt.

Die letzte Zeit habe ich damit verbracht, das Tagebuch zu lesen. Mir fehlen nur noch zwei Seiten. Ich wäre wahrscheinlich schon fertig, müsste ich nicht ständig zurück lesen, um etwas besser zu verstehen.

<Liebes Tagebuch,
Es ist bald soweit.
Auch wenn ich immernoch eingesperrt bin,
habe ich meine Lösung gefunden.
Sie ahnt nichts von meinem Plan
Auch wenn ich ihn betrügen muss,
ist das der einzige Weg um lebend hier weg zu kommen
Ruelle>

Letzte Seite:

<Liebes Tagebuch,
Heute Nacht ist es soweit.
Auch wenn ich dich mitnehmen werde,
werde ich nie wieder ein Wort in dich schreiben.
Du gehörst ab sofort zu meiner Vergangenheit.
Mal sehen was mir die Zukunft bringen wird.
Ob ich diese Geschichte meinen Kinder erzählen werden? Eine Prinzessin, die sich verliebt hat.
In Liebe, Ruelle>

Und damit geht die Geschichte zu Ende. Doch inzwischen habe ich sie verstanden:
Es schreibt ein Mädchen namens Ruelle, deren Mutter ihr schreckliche Dinge an tut, damit sie stärker wird. Ruelle hat eine kleine Schwester, die sie sehr mag. Jedoch mag die kleine Schwester sie nicht und wünscht sich ihren Platz.
Sie hatte was von einem ‚Krieg der Blinden' erzählt. Und das es Vorbereitungen dafür gibt und sie das hasst.
Ruelle hatte dann einen Jungen getroffen und sich in ihn verliebt. Es ist eine verbotene Liebe, weshalb sie planen weg zu gehen. Als ihre Mutter etwas ahnt, sperrt sie Ruelle ein. Tage und Wochen vergehen und sie findet eine Möglichkeit zu gehen. Sie nennt diese Möglichkeit: schrecklich und betrügend. Jedoch ist sie so verzweifelt, dass sie es tut. Bevor sie fliehen kann, muss sie so tun als würde sie ihre Schwester um Hilfe bitten, damit sie nichts ahnt. - Dramatisch.
Oh! Das steht noch was auf der Rückseite:

<Du bist der Schlüssel, 269>

Du bist der Schlüssel? Von was? Und was bedeutet 269?

Heartbeat - The other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt