Kapitel 11

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Meine Gedanken schwimmen. Sie treiben und gleiten. Emotionen und Erinnerungen, sie kommen und gehen wie eine Brise über dem Meer. Ich stecke im kalten Wasser, treibe mit ihnen. Meist ist es angenehm und... fast versöhnlich. Doch nichts ändert sich so schnell wie die Beschaffenheiten des Ozeans. Manchmal, da wird aus der glatten See eine Landschaft aus Höhen und Tiefen: Dann ist überall nur noch Wasser, welches mir die Luft zum Atmen nimmt.

Melanies Verschwinden hat einen solchen Sturm in mir ausgelöst. Sie erzeugte Wellen und Gewitter und ich wurde runter gezogen. Panisch, denn wie kann jemand schwimmen, der es nie gelernt hat? Hilflos, weil ohne den Kampf da nichts anderes ist außer Schmerz. Und ich ertrinke ohne zu sterben. Immer und immer wieder.

Zu schwach, um mich selbst zu retten, ist sie es, die mich aus dem tiefen Wasser zieht. Sie glättet die Wogen mit der selben Leichtigkeit, wie sie sie entfacht.

Nach Jahren ist sie die Erste, die es schafft mich zu berühren. Wärme verspüre ich selten und wenn durch Aiden. Doch Melanie... sie ist so unglaublich stark. Sie erschüttert meine Welt und weckt auf eine bittersüße Weise meine müden Glieder.

Ich spüre, wie ich nach ihr greife. Wie ich versuche Halt bei ihr zu suchen, um diesen Gefühlen zu entkommen und nicht wieder unter zu gehen. Denn sie stützt mich.

Tief in mir weiß ich, dass dieser Kampf aussichtslos ist. Dass das Wasser zu tief ist und mich stets zu sich zieht. Und sollte ich Melanie nicht loslassen, werde ich sie beim nächsten Sturm mit mir reißen.

Ich werde loslassen. Doch noch nicht jetzt. Nicht nachdem ich endlich wieder Luft kriege – nachdem ich mich endlich wieder lebendig fühle.

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Die Sonne schien angenehm warm auf meine Haut und spiegelte sich hell auf der Wasseroberfläche des Flusses. Er floss stetig und ruhig, das leise Plätschern wirkte beruhigend auf meinen angespannten Körper. Nach der ganzen Aktion im Zentrum für Mutationen hatte ich nicht gemerkt wie erstarrt meine Muskeln waren. Hier in der Natur fühlte sich alles gleich viel leichter an.

Dean saß am Waldrand an einer Fichte gelehnt, sein Notizbuch in den Händen. Er schrieb und ich war nur zu neugierig über was. Für ihn schienen diese Seiten der selbe Rückzugsort zu sein, wie der Wald für mich. Er sah ruhig aus, sogar fast gelassen.

Die letzten Wochen hatten gezeigt, dass er schwer aus seinen Gedanken zu holen war. Daher machte ich mir keine Sorgen, dass er mir in den nächsten Minuten Beachtung schenken würde. Mit einem leisen Geräusch fiel der zerschlissene Stoff seines Hemdes neben meine Hose auf einen kleinen Felsen.

Die Kieselsteine raschelten, während ich zaghaft einen Fuß in das kühle Wasser setzte. Gänsehaut lief mir über die Beine, doch ich ging weiter bis es meine Knie erreichte. Mit einem tiefen Atemzug hockte ich mich schließlich hinein.

Schaudernd umgriff ich meinen Oberkörper, machte mich allerdings schnell daran den Geruch der letzten Tage von mir zu waschen. Das Shampoo, welches mir Aiden gegeben hatte, roch angenehm. Ich konnte mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie ich es jemals ohne ausgehalten hatte.

Ich warf einen Blick über meine Schulter, um sicher zu sein, dass Dean immer noch seinen Gedanken nach hing. Erst dann erhob ich mich wieder aus dem Wasser und wickelte mich rasch in mein Handtuch hinein. Erneute Gänsehaut überzog meine Haut und ich fröstelte.

Um nicht noch mehr abzukühlen, beeilte ich mich beim Anziehen. Zum Glück hatte ich noch eine Jeans und ein altes Top bereit. Deans Hemd würde ich nicht mehr anziehen können – und er erst recht nicht. Zögernd hob ich es in die Höhe. Der Saum hing in Fetzen hinab und die Stelle, die der Wolf den Tag zuvor getroffen hatte, war umrahmt mit etwas Blut.

Long WayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt