Kapitel 22

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Deutlich angetrunken verlassen Josie und ich gemeinsam die Bar nachdem wir unsere Getränke bezahlt haben, bleiben aber noch etwas vor dem Eingang stehen. Sie zündet sich eine Zigarette an und bietet mir ebenfalls eine an, die ich dankend entgegen nehme. Zwar rauche ich normalerweise nicht, aber beim feiern oder ähnlichem habe ich schon die ein oder anderen Male zugesagt. Demnach stehen wir zusammen vor der Bar, rauchen beide eine und führen ein quasi komplett sinnloses Gespräch über Gott und die Welt, da wir beide nicht unbedingt wenig getrunken haben. „Würdet ihr mir auch noch eine geben.", vernehme ich plötzlich die Stimme von Joanna und schaue in ihre Richtung, wo sich unsere Blicke treffen. Schweigend gibt meine Begleitung ihr nun ebenfalls eine Zigarette samt Feuerzeug, bevor sie ebenfalls einen Zug nimmt und den Rauch durch ihre Lunge wieder ausatmet. „Wie geht es dir?", erkundigt sie sich bei mir und schaut mich liebevoll an, was mein Herz gleich wieder schneller schlagen lässt. „Gerade ganz gut und dir? Wie waren deine Ferien?" Leicht amüsiert schaut mich Joanna an und muss sich sichtlich ein Schmunzeln verkneifen, was mich ersten Moment verwirrt. Doch gleich darauf verstehe ich ihre Reaktion und muss selbst über meine Frage den Kopf schütteln, da man bei ihr wohl kaum von Ferien sprechen kann. Als Lehrkraft ist man leider durchgehend, bis auf die Sommerferien, mit der Unterrichtsvorbereitung und sonstigem bezüglich der Arbeit beschäftigt. „Ich habe das Wochenende jetzt ganz für mich und kann mich endlich mal zurücklehnen. Trotzdem aber danke der Nachfrage. Wie liefen bei dir die letzten zwei Wochen?" Unschlüssig darüber, was ich ihr nun am besten antworten sollte, wende ich einen kurzen Blick zu meiner Begleitung und bin froh, dass diese mir meine Frage regelrecht aus dem Gesicht lesen kann und bestimmend den Kopf schüttelt. „Wie immer.", antworte ich kurzerhand also und drücke bereits die Zigarette aus. Unschlüssig darüber, was ich nun tun oder sagen soll, spiele ich mit meinen Fingern und schaue weiterhin in die Augen meiner Lehrerin. „Habt ihr zwei jetzt noch etwas vor oder darf ich dir Amelia entwenden?", richtet sie sich überraschenderweise nun an Josie, die ihr auch sofort antwortet: „Ich hätte sie jetzt eigentlich nur noch nach Hause gebracht, aber das kannst du gerne übernehmen. Wäre ohnehin eher ein Umweg für mich." Darf ich etwa nicht mehr selbst über mich entscheiden? Ehe ich auch nur etwas sagen könnte, zieht mich Josie nun in eine kurze Umarmung zum Abschied und flüstert ein leises: „Your Turn, Sweetheart."

Anstatt den Weg zu mir nach Hause einzuschlagen, laufe ich mit Joanna gemeinsam ziellos durch die Stadt und schweige, da meine Gedanken noch bei Josie sind. Sie hat mir bereits bei unserer ersten Begegnung offenbart, dass sie mich attraktiv findet und mich gerne besser kennenlernen würde, obwohl ich Gefühle für eine andere Frau habe. Als wäre das nicht schon genug, gibt sie mir Tipps. Daran merkt man, dass sie einen wirklich bewundernswerten Charakter aufweist und wohl auch schon einige Erfahrungen sammeln durfte. Sie hat wirklich ein Herz aus Gold und verdient eine Frau, die genau dieses zu schätzen weiß. „Ich mag es nicht, dass du weiterhin Alkohol trinkst.", bricht die Frau neben mir plötzlich die Stille. „Hast du nicht auch etwas getrunken?" Ich bleibe stehen und schaue sie herausfordernd an. „Ja, das stimmt. Im Gegensatz zu dir, kenne ich aber meine Grenze bezüglich der Aggressionen und kann früh genug auf Wasser umsteigen.", erklärt sie. Ich verschränke daher nun meine Arme vor der Brust und gehe gleich auf ihre Aussage ein: „Das glaub ich dir, doch heute Abend lief ja auch alles gut." „Ja, das habe ich auch nicht angezweifelt. Allerdings wissen wir beide, dass eine plötzlich auftretende und unerwartete Situation das ändern könnte." Ich verdrehe die Augen und wende meinen Blick von ihr ab, woraufhin sie mir einen Schritt näher kommt und meinen Kopf wieder zu ihr dreht, wodurch ich gezwungen bin, ihr wieder in die Augen zu schauen. „Du kannst Alkohol trinken, keine Frage. Mir ist es lediglich lieber, wenn du das in der Gegenwart einer Person machst, die über deine Probleme Bescheid weiß und dich aus einer möglicherweise triggernden Situation rausholen kann." Wie soll ich Josies Worten nachkommen, wenn diese Frau jedesmal die Zügel in die Hand nimmt und mir stets versucht zu helfen? Bin ich nicht vielleicht sogar von ihrer Hilfe abhängig? „In Ordnung. Dann gehen wir beide beim nächsten Mal zusammen etwas trinken.", nutze ich ihre Vorlage als Initiative und sehe gleich dabei zu, wie überrascht sie über meine indirekt formulierte Einladung ist. Schnell fängt sie sich jedoch wieder: „Ja, das machen wir. Nächstes Wochenende ist Tomas geschäftlich unterwegs, passt das für dich oder bist du anderweitig verhindert?" „Jetzt ja.", reagiere ich auf ihre Frage und zwinkere ihr zu, was sie ebenfalls überrascht. Vermutlich trägt der Alkohol einen sehr großen Teil dazu bei, dass ich ihr gegenüber plötzlich so selbstbewusst bin und nicht wirklich über mein Handeln nachdenke.

Keine von uns beiden sagt noch etwas, weshalb wir einfach weiter ziellos durch die Gegend spazieren und ich irgendwann einfach nach ihrer Hand greife, die sie ebenfalls sofort umgreift. Zufrieden darüber, dass sie mich diesbezüglich nicht abweist, scheint mein Puls noch mehr in die höhe zu steigen und ich frage mich, wie viel Liebe mein Herz überhaupt noch standhalten kann. Joanna ist die eine Frau, für die ich mein Leben lang kämpfen würde, wenn ich die Chance dazu hätte und sie nicht bereits verheiratet wäre. Wobei mich eine Beziehung wohlmöglich nicht zurückhalten würde. Doch eine Ehe ist eben etwas, was man nicht einfach von heute auf morgen über Bord wirft und sich gleich anderweitig orientiert. Demnach ist es nicht der Fakt, dass sie einen anderen liebt oder meine Lehrerin ist, sondern lediglich das Versprechen für die Ewigkeit. „Wie hat deine ehemalige Dozentin eigentlich reagiert als du dich nach all den Jahren wieder bei ihr gemeldet hast?", kommt es über meine Lippen ohne groß darüber nachgedacht zu haben. Auch wenn ich sie nicht ansehe, weiß ich, dass sie in diesem Moment ihre Stirn runzelt und auf ihrer Lippe kaut. „Sie war zwar sehr überrascht, hat sich aber gefreut. Nicht nur darüber, dass ich mich trotz allem bei ihr gemeldet habe, sondern auch weil ich so viel in den letzten Jahren erreicht habe und über mich hinaus gewachsen bin. Ich selbst würde behaupten, dass ich mich durch den ganzen Kummer stark weiterentwickelt habe und ein gesundes Selbstvertrauen aufgebaut habe.", erzählt sie mir offen und bringt mich damit zum lächeln. Sie war also nicht immer so selbstsicher. „Hattest du keine Angst, dass dich das Aufeinandertreffen aufwühlen könnte?" „Nein. Natürlich war ich nervös und habe ein Teil der Gefühle empfunden, die sie damals hervorgebracht hat. Allerdings waren das lediglich die Erinnerungen und ich muss gestehen, dass mir das sogar geholfen hat. Ich habe Tomas von Tag eins an geliebt, aber eben ohne die ein oder anderen Gefühle. Du kannst das sicherlich nicht nachvollziehen, jedoch hat sie meiner Ehe nochmal ein großes Stück an Tiefe verliehen." Sie hat recht, ich kann es nicht nachvollziehen. Wie auch? Ich kennen Joanna zwar noch nicht lange und führe keine Beziehung mit ihr, werde dennoch vermutlich nicht mehr solch eine Liebe für einen anderen Menschen empfinden können. Ihre Existenz in meinem Lebenslauf wird mir und meinem Herzen kein weiteres Mal erlauben, auf diese Weise zu lieben. „Das freut mich und ich finde es gut, dass du das machst, was sich für dich richtig anfühlt." Mehr weiß ich nicht zu sagen. Was sollte ich auch groß darauf antworten?

Irgendwann haben Joanna und ich dann doch den Weg zu mir nach Hause eingeschlagen, obwohl ich gerne noch Stunden mit ihr verbracht hätte. Allerdings meinte sie, dass Tomas sich sicherlich schon fragt wo sie bleibt und es nicht lange dauern wird, bis er sie anrufen würde. Insgesamt hat mir die Zweisamkeit und der körperliche Kontakt zu ihr aber unbeschreiblich gut angefühlt, weshalb ich nun lediglich eine innere Leere empfinde. Demnach stehe ich nun wieder auf Anfang. Mit diesem Gefühl bin ich in die Herbstferien gestartet; vollkommene Leere, Antriebslosigkeit, Herzschmerz. Anders gesagt: ich habe Liebeskummer. Vor wenigen Wochen hat mir Joanna noch gesagt, dass sie mich vor diesem bewahren möchte und uns beiden dabei indirekt mitgeteilt, dass sie sich meiner Gefühle für sie im Klaren ist. Jedoch kamen wir seitdem nicht mehr darauf zu sprechen und haben auch keine Distanz zueinander gehalten, was wohl im Umkehrschluss besser gewesen wäre. Zumindest für mich. Allerdings habe ich bereits versucht, mich von ihr fern zuhalten und bin kläglich gescheitert. Wie gehe ich mit dem Liebeskummer nun um? Ich darf jetzt aufjedenfall nicht schon wieder in das Loch fallen, aus diesem ich mich mit aller Kraft heute Morgen raus gekämpft habe. Nicht nur, weil ich meinen Eltern damit erneut Sorgen bereiten würde, sondern auch weil nach dem Wochenende wieder Schule ist und ich mir trotz meines Notenschnitts keine Fehlzeiten erlauben sollte. Eventuell würde es also helfen, wenn ich mich die nächsten zwei Tage versuche mit anderen Dingen zu beschäftigen und somit die physische Distanz zu ihr überbrücke. Zugegebenermaßen ist ohnehin die letzten Tage viel auf der Strecke geblieben womit ich mich nun mal wieder auseinandersetzen könnte. Demnach brauche ich mir lediglich um den Abend Gedanken machen, wenn ich wieder vor lauter Gefühle im Bett liege und mich in den Schlaf weine.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 08 ⏰

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