Das Meer und die Stille

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Da saß ich also wieder, wie so oft, am Strand, starrte aufs weite, endlose Meer und fragte mich, was der ganze Kram hier eigentlich sollte. Was sollte ich auch anderes machen? Es war nicht so, als gäbe es hier eine riesige Auswahl an Freizeitbeschäftigungen. Möwen beobachten? Check. Die Sonne anstarren, die jeden Tag gleich aussieht? Check. Die gelegentlichen Wellen, die rhythmisch gegen die Felsen klatschen? Auch das. Die meiste Zeit hockte ich einfach da, mit nichts als meinen Gedanken und dem stetigen Rauschen des Wassers, das irgendwie immer das gleiche Lied sang – ein Song, der mit der Zeit etwas melancholisch, fast schon erdrückend wurde.

Und dann, wie ein Schlag ins Gesicht, traf mich plötzlich eine Erkenntnis, die ich tief im Inneren schon gespürt hatte, aber nie so wirklich wahrhaben wollte. Keiner hatte bemerkt, dass ich weg war. Nicht ein einziger Hase, keine Eiersuche, kein Karottenratgeber, kein Dankeschön für die jahrelange Osternacht-Beschaffung. Es schien einfach niemanden zu interessieren.

Vielleicht hatten sie es bemerkt, aber was hätten sie tun können? Wer suchte schon nach einem alten, müden Hasen, der ein paar Dutzend Jahre lang Ostern gebracht hatte, als wäre es nichts Besonderes? Wahrscheinlich dachten sie alle, dass ich nach all den Jahren einfach "in den Ruhestand gegangen" war, wie eine dieser seltsamen, verstaubten Märchenfiguren, von denen man irgendwann einfach annimmt, dass sie nicht mehr existieren.

Und dann schlich sich diese Frage in meinen Kopf: Haben sie mich wirklich vermisst? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm. Vielleicht ist es ja auch eine Erleichterung für sie, mich nicht mehr zu haben. Keiner mehr, der jedes Jahr die Eier versteckt, keiner mehr, der das ganze Chaos organisiert, während der Rest der Welt unbeschwert von einem Fest zum nächsten hüpft. Vielleicht war das Beste, was mir passieren konnte, dass niemanden mein Verschwinden interessiert.

Aber dann, wie das eben so ist, fingen meine Gedanken an, sich zu überschlagen. Vielleicht hatten sie es ja doch bemerkt? Vielleicht suchte sie schon jemand nach mir? Vielleicht... vielleicht konnten sie mich einfach nicht finden? Schließlich hatten diese Maskentypen nicht gerade professionell gewirkt, oder? Vielleicht waren sie selbst nur eine halbgare Gruppe von Möchtegern-Bösewichten, die nichts besseres zu tun hatten, als einen erschöpften Hasen in eine abgelegene Ecke zu verbannen.

Und da saß ich nun, starrte auf das unendliche Blau vor mir und fragte mich, ob ich mir das alles nur einredete. Vielleicht hatten sie mich schon längst gesucht und ich war einfach nicht wichtig genug, als dass jemand mich finden wollte.

Aber ich musste aufhören, mir Dinge einzureden, die ich selbst nicht wusste. Es gab nichts, was ich mit Sicherheit wusste. Nur das Meer, das stetig rauschte und die endlose Stille, die sich um mich legte, als wäre ich nur ein kleiner, vergessener Teil eines viel größeren Spiels, von dem ich keine Ahnung hatte.

Vielleicht war ich wirklich längst ersetzt worden, vielleicht auch nicht. Aber wer weiß das schon? Es war jedenfalls ein verdammt langweiliges Warten.

Okay, genug gegrübelt. Ich konnte es nicht mehr ertragen, einfach nur am Strand zu sitzen und über mein verschollenes Leben nachzudenken. Wenn ich noch einen weiteren Tag mit nichts tun verbringen würde, würde ich vermutlich irgendwann anfangen, mit den Steinen zu sprechen. Und das, mein Freund, wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Also beschloss ich, mich in Bewegung zu setzen. Sport, dachte ich, das könnte helfen. Ein bisschen action, ein bisschen Herzklopfen, vielleicht würde das meinen Kopf auf andere Gedanken bringen.

Ich stand auf, schüttelte den Sand von meinem Hosenbeinen und setzte mich in Bewegung – oder sagen wir mal, versuchte mich zu bewegen. Denn es stellte sich heraus, dass „Sport“ auf einer einsamen Insel, auf der man keine Ausrüstung hat und auch keine Ahnung von Fitness, eine ziemliche Herausforderung war.

Achtsam jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt