"So wunderschön," murmelte die Gestalt vor sich hin und rührte sich kein Stück vom Boden. Er lag da zwischen zwei Regalen, als ob es das Normalste der Welt wäre. Zögernd trat ich näher und hielt mich an meinem improvisierten „Schutz“ fest – dem Staubwedel und einem dicken Buch.
„Hallo,“ sagte ich schließlich vorsichtig, „was machen Sie da? Wir haben geschlossen.“
Langsam richtete sich die Person auf, und sofort stachen mir die großen, hasenartigen Ohren ins Auge, die aus seinem wuscheligen, grauen Haar hervorstanden. Er blinzelte mich an, seine Augen groß und leuchtend, als ob ich das Seltsamste war, das er je gesehen hatte. „Ein Mensch? Du bist doch ein Mensch, oder? Oh Gott, bist du echt!“
Bevor ich auch nur Luft holen konnte, sprang er wie ein verrückter auf und stürmte auf mich zu. Instinktiv riss ich den Staubwedel nach vorne und rief: „Bleib, wo du bist!“
Er stoppte knapp vor mir und hob die Hände, als wäre ich bewaffnet und gefährlich. „Kein Grund, den Osterhasen zu bedrohen,“ sagte er grinsend, als sei das alles nur ein Spaß für ihn. „Ich muss nur wissen, wo ich bin – und dann bin ich schon weg.“
Mir entwich ein trockenes Lachen. „Bist du verrückt?“ Ich wusste, dass das hier völlig surreal war, aber was sollte das mit dem „Osterhasen“?
Er schnaubte. „Nicht verrückter als du! Was war denn dein Plan? Mich wegzuwischen wie ein Staubkorn oder mir mit dem Buch eins überzubraten?“ Er grinste schelmisch und reichte mir seine Hand. „Ich bin jedenfalls Fips.“
Zögernd nahm ich seine Hand. „Cassy,“ erwiderte ich, und sobald unsere Hände sich berührten, spürte ich seine Wärme, als wäre er so echt wie ich selbst. Seine Hand war weich und überraschend menschlich – doch mein Blick blieb auf seinem Gesicht haften. Es war fast menschlich, zumindest bis auf die Nase, die eine leichte Hasenform hatte.
Sein Fell war von einem hübschen, silbergrauen Farbton, weich und schimmernd im schwachen Licht der Bibliothek. Um seine Hüften trug er einen Gürtel, an dem vergoldete Eier baumelten. Ich war wie hypnotisiert. Dies war eindeutig kein gewöhnlicher Mensch in einem Kostüm oder ein Einbildung – dafür fühlte sich seine Hand viel zu lebendig an.
Als ich seine Hand langsam losließ, sah er mich neugierig an. „Du glotzt ja, als wäre ich ein Geist,“ meinte er amüsiert.
„Du bist… also…“ Ich suchte nach Worten. „Der Osterhase?“
Er nickte, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. „Zumindest war ich das, bis mich diese vermummten Typen auf eine Insel verbannt haben. Aber das ist eine lange Geschichte. Sag mal, wo genau bin ich hier eigentlich gelandet?“
„Ich weiß immer noch nicht, ob du das ernst meinst oder ob du mich verarschen willst,“ murmelte ich, während ich ihn skeptisch musterte. Alles an ihm wirkte real – die langen, weichen Ohren, das silbergraue Fell, sogar das eigenartige Funkeln in seinen Augen, das mich gleichzeitig misstrauisch und neugierig machte. „Du bist in der Bibliothek von Windhaven, die eigentlich seit einer Stunde geschlossen hat. Also … wie bist du hier überhaupt reingekommen?“
Er grinste und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, als ob das die einfachste Frage der Welt wäre. „Ach, weißt du, ich war auf den Osterinseln, und dann lag da so ein altes Buch im Sand. Und bevor ich’s richtig checken konnte, bin ich Kopf über da rein gestürzt. Achterbahn fahren war nichts dagegen, sag ich dir. Zack, bumm, und hier bin ich!“
Ich riss die Augen auf und versuchte, mir das vorzustellen – ein Hase, der in ein Buch stürzt und in einer Bibliothek in Windhaven landet. Klar, warum auch nicht? War ja ein ganz normaler Montagabend. Bevor ich etwas erwidern konnte, hob er schon die Hände und rief begeistert: „Aber das heißt, ich bin zurück! Endlich kann ich meinen Brüdern eins auf die Mütze geben – dafür, dass sie mir nicht geholfen haben, die feinen Herren. Ich meine, das muss man sich mal vorstellen! Der arme Osterhase auf einer Insel gefangen und keine Sau kümmert sich!“
„Also, Moment mal …“ Ich versuchte, den Faden zu behalten. „Deine Brüder? Du hast Brüder?“
„Klar doch,“ erwiderte er schulterzuckend, als wäre das das Normalste der Welt. „Klaus, der Weihnachtsmann, Ruhn, die Zahnfee – na ja, die düstere Version davon – und Zeke, der Sandmann. Und Eos … der wurde leider zum Mond verbannt, weil seine Flamme ein bisschen zu heiß gekocht hat, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Nein, ich verstehe ehrlich gesagt gar nichts,“ erwiderte ich und schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte kaum glauben, dass ich hier gerade mit einem … ja, was eigentlich? Einem hasenartigen Typen sprach, der behauptete, der Osterhase zu sein und Brüder wie den Weihnachtsmann und die Zahnfee zu haben. Es klang wie der Stoff, aus dem meine verrücktesten Kindheitsträume waren – oder vielleicht ein wenig zu viel Staub in der Luft, der mir die Sinne vernebelte.
Er schnaufte und sah mich mit einem beinahe theatralisch leidenden Blick an. „Hast du vielleicht was zu beißen hier? Ich habe echt Hunger. Dann funktioniert auch mein Gehirn besser, und ich kann dir alles erklären. Vielleicht kennst du ja auch den Weg zu Klaus.“
„Zum Weihnachtsmann?“, fragte ich skeptisch, während ich versuchte, mein Gehirn auf Normalmodus zu schalten. Doch es war zwecklos – mit jedem Satz von ihm wurde die ganze Sache absurder.
„Ja, genau, der gute alte Klaus! Hat bestimmt mal wieder die Hände voll mit Spielsachen oder so.“ Er sah sich in der Bibliothek um, als könnte Klaus plötzlich hinter einem Regal voller Bücher hervorspringen.
Ich seufzte und spürte, wie meine innere Vernunft langsam kapitulierte. „Also gut … warte hier. Ich glaube, ich habe in meiner Tasche noch einen Müsliriegel.“
Ich schob mich hinter den Tresen und kramte in meiner Tasche, bis ich einen halb zerquetschten Müsliriegel fand. Als ich ihn ihm reichte, nahm er ihn mit einem selig lächelnden Gesichtsausdruck entgegen und biss herzhaft hinein, als wäre es das beste Festmahl seines Lebens. Während er kaute, schien er sich zu sammeln und schloss kurz die Augen.
„Okay,“ murmelte er dann, als er fertig war und die Krümel abklopfte, „jetzt kann ich klarer denken. Danke, Cassy, du bist ein Schatz. Also, wo fange ich an?“ Er zog seine langen Ohren ein wenig nachdenklich zurück, dann grinste er wieder verschmitzt.
„Vielleicht fangen wir damit an, wie du in mein Leben gestürzt bist und was das mit dem Buch zu tun hat,“ schlug ich vor und lehnte mich an das Regal. „Und wie du bitte schön vom Osterhasen, von Klaus und diesen ganzen anderen … Gestalten redest, als wären sie wirklich Teil deiner Familie.“
Er grinste noch breiter. „Na dann, halt dich fest, Cassy. Es wird verrückt, aber ich schwöre dir, ich habe noch nie etwas so ernst gemeint.“
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Achtsam jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FF
FanfictionKeine Panik, Leute - das hier wird kein Buch über Achtsamkeit. Ich weiß, der Titel klingt, als ob gleich Meditations-Tipps und Rezepte für Smoothies folgen würden. Keine Sorge, hab selbst keine Ahnung von dem Zeug. Aber irgendeinen Titel musste das...