„Ich wollte nicht mehr leben. Daran hat sie nie etwas geändert."
Stechende Gänsehaut. Sie lief über meinen Rücken, so stark, dass ich mich unter der Decke zusammenkauerte. Trotz der Wärme des Feuers vor mir und der Hitze, die Morgan hinter mir ausstrahlte, war mir kalt. Und das schon seit Stunden.
Morgan schlief schon einige Zeit. Wie die Nächte zuvor ruhte sie dicht neben mir. Ihre Rute lag über meinen Beinen und mein Kopf lehnte an ihrer Schulter. Das graue Fell ihrer riesigen Pfoten war weich, als ich es leicht berührte.
Warum sie das tat, obwohl sie mich in ihrer menschlichen Form kaum beachtete, wusste ich nicht. Vielleicht merkte sie, wie einsam ich mich manchmal fühlte und hatte Mitleid. Vielleicht war sie aber auch einfach nur genau so allein wie ich. Genau so allein, wie Dean sich fühlte.„Schließlich kann ich nicht sterben. Ich habe schon genug Dinge ausprobiert."
Seufzend öffnete ich meine Augen und starrte in die lodernden Flammen. Wenn das so weiter ging, konnte ich den Schlaf diese Nacht vergessen. Schon wieder.
„Kannst du nicht schlafen?"
Es war ungewohnt, Masons Stimme in der Dunkelheit zu hören. Meist war er weg, während ich schlief. Aber da ich ja nicht schlief...
„Warum bist du hier?", entgegnete ich, meine Stimme rau vom stundenlangen Schweigen. Aufmerksam suchten meine Augen den hellen Kreis des Feuers ab, doch ich fand ihn nicht. Aiden war ebenfalls nirgends zu sehen, nur Dean war da. Näher als sonst, seine Füße berührten fast die meinen, doch sein Blick war nur auf die Seiten des Buches gerichtet.
„Autsch. Das nehme ich persönlich", kicherte Mason, worauf ich nur die Augen verdrehte. Vorsichtig, um Morgan nicht zu wecken, drehte ich mich auf den Rücken und folgte seiner Stimme.
„Was machst du da oben?", fragte ich, sobald ich ihn sitzend auf einem Ast fand – direkt über uns beiden.
„Was machst du da unten?", konterte er, sein Gesicht verdeckt von der Dunkelheit. „In den Klauen des Bösen, nebenbei angemerkt."
„Sie ist warm."
„Du hättest uns ruhig fragen können, falls du wen zum Kuscheln brauchst." Das Holz knackte, als er sich umsetzte und dann kopfüber vom Ast hängen ließ. Nun konnte ich seine verspielten Züge sehen. Seine Arme baumelten nach unten, als wollte er nach mir greifen.
„Ich brauche niemanden zum Kuscheln."
Wie es wohl war, wieder in den Armen eines Menschen zu liegen? Wie es wohl war in... zwei ganz bestimmten Armen zu liegen? Automatisch wanderte mein Blick zu Dean.
„Sicher? Irgendwie glaube ich dir das nicht." Masons lachte leise und in seinen Augen blitzte der Schelm auf. Er schaute zwischen mir und Dean hin und her und trieb mir die Hitze in die Wangen.
Heimlich schielte ich zurück zu Dean, nur um gleich darauf wieder wegzuschauen, denn seine Aufmerksamkeit lag definitiv nicht mehr bei dem Buch.
„Sag mal Mel, du hast uns doch von diesem Will-Typen erzählt. Wie lange wart ihr zusammen unterwegs?", fragte Mason.
„Wie kommst du darauf?", entgegnete ich abwehrend. Wollte er mich noch mehr blamieren? Ich hätte meine Augen zu lassen sollen.
„Wir haben gerade übers Kuscheln gesprochen. Ich gehe mal davon aus, dass er die letzte Person war, die du eine lange Zeit gesehen hast."
„Ich weiß nicht, wie lange wir zusammen waren. Vielleicht ein paar Monate", beantwortete ich seine Frage, in der Hoffnung, es würde ihn befriedigen.
„Wie war er so?"
Natürlich konnte er das Thema nicht fallenlassen. Genervt drehte ich mich wieder auf meine Seite, doch er verstand meine stille Antwort nicht. Oder er wollte sie nicht verstehen.
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Long Way
FantasyNeuauflage von 'Andere Welten - Nichts wie es einmal war' In einer Welt, in der es keine Normalität gibt, ist nichts außergewöhnlich. Das glaubt zumindest Melanie. Durch Verlust und Einsamkeit geprägt versucht sie mit allen Mitteln nicht in die Fäng...