Kapitel 14

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Es ist immer noch alles schwarz. Jedoch merke ich, wie sich meine Lungen immer wieder regelmäßig mit Luft füllen, langsam und schwer, als würde jemand oder etwas darauf liegen und um jeden Preis verhindern, dass Leben in mich kehrt. Der Tod, der versucht, das restliche Leben aus mir entweichen zu lassen?
Ist es so, wenn man tot ist? Man ist irgendwo im Nirgendwo und atmet? Ganz allein bis in alle Ewigkeit?
Egal was das hier ist, schlimmer als die Zeit mit Marc kann es unmöglich sein.
"Hallo?", frage ich mit Kratzbürsten-Stimme in die Dunkelheit. Der Klang hallt sanft von irgendwo wieder, als würde er einfach nur abprallen und zu mir zurückkehren und dann verstummen.
So kann ich endlose Gespräche mit mir selbst führen. Das verbessert die Lage natürlich ungemein.
"Hallo?", frage ich nun mit etwas festerer Stimme. Wieder scheint es, als würde der Klang zu mir zurück hechten. Diesmal jedoch nicht sanft, sondern viel lauter, aggressiver, dröhnender. Und er kommt nicht zurück zu mir, sondern geht an mir vorbei und katapultiert sich anschließend wieder in die entgegengesetzte Richtung. Das passiert wieder und wieder, es wird lauter und lauter und scheint von überallher zu kommen. Licht flackert, was die gruselige Situation der zunehmenden Lautstärke noch unterstreicht. Hell, dunkel, hell, dunkel, hell.
Ich will mir die Hände auf die Ohren pressen und nie mehr von dort wegnehmen, aber ich kann sie nicht bewegen. Ich habe keine Kontrolle mehr über das, was mein Körper tut. Ich kreische und brülle und schreie dagegen an bis meine Stimme beinahe versagt. Es wird wieder dunkel.
Die Luft um mich herum scheint zu vibrieren von der unerträglichen Lautstärke und Intensität der Echos. Die Echos überschlagen sich, verdoppeln sich, werden lauter und schneller, hetzender, aggressiver. Sie legen sich übereinander, sodass es so klingt, als würde man sich von überallher entgegenbrüllen und -kreischen. Das Licht springt wieder an, ich kneife die Augen zu.
Es entstehen Echos von Echos, die dann wieder zurückgeworfen werfen. Ich kreische dagegen an, in der Hoffnung, mit meinem bewussten Schrei den Wahnsinn zu übertönen. Doch auch das ist eher ein Eigentor, nur ein weiteres Echo, das mir das Trommelfell zu zerreißen droht.
Mit einem Mal ist es still, totenstill. Erst jetzt kann ich meinen viel zu schnellen Herzschlag hören und beinahe sogar, wie das Blut durch meinen Körper rauscht.
Ich schließe meine Augen wieder, bin vollkommen erschöpft.
Doch wie kann das alles sein, wenn ich doch tot bin? Und ich muss tot sein, ich bin gestorben. Ertrunken, um genau zu sein. Das war alles andere als angenehm und ich finde, ich habe mir den Tod mehr als verdient.
Der letzte Gedanke hinterlässt einen seltsam trotzigen Nachgeschmack, falls Gedanken überhaupt einen Geschmack haben können, was ich zu bezweifeln wage. Wahrscheinlich nicht. Man kann doch keine Gedanken schmecken... Geschmacksknospen auf der Hirnhaut oder auf Synapsen oder wie auch immer Gedanken entstehen. Wie entstehen Gedanken? Die Wissenschaft weiß es natürlich längst, aber ich war immer zu faul, die neuesten Berichte zu lesen. Wie zur Hölle -oder sollte ich sagen zum Marc?- entstehen Gedanken? Irgendwelche Sätze und Fragen und Ideen, die in uns herumschwirren und aus Wörtern bestehen, jedoch nicht als geschriebene Wörter oder nichtmal als vollständige Sätze gesehen werden?
Sind das die Art von Überlegungen, die man im Tod bis in die Ewigkeit macht? Gedanken, die irgendwie entstehen und sich immer wieder wiederholen? Wiederholen sie sich denn? Wie lange dauert es wohl, bis man alle möglichen Themen durchdacht hat?
Gott -oder wer auch immer- steh mir bei, falls das hier nicht enden sollte.
Um mich abzulenken, sehe ich mich um. Es sieht hier weder so aus, wie man sich die Hölle vorstellt, noch so, wie man sich den Himmel oder das Paradies vorstellt. Ein kahler Raum ohne jegliche Einrichtung, bis auf den weißen Sessel, auf dem ich vorhin noch saß. Offensichtlich bin ich während der dröhnenden Echos aufgesprungen, jetzt stehe ich schräg vor dem Sessel. Er wirkt sehr viel bequemer als er ist, die glänzenden Kissen vermitteln einen völlig falschen Eindruck. Sie sehen aus wie schimmernde Wolken, fühlen sich jedoch an wie Steinplatten in einem Kissenbezug. Also bleibe ich stehen, denn das ist allemal bequemer und angenehmer als dieser Stein-Sessel.
Welche Uhrzeit haben wir gerade? Ist es Tag oder Nacht? Gibt es so etwas nach dem Tod überhaupt noch? Bin ich einfach nur in-
In diesem Moment unterbricht ein schriller Schrei meine Gedanken. Er dringt durch die Zimmerdecke zu mir.
Leben alle Toten gemeinsam in solchen kahlen Räumen wie in einem Hochhaus zusammen und durchleben immer und immer wieder Situationen, die Foltermethoden gleichkommen?
Noch ein Schrei. Hoch und sogar irgendwie kindlich. Wie der eines jungen Mädchens.
Ich drehe mich nach links und gehe auf die Wand zu, um mein Ohr dagegen zu pressen und eventuell noch mehr Leute zu hören, die vielleicht direkt neben mir sind. Die Wand ist angenehm kühl, nicht zu kalt aber auch keine Raumtemperatur.
Ich höre nichts, also gehe ich ein Stück weiter und dann noch eins und noch eins. Dann stehe ich in der Ecke und gehe an der nächsten Wandseite entlang. Vermutlich sehe ich ziemlich so aus, als hätte ich sie nicht mehr alle. Aber ich bin tot, wen kümmert es jetzt noch, wie ich aussehe oder wie ich mich benehme?
"Was tust du da, Prinzessin"
Mit einem Schlag scheint die Wand wie eingefroren, ebenso wie die Luft um mich herum und das Blut in meinen Adern. Blut schießt mir in den Kopf und pocht in meinen Schläfen, so als wollte es sich vor der plötzlichen Kälte retten.
Wie ein dunkler Wirbelsturm drehe ich mich um, meine dunklen Haare fliegen durch die Luft und sind das Einzige, das mich vor der weißen Wand erkennbar macht. Und mein blutroter Kopf natürlich im Moment. Ein paar Strähnen bleiben an meiner Nase hängen oder kleben an meinen feuchten Lippen. Als ich den Albtraum höchstpersönlich auf dem Stein-Sessel sitzen sehe, traue ich mich nicht, auch nur einen Muskel zu bewegen. Mit dem Rücken an die Wand gepresst starre ich einfach nur mit der vermutlich schnellsten Atemgeschwindigkeit der Menschheit ans andere Ende des Zimmers. Die paar Haarsträhnen in meinem Gesicht wippen mit meinem Atem hin und her und streichen immer wieder leicht über meine Haut, doch angesichts der Lage fühlt es sich eher an wie klebrige Fäden des Todes, die nicht von mir ablassen wollen.
Da sitzt er in schwarzem Anzug mit roter Fliege um den Hals. Nur sein nicht ganz perfekt sitzendes Haar verrät, dass er wohl doch etwas mitgenommen wurde von irgendetwas.
"Du bist nicht real", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Ich bin tot, du bist nicht echt. Nur eine Wiederproduktion meiner Albträume."
"Ich hätte mir denken müssen, dass du das denkst", sagt er gelangweilt und sieht mich mit Bedauern an. "Aber ich bin sehr real, das kannst du mir glauben, Prinzessin."
"Das hier ist mein Leben nach dem Tod und ich will dich nicht dabei haben. Geh."
"So schnell wirst du mich nicht los, wir werden noch so viel mehr Spas gemeinsam haben", eröffnet er mir mit freundenstrahlenden Augen. Komplett durchgeknallt.
"Du kannst mir hier nichts mehr tun. Das hier ist meine Gedankenwelt. Pah, selbst wenn! Du kannst mih nicht mehr umbringen, ich bin doch schon tot!" Langsam hebe ich meinen Kopf von meiner Brust, meine Stimme wird fester und diesmal hallt sie nicht mehrfach wieder sondern bleibt wie ein dunkler Nebel zwischen mir und Marc hängen.
"Es tut mir wirklich außerordentlich leid, dir mitteilen zu müssen, dass du im Unrecht bist. Du bist nicht gestorben, nicht ertrunken. Kurz nacheem das Becken -oder wie auch immer du es nennen willst- vollgelaufen war, hat sich die Decke geöffnet und du bist hier gelandet. Ein einfacher Automatismus, nichts besonderes." Er prahlt damit, erfreut sich an der Erinnerung daran. Ein perverser Psychopath.
"Du bist doch krank."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 29, 2015 ⏰

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