Familienwiedersehen

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Noch einmal drehte ich mich um. Hinter uns lag der Wald, still und düster, während vor uns das prächtige, aber irgendwie unheimliche Hotel der Zahnfee aufragte.

„Wo sind die, die uns verfolgt haben?" fragte ich, noch immer verwirrt und außer Atem.

Zeke zuckte lässig mit den Schultern, ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen. „Im Traumland, wo sie hingehören. Die können uns nichts mehr anhaben. Glaube ich."

Glaube ich?" wiederholte ich, doch Zeke schien das nicht zu kümmern. Stattdessen legte er einen Arm um Fips' Schultern, was diesen sichtlich irritierte.

„Also, Meister Möhre," begann Zeke, und ich konnte nicht verhindern, dass ein kleines Lachen aus mir herausbrach, „wo brennt's denn? Du schickst mir doch nicht einfach so einen Menschen ins Traumland. Und noch dazu einen so..." Er machte eine bedeutungsvolle Pause und musterte mich von oben bis unten, bevor er das Wort mit einem schiefen Grinsen aussprach: „...speziellen."

„Speziell? Das soll wohl ein Kompliment sein," murmelte ich trocken.

Fips schüttelte Zekes Arm ab und funkelte ihn an. „Wir haben keine Zeit für deine Spielchen, Zeke! Rhun braucht uns!" sagte er, ungewohnt ernst. Seine Stimme hatte eine Dringlichkeit, die ich bisher selten bei ihm gehört hatte.

Bevor ich groß nachfragen konnte, stützte Fips mich vorsichtig und half mir, Richtung Hoteleingang zu gehen.

Zeke folgte uns, ließ uns aber wortlos den Vortritt. Das Grinsen war zwar noch da, doch in seinen Augen blitzte etwas anderes auf – eine Mischung aus Interesse und Unbehagen.

Ich verstand immer noch nicht, wie wir plötzlich hierhergekommen waren. Gerade eben war ich doch noch durch den Sand geflogen, mit jedem Muskel in meinem Körper protestierend. Jetzt jedoch standen wir in einem Hotel, und der feine Sand rieselte immer noch aus meinen Klamotten. Unter meinen Schuhen knirschte es bei jedem Schritt.

Fips zog mich mit sich, seine Hand fest an meinem Arm, und ich war ihm dankbar. Mein Körper fühlte sich an wie ein einziger, schmerzender blauer Fleck. Der Sturz vom Quatt hatte mich mehr mitgenommen, als ich zugeben wollte.

Wir traten in einen großen Raum. Es war eine merkwürdige Mischung aus modern und altmodisch – ein großer Tisch in der Mitte, Ledersessel, dazu aber helle, sterile Lampen, die wie aus einem Labor wirkten.

Ein Mann in einer roten Lederjacke sah von seinem Handy auf. Er musterte mich kurz, dann ließ er seinen Blick weiter zu Zeke wandern.

„Sonst kommen doch nur an Weihnachten alle zusammen," bemerkte er lachend, doch seine Augen blieben skeptisch.

„Hallo, Klaus," antwortete Zeke genervt, ohne den Humor zu erwidern.

Ich blinzelte. Das sollte der Weihnachtsmann sein? Ich hatte mir ihn... anders vorgestellt. Älter. Rundlicher. Vollbärtiger. Doch Klaus war jung und schlank, fast athletisch, und hatte nichts von dem gemütlichen Bild, das ich mit dem Weihnachtsmann verband.

Fips führte mich um den großen Tisch herum.

Auf einem der Sofas lag jemand. Ein Arm hing kraftlos herunter, die Person wirkte, als würde sie kaum noch die Kraft haben, zu atmen.

„Rhun?" fragte Zeke hinter mir. Seine Stimme hatte plötzlich einen anderen Ton. Er klang überrascht. Vielleicht sogar besorgt.

Er drängte sich an uns vorbei und kniete sich vor die Gestalt auf dem Sofa.

„Du siehst von allen sieben Monden am schlimmsten aus," wisperte er leise, während er die Person ansah. Seine Stimme war sanft, fast fürsorglich. Es war ein Zeke, den ich bisher nicht kannte – ein Zeke, der keine Spur von Wahnsinn in sich trug.

„Was ist geschehen?" fragte er.

„Hab mich gehen lassen," antwortete Rhun schwach, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

„Das Dream Dental Team ist wieder vereint," schnaubte Fips trocken neben mir.

Ich verstand den Witz nicht ganz, aber der beißende Sarkasmus war unüberhörbar. Zeke drehte sich kurz zu ihm um, doch er sagte nichts. Stattdessen wandte er sich wieder Rhun zu, und die beiden schienen für einen Moment in einer stillen Unterhaltung zu verharren, die niemand sonst zu stören wagte.

„Wer hat denn hier eine Sandkiste ausgekippt?" schimpfte plötzlich eine Stimme, die ich sofort erkannte. Minty war in den Raum getreten, und ihre feinen, immer perfekten Locken wippten vor Empörung. Sie musterte mich und den Sand, der sich in einer kleinen Spur hinter mir auf dem Boden verteilt hatte.

„Cassy! Du bist zurück, wie wunderbar!" Ihre Tonlage wechselte blitzartig von genervt zu freudestrahlend, und sie eilte auf mich zu.

Ich hätte mich fast über ihre herzliche Begrüßung gefreut, bis sie neben mir stehen blieb und ihren Blick auf Zeke richtete, der noch immer vor Rhun kniete.

„Und du hast ihn mitgebracht," sagte sie in einem deutlich resignierteren Tonfall.

„Minty, ich freue mich auch über jede Sekunde, dich nicht sehen zu müssen," grinste Zeke, richtete sich auf und streckte sich demonstrativ.

Minty runzelte die Nase und musterte ihn angewidert von oben bis unten. „Ihr beide müsst euch unbedingt sauber machen. Wann wurden diese Sachen zuletzt gewaschen, Zeke?" fragte sie, ihre Stimme triefte vor Abscheu.

Zeke kratzte sich nachdenklich am Kinn, als müsste er ernsthaft überlegen. „Ich schätze, das war beim Schneesturm 1978, als wir hier festsaßen – wegen diesem dämlichen ‚An Weihnachten kommen wir alle zusammen'-Ding."

Er wandte sich wieder zu Rhun um und zuckte entschuldigend die Schultern. „Entschuldige, Brüderchen, deine Haushälterin bekommt sonst Schnappatmungen."

Es war unverkennbar, dass Zeke und Minty sich nicht ausstehen konnten. Ihre gegenseitigen Spitzen hatten eine geschliffene Präzision, die nur aus jahrelanger Feindseligkeit stammen konnte.

„Schön, diese Stimmungskiller," seufzte Fips „Es hätte so ein schönes Familienwiedersehen werden können."

Er drehte sich zu mir um, seine Miene plötzlich viel geschäftiger. „Komm, Cassy, du machst dich frisch, und ich suche dir was Neues zum Anziehen. Dieser Klamottenstil sollte ohnehin verboten werden. Aber so ist das halt – Zeke hat eben den schlechtesten Style von uns allen."

„Lieber einen schlechten Style als nicht die Fähigkeit, Probleme allein zu lösen," entgegnete Zeke ohne Zögern, während er sich umdrehte und beide Hände in die Hüften stemmte. „Nicht wahr, Fips und Klaus? Oder warum schafft ihr es kein einziges Mal, das Richtige zu tun?"

Klaus richtete sich langsam von der Wand auf, und Fips drehte sich mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung zu Zeke um. Es war klar, dass beide antworten wollten, aber bevor auch nur ein Wort fiel, ertönte eine andere Stimme.

„Der Tod wird mir immer sympathischer, anstelle eurer Zänkereien," erklang Rhuns leise, raue Stimme.

Langsam, als würde jede Bewegung schmerzen, erhob er sich vom Sofa und kam neben Zeke zum Stehen. Seine blutunterlaufenen Augen glitten mit einer kühlen Autorität über den Raum, bis sie schließlich an mir hängen blieben.

„Und gebt der Armen etwas Vernünftiges zum Anziehen," fügte er hinzu, seine Stimme erschöpft, aber durchdringend.

Zeke warf dramatisch die Hände in die Luft, ein Ausdruck purer Verzweiflung auf seinem Gesicht. Fips kicherte leise hinter mir, und ich konnte mir ein winziges Lächeln nicht verkneifen. Selbst Rhun, in seinem offensichtlich geschwächten Zustand, hatte es geschafft, Zeke indirekt zu dissen.


Achtsam jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt