Leise Musik drang aus meinem Handy, das ich achtlos neben mich auf den Küchentisch gelegt hatte. Die Töne waren gedämpft, fast als wollten sie die Stille im Raum nicht stören. Ich saß dort, allein, mit dem Ellenbogen auf der kühlen Holzplatte abgestützt und massierte meine Schläfen in kleinen, kreisenden Bewegungen. Der Druck half ein wenig, die Spannung aus meinem Kopf zu vertreiben, doch die Gedanken in meinem Inneren ließen sich nicht so leicht beruhigen.
Vor mir auf dem Tisch stand eine halb geleerte Weinflasche. Ihr dunkelrotes Glas schimmerte schwach im schummrigen Licht der Deckenlampe. Ich betrachtete sie für einen Moment, fast so, als könnte ich darin Antworten finden. Der Geschmack des Weins lag noch auf meiner Zunge – ein bisschen zu säuerlich, ein bisschen zu stark. Ich schnaubte leise und schüttelte den Kopf. Natürlich hatte ich den billigen Wein aufgemacht. Hätte ich auch nur eine Sekunde nachgedacht, hätte ich den besseren genommen, der noch hinten im Regal stand, für besondere Anlässe reserviert. Oder für was auch immer Mona diesen aufbewarte.
Ich griff nach meinem Glas und drehte es langsam in der Hand, beobachtete, wie der rote Wein an den Innenwänden hinunterlief. Der Duft stieg mir in die Nase, schwer und erdig, und ich schloss für einen Moment die Augen. Vielleicht würde das nächste Glas besser schmecken.
Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als die Küchentür sich öffnete und jemand den Raum betrat. Ich hatte nicht damit gerechnet, Gesellschaft zu bekommen, und blinzelte überrascht auf. Mona. Ihre Schritte waren leise, fast vorsichtig, und doch zog sie sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Das sie ihr Arbeitszimmer verlässt, oh ein Wunder.
In ihren Händen balancierte sie einen leeren Teller, den sie zielsicher zur Spülmaschine trug. Das leise Klirren des Porzellans klang beinahe harmonisch in der Stille, die ich mir mit der Musik geschaffen hatte. Mona wirkte entspannt, als sie die Spülmaschine öffnete und den Teller darin verstaute.
Sie drehte sich zu mir um, lehnte sich leicht gegen die Küchenzeile und suchte meinen Blick. Ihre Augen hielten meinen fest, ohne zu zögern, als sie sagte: „Das Essen war lecker, danke.“
Ihre Stimme war ruhig, fast beiläufig, aber irgendetwas daran brachte mich aus dem Konzept. Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte, und so nickte ich nur. Ein stilles, wortloses Dankeschön.
Ich hätte erwartet, dass sie wieder geht, aber Mona blieb. Sie musterte mich mit einer leichten Neugier, die ich nicht ganz deuten konnte. Mein Blick wanderte zu ihrem Haar, das ein wenig zerzaust aussah, ihre Augen waren geschmückt mit Augenringen
und dann zu ihren Händen, die sich nun hinter ihrem Rücken verschränkten, als wäre sie unsicher, ob sie bleiben sollte oder nicht.Innerlich kämpfte ich darum, meine Fassade aufrechtzuerhalten, doch ich spürte, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich. Es war ein stilles, fast scheues Lächeln, das ich mir hätte verkneifen sollen – aber ich konnte nicht anders.
„Gern geschehen“, murmelte ich schließlich, und meine Stimme klang brüchiger, als ich erwartet hatte.
„Ich weiß, dass in deinem Kopf gerade tausend kleine Fragezeichen herumschwirren“, sagte Mona leise, ihre Stimme klang ungewohnt sanft. Sie drehte sich zur Küchenzeile um, griff nach einem Weinglas und füllte es mit der tiefroten Flüssigkeit aus der geöffneten Flasche, die schon bereitstand.
Ich beobachtete sie stumm, überrascht von ihrer plötzlichen Offenheit, als sie weitersprach.
„Wir haben uns vor dreizehn Jahren kennengelernt“, begann sie, den Blick auf das Glas in ihrer Hand gerichtet. Ihre Finger strichen langsam über den Rand, als suchten sie Halt an etwas Vertrautem. „Sie ist einfach in mein Leben gestolpert, als hätte das Schicksal es so gewollt. Und von da an… hat sie mich nicht mehr in Ruhe gelassen.“ Mona lächelte bei der Erinnerung, ein leises, bittersüßes Lächeln. „Ich fand sie großartig. Sie war immer für mich da. Es war, als würde sie alles um mich herum heller machen.“
Sie nahm einen Schluck Wein, ließ die Worte für einen Moment in der Stille des Raumes nachklingen.
„Wir haben uns ineinander verliebt“, fuhr sie schließlich fort. „Es war nicht geplant, es hat uns einfach überrollt. Wir haben uns so schnell entschieden zu heiraten, so spontan, dass es fast wie ein Abenteuer wirkte.“
Ich spürte, wie meine Brust sich zusammenzog. Ihre Stimme trug einen Hauch von Nostalgie, aber auch von Traurigkeit.
„Aber es war nicht immer leicht“, fügte sie hinzu, und ihr Blick verdunkelte sich. „Wir hatten oft Streit – schlimme Streitigkeiten, bei denen wir beide unsere Grenzen verloren haben. Und dann… nach der Sache mit der Entführung…“ Sie hielt inne, als müsste sie die Worte erst sortieren, bevor sie sie laut aussprechen konnte. „… war ich ein anderer Mensch. Das kannst du dir denken“, sagte sie schließlich, mit einem angestrengten Lächeln, das kaum ihre inneren Wunden verdecken konnte.
Ich nickte stumm, obwohl ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
„An einem Abend“, begann sie wieder, ihre Stimme nun rauer, „hatten wir wieder einen dieser Streits. Sie war so wütend, und ich… ich war nicht besser. Sie sagte, sie müsse raus, sie könne mich nicht mehr sehen. Sie wollte zu ihrer Oma fahren, einfach Abstand gewinnen.“ Mona nahm einen großen Schluck Wein, fast als wollte sie den bitteren Geschmack der Erinnerung hinunterspülen.„Dann hatte sie den Unfall.“
Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag, obwohl ich wusste, dass da noch mehr kam. Mona starrte auf das fast leere Glas in ihrer Hand, ihr Gesicht war jetzt ein undurchdringlicher Schleier aus Schmerz.
„Und dann“, ihre Stimme wurde noch leiser, „habe ich dich zum ersten Mal in den Vorlesungen gesehen.“ Sie sah mich an, und ihr Blick war so intensiv, dass ich mich nicht rühren konnte. „Du bist mir sofort aufgefallen. Ich weiß nicht, was es war, aber da war etwas an dir… Etwas, das mich an sie erinnert hat. Oder vielleicht etwas, das ich gebraucht habe.“
Sie senkte den Blick wieder, drehte das Glas in ihrer Hand. „Ich wusste, dass sie durch ihre Verletzungen nicht mehr aufwachen würde. Aber ich konnte sie nicht gehen lassen. Ich war zu feige.“
Ihre Stimme brach beinahe, aber sie zwang sich, weiterzusprechen. „Ich… ich hätte es besser wissen müssen. Als Ärztin… hätte ich es am besten wissen müssen. Ich hätte die Maschinen abstellen sollen. Aber ich konnte nicht.“ Sie legte das Glas vorsichtig auf die Theke und ließ ihre Hände sinken.
„Vielleicht“, flüsterte sie, „weil ich mich schuldig fühlen wollte. Weil ich wusste, dass der Unfall meine Schuld war. Hätten wir uns nicht gestritten, wäre sie nie in dieses Auto gestiegen. Wäre der Unfall nicht gewesen hätte ich mich nicht auf dich einlassen Ella."
Die Stille danach war drückend, kaum auszuhalten. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte – was konnte man auf so etwas überhaupt sagen? Wie meinte sie das?
,,Es war nicht deine Schuld Mona." War das einzige was mir einfiel. Ich war so überrascht, dass sie sich mir öffnete.
Mona nickte knapp, bevor sie sich schließlich von der Küchenzeile abstieß. Ihre Schritte hallten leise auf den Fliesen wider, als sie sich wieder Richtung Tür wandte. Doch bevor sie den Raum verließ, warf sie mir einen letzten Blick zu. „Gute Nacht, Ella.“
„Gute Nacht“, erwiderte ich leise, aber da war sie schon verschwunden. Die Tür schloss sich hinter ihr mit einem sanften Klick und die Stille kehrte zurück.
Ich starrte auf die halb leere Weinflasche vor mir und spürte, wie mein Herz schneller schlug, ohne dass ich genau wusste, warum.
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Die Professorin- Grenze Der Macht
Short StoryDies ist die Fortsetzung von dem ersten Teil ,,Die Professorin - Das Machtspiel", es empfiehlt sich also diesen Teil zuerst zu lesen. Ich wagte es nicht, die Augen zu öffnen, aus Angst, den Moment zu zerstören. Ihre Berührungen waren vertraut, aber...