Aufbruch ins ungewisse

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„Caaassssyyy!" Zekes Ruf durchbrach die Stille des Hauses wie ein Donnerknall. Vor Schreck zuckte ich zusammen, während Seraphine und Azhar sich irritiert ansahen.

„Ja?" rief ich zurück, doch keine Antwort kam. Einen Moment zögerte ich, dann stand ich auf und eilte die Treppe hinauf.

„Was ist los?" fragte ich, als ich das Zimmer betrat. Zeke lag noch immer wie ein plattgewalzter Seestern auf dem Bett, die Augen zur Decke gerichtet.

„Kann ich jetzt endlich aufstehen?" fragte er jammernd, ohne mich anzusehen. „Liegen und nichts tun ist anstrengender, als ich dachte."

Ich verdrehte die Augen. „Wenn du das Gefühl hast, dass es dir besser geht, kannst du aufstehen," wiederholte ich, was ich ihm schon zuvor gesagt hatte, als wir darüber diskutierten, dass er überhaupt liegen bleiben sollte.

„Endlich!" seufzte Zeke dramatisch und sprang aus dem Bett, als hätte ihn jemand gestochen. Mit energischen Schritten schob er sich an mir vorbei und ging hinaus. „Es wird auch Zeit, dass wir aufbrechen."

„Aufbrechen? Wohin?" fragte ich verdutzt und folgte ihm, während er den Flur entlangmarschierte.

Zeke drehte sich abrupt zu mir um, seine grünen Augen funkelten unheilvoll. „Wir verlassen das Traumland."

Ich blieb wie angewurzelt stehen. „Hältst du das für eine gute Idee?" rief ich ihm hinterher und beeilte mich, mit seinen schnellen Schritten mitzuhalten.

„Ich halte es für eine ausgezeichnete Idee!" rief er übermütig und streckte beide Arme in die Luft. Doch plötzlich blieb er abrupt stehen, und ich konnte nur knapp verhindern, in ihn hineinzulaufen.

„Aber eines dürfen wir nicht vergessen," sagte er bedeutungsvoll und blickte mich mit einem schelmischen Grinsen an.

„Und das wäre?" fragte ich skeptisch.

Zeke grinste noch breiter, öffnete seine Hand, und eine Handvoll Sand wirbelte mir direkt ins Gesicht. „Das passende Abenteuer-Outfit natürlich!" rief er vergnügt.

Ich nieste, blinzelte den Sand weg und bemerkte mit wachsender Verwunderung, wie sich meine Kleidung veränderte. Der Stoff wurde fester, schwerer. Schnell lief ich zu einem großen Spiegel im Flur und warf einen Blick hinein.

Was ich sah, ließ mich staunen: ein lederner Einteiler, verziert mit goldenen Mustern an Ärmeln und Beinen. Um meinen Hals hing ein beiges Tuch, das perfekt mit dem Outfit harmonierte. Und als Krönung saß eine Fliegerbrille auf meinem Kopf, die Zekes Brille auffällig ähnlich sah.

„Na?" fragte Zeke hinter mir, seine Stimme voller Stolz. „Sieht doch super aus, oder?"

„Super?" wiederholte ich trocken, doch er hatte sich schon umgedreht und verschwand durch eine der unzähligen Türen.

„Pack die Drachen ein, wir wollen los!" rief er über die Schulter, bevor die Tür mit einem leisen Knarzen ins Schloss fiel.

Ich ließ die Schultern sinken und seufzte. Typisch Zeke.

Mit langsamen Schritten machte ich mich auf den Weg zurück zur Küche. Dort angekommen, spürte ich Azhar und Seraphines neugierige Blicke auf mir. Der goldene Drache musterte mein neues Outfit mit hochgezogener Augenbraue.

„Du hattest recht," sagte ich schließlich an Seraphine gewandt, während ich den Gürtel des Einteilers zurechtrückte. „Er will weg von hier."

Seraphine schnaubte leise und legte die Arme vor der Brust zusammen. „Natürlich will er das. Weglaufen war schon immer Zekes bevorzugte Strategie, wenn es ernst wurde."

„Aber jetzt fühlt er sich vor sich selbst bedroht, oder?" fragte ich und ließ mich zurück an den Tisch sinken. Der lederne Einteiler quietschte leise, und ich zog das Tuch um meinen Hals zurecht. „Er ist nicht nur vor irgendetwas auf der Flucht – er rennt vor sich selbst weg."

Azhar nickte langsam und faltete seine goldenen Pfoten auf der Tischplatte. „Ja, das tut er. Und es macht die Sache nur gefährlicher. Wenn Zeke die Kontrolle über sich verliert, werden wir nicht nur ihn, sondern auch alle um ihn herum schützen müssen."

„Was schlägst du vor, Cassy?" fragte Seraphine, ihre Stimme nüchtern und ernst.

Ich blickte auf die Tür, durch die Zeke vor wenigen Minuten verschwunden war. Irgendwo da draußen plante er bereits das nächste große Abenteuer, ohne Rücksicht auf das Chaos, das er hinterlassen könnte. „Ich gehe mit ihm," sagte ich schließlich.

„Was?!" rief Azhar, seine Augen weiteten sich entsetzt.

„Er vertraut mir," erklärte ich. „Und wenn er jemanden braucht, der ihn daran erinnert, wer er ist, dann bin ich wohl die Einzige, die das schaffen kann. Ihr habt doch selbst gesagt, dass niemand seine Brüder ersetzen kann."

Seraphine schnaufte und legte ihre kleinen, glänzenden Arme vor der Brust übereinander. „Du bist mutig, Mensch. Oder dumm. Vielleicht beides. Aber du hast nicht ganz unrecht. Zeke wird jemanden brauchen, der ihn erdet."

„Dann ist es entschieden," sagte Azhar mit einem Hauch von Stolz in seiner Stimme. „Ich werde euch begleiten."

„Ich auch," fügte Seraphine hinzu.

Ich hob überrascht die Brauen. „Ihr wollt wirklich mitkommen?"

Seraphine verdrehte die Augen. „Natürlich. Ohne uns wärst du in fünf Minuten tot. Oder schlimmer, verloren."

„Ich weiß nicht, ob ich dankbar sein oder beleidigt sein soll," murmelte ich erneut, was Azhar ein leises Lachen entlockte.

„Packen wir zusammen," sagte er schließlich. „Zeke wartet bestimmt nicht lange."

Ich nickte und fühlte, wie sich eine Mischung aus Aufregung und Sorge in meiner Brust ausbreitete. Was auch immer vor uns lag, es würde nicht leicht werden. Aber ich wusste eines sicher: Zeke war nicht allein, und ich würde nicht zulassen, dass er sich in der Dunkelheit seiner eigenen Macht verlor.

Azhar nickte zustimmend, doch sein Blick blieb besorgt. „Wissen wir denn, wohin er will?"

„Keine Ahnung," antwortete ich. „Aber wenn wir ihn nicht begleiten, wird er wohl einfach ohne uns gehen."

„Das klingt nach ihm," murmelte Seraphine und schüttelte leicht den Kopf. „Na gut. Dann sollten wir wohl besser unsere Sachen packen."

Während ich die beiden Drachen ansah, wuchs ein mulmiges Gefühl in mir. Was auch immer uns außerhalb des Traumlandes erwartete – es fühlte sich wie der Anfang von etwas an, das unser aller Leben für immer verändern würde.

Achtsam jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt