POV Rhun
Der Morgen war still, als ich im Garten saß und auf den Sonnenaufgang über dem See starrte. Die Ruhe war wie ein schwerer Mantel, der sich über die Welt gelegt hatte – beinahe trügerisch. Nichts deutete darauf hin, dass etwas nicht stimmte. Es war ein Moment, wie ich ihn früher oft genossen hatte, doch inzwischen schien selbst die Normalität ihren Glanz verloren zu haben.
Ich hörte Schritte durch das hohe Gras, leise, vorsichtig, aber unverkennbar. Ich wusste, dass es nicht einer meiner Brüder war.
„Wie kommt es, dass du schon wach bist, Cassy?" fragte ich, ohne den Blick vom See abzuwenden.
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. „Woher wusstest du, dass ich es bin?"
Ich schmunzelte leicht und drehte den Kopf, um sie anzusehen. „Für Fips warst du zu leise, und für Zeke zu laut."
Sie blieb neben mir stehen, wirkte zerzaust und müde. Ihre Haare waren hastig zu einem unordentlichen Zopf gebunden, und ihre Augen waren schwer von etwas, das ich nicht sofort erkennen konnte.
„Was machst du so früh hier draußen?" fragte sie schließlich und ließ den Blick zu meinen Füßen wandern, die entspannt auf dem Tisch lagen.
„Ich genieße die Stille." Ich nahm meine Beine herunter und setzte mich aufrecht hin. „Aber das war nicht deine eigentliche Frage, oder?"
Cassy schien zu zögern, doch schließlich nickte sie. „Ich wollte mit dir sprechen."
Ich erhob mich von der Bank, nahm mein Zepter und deutete mit einer Hand auf den Weg, der zum See führte. „Dann lass uns ein Stück spazieren gehen. Bewegung klärt den Kopf."
Sie nickte zögernd, und wir machten uns auf den Weg. Der Sand unter unseren Füßen wurde weicher, als wir den Strand erreichten, und die Geräusche des Hotels verblassten hinter uns. Cassy lief schweigend neben mir her, die Schultern leicht nach vorne geneigt, als trüge sie eine Last, die sie nicht recht benennen konnte.
„Wolltest du reden oder einfach nur meine Gesellschaft genießen?" fragte ich schließlich, nachdem wir ein gutes Stück gelaufen waren.
Sie hielt inne und starrte auf den See. Die kleine Pause vor ihren Worten war bezeichnend.
„Ich habe etwas geträumt," sagte sie schließlich. „Und ich weiß nicht, ob es echt ist."
Ich drehte mich zu ihr um, sah sie aufmerksam an und lehnte mich leicht auf mein Zepter. „Da bist du bei mir aber an der falschen Adresse." Ich lächelte leicht. Träume waren Zekes Bereich – nicht meiner.
Doch Cassy schüttelte den Kopf, ihre Augen wurden ernster. „Ich glaube nicht. Es war der Fremde. Er war wieder da."
Das ließ mich aufhorchen. Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich wusste, von wem sie sprach.
„Wir waren in einem alten Wald, der verlassen wirkte. Er führte mich zu einer Klippe. Und dort unten ..." Sie zögerte und sah mich direkt an. „Dort tobte ein Wirbelsturm, durchzogen von Blitzen in euren Farben. Die Farben, die ihr nutzt, wenn ihr eure Magie einsetzt."
Ich ließ ihre Worte auf mich wirken.
„Er sagte, dass eure Macht von diesem Ding kommt. Und dass es sie zurückfordert. Dass es euch zerstören wird."
Cassy sah mich eindringlich an, doch ich wandte den Blick ab, ließ ihn über den See gleiten, wo leichte Wellen gegen den Strand schwappten.
„Möglich ist alles, Cassy," sagte ich schließlich, die Worte langsam und bedacht gewählt.
„Also weißt du, woher eure Kräfte kommen?" fragte sie nach.
Ich spürte ihren forschenden Blick und seufzte leise. Ohne ein weiteres Wort ließ ich mich in den Sand sinken und legte mein Zepter neben mich. Cassy blieb stehen, bis sie schließlich unsicher neben mir Platz nahm.
„Zumindest halbwegs," gab ich zu. „Es war ein Experiment."
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als die Erinnerung an jene Tage in mein Bewusstsein kroch.
„Das Heim damals," begann ich zögernd, „war kein normales Heim. Es war ... speziell. Sie haben gezielt nach Geschwistern gesucht, nach Kindern, die stark genug für das waren, was sie vorhatten."
Cassy schwieg, aber ihr Blick blieb auf mir haften.
„Sie glaubten, dass es dunkle Mächte gibt, die sie bedrohen. Und sie suchten nach einer Möglichkeit, sich zu schützen. Sie fanden uns. Eos mit seiner Stärke, Klaus mit seinem unerschöpflichen Mitgefühl, Zeke mit seinem Verstand, Fips mit seiner Hingabe ... und mich."
„Derjenige, der immer die Kontrolle behält," fügte Cassy leise hinzu.
Ich lächelte schwach. „Das war nicht immer so. Klaus war der ruhige. Früher war ich genauso chaotisch wie der Rest."
„Was ist passiert?" fragte sie vorsichtig. „Warum bist du jetzt so ... kontrolliert? Es sieht aus, als würdest du kaum noch lachen."
Ich hielt inne, die Bilder aus der Vergangenheit drängten sich auf. Fips, weinend zwischen den Betten. Zeke, der ihn festhielt. Und ich, der aus dem Zimmer geschleift wurde, weil ich versucht hatte, Eos zu beschützen.
„Ich habe versucht, sie alle zu beschützen," sagte ich schließlich, „und ich habe teuer dafür bezahlt."
Cassy legte vorsichtig eine Hand auf mein Knie. „Willst du mir erzählen, was damals passiert ist?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Dieser Albtraum würde selbst Zeke nicht aus deinem Kopf bekommen."
Ich richtete meinen Blick wieder auf den See und verdrängte die Erinnerung an die Lederriemen, die sich in meine Haut gedrückt hatten.
„Aber zu deinem Traum," fuhr ich fort und räusperte mich. „Wenn es wahr ist, dann sollten wir herausfinden, wie man das aufhalten kann."
Cassy nickte langsam, doch in ihren Augen lag noch immer die Ungewissheit. „Und wenn wir es nicht aufhalten können?"
Ich sah sie an und ließ die Frage für einen Moment in der Stille des Morgens hängen, bevor ich antwortete. „Dann müssen wir entscheiden, was wichtiger ist – unsere Macht oder die Welt, die wir schützen sollen."
Cassy schwieg, aber ich konnte sehen, dass meine Worte sie trafen. Es gab keine einfachen Antworten mehr.
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Achtsam jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FF
FanfictionKeine Panik, Leute - das hier wird kein Buch über Achtsamkeit. Ich weiß, der Titel klingt, als ob gleich Meditations-Tipps und Rezepte für Smoothies folgen würden. Keine Sorge, hab selbst keine Ahnung von dem Zeug. Aber irgendeinen Titel musste das...