Die weiße Mauer

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Zielsicher umrundeten Zeke und ich die hohe, weiße Mauer. Wobei – umrunden war vielleicht das falsche Wort, denn diese Mauer schien kein Ende zu haben.

Hier und da blieb Zeke stehen, stemmte die Hände in die Hüften und inspizierte das weiße Gestein, als hätte er Ahnung davon.

Ich verschränkte die Arme. „Könntest du mir jetzt bitte sagen, wo wir sind?" zischte ich, als er zum dritten Mal ohne Erklärung eine Pause einlegte.

Er ignorierte mich und streckte stattdessen vorsichtig seinen Zeigefinger aus, um die Mauer zu berühren. Dann betrachtete er die dünne weiße Schicht, die an seiner Fingerkuppe hängen geblieben war.

Nach einem Moment des scheinbar tiefen Nachdenkens nickte er.

„Wir sind definitiv am Arsch."

Ich blinzelte. „Zeke!"

„Schon gut, schon gut!" Er hob abwehrend die Hände und zeigte dann auf seinen Schatten an der Wand. „Es ist definitiv seine Schuld."

Der Schatten schüttelte sofort den Kopf und begann wild zu gestikulieren.

„Ach, halt die Klappe", wies Zeke ihn genervt an.

Mir platzte endgültig der Kragen. Ich packte ihn an den Schultern und begann, ihn zu schütteln.

„Sag!" Schüttel. „Mir!" Schüttel. „Wo!" Schüttel. „Wir!" Schüttel. „Sind!"

Ich hörte auf – aber Zeke bewegte sich einfach weiter, als würde ich ihn noch immer durchrütteln. Dann hielt er abrupt inne und sah mich gespielt beleidigt an.

„Sag doch, dass du aufgehört hast."

Ich atmete tief ein und ließ meinen Blick durch die karge Wüste schweifen, in der Hoffnung, etwas zu finden, mit dem ich ihn erschlagen konnte. Leider gab es hier nichts außer Sand.

Doch bevor ich meinen Frust weiter an Zeke auslassen konnte, vibrierte plötzlich der Boden unter unseren Füßen. Ich riss die Arme zur Seite, um das Gleichgewicht zu halten – Zeke erging es nicht anders.

„Das ist jetzt deine Schuld!" rief er über den Lärm hinweg. „Ich habe gesagt, dass du still sein sollst!"

Sein Schatten nickte zustimmend.

Dann geschah etwas Seltsames. Direkt vor uns begann sich ein riesiges Tor in die Mauer zu formen, als wäre es schon immer da gewesen – nur unsichtbar. Es öffnete sich langsam mit einem unheilvollen Knarren.

LAUF!" schrie Zeke und rannte los – oder versuchte es zumindest. Seine Beine strampelten hektisch, aber er bewegte sich keinen Millimeter.

Er hielt inne, warf mir einen genervten Blick zu und murmelte noch: „So eine Scheiße."

Dann wurde er plötzlich nach hinten gerissen – durch das Tor hindurch.

Sein Schatten hingegen blieb brav vor mir auf dem Boden sitzen und winkte seinem Besitzer zum Abschied hinterher.

Bevor ich mich weiter fragen konnte, was zur Hölle hier gerade passierte, spürte ich selbst einen sanften Sog, der mich durch das Tor zog. Ich stolperte nur leicht, als ich schließlich neben Zeke zum Stehen kam.

Er lag fluchend auf dem Boden und rappelte sich langsam auf.

Und dann sah ich es.

Vor uns erstreckte sich eine Welt, die in keinem Universum zu dieser Wüste passte.

Saftiges, sattes Grün wucherte überall um uns herum. Mächtige, exotische Bäume ragten hoch in den strahlend blauen Himmel, ihre Äste voller leuchtender Blüten, die in Farben schimmerten, die ich nicht einmal benennen konnte. Ein klarer Fluss schlängelte sich glitzernd durch das Paradies, während riesige Schmetterlinge mit metallischen Flügeln durch die Luft flatterten.

Achtsam jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt