15. Kapitel - Flamingos und Regen

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Brrrrrr.

Mist, ich hatte vergessen, meinen Wecker auszustellen.

„Mach das scheiß Teil aus!", murmelte Jose.

Schnell schaltete ich das scheiß Teil aus, legte mich auf die andere Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Doch auch nachdem ich mich dreimal herumgewälzt hatte, verspürte ich immer noch keine Müdigkeit.

Ich schlug die Decke zurück und stieg leise aus meinem Bett.

Auf nackten Füßen schlich ich über den helltürkisen Plüschteppich, öffnete leise die Tür und lief, ohne ein Geräusch zu verursachen, durch die Gänge des Internats. Ich hielt mein Armband gegen den Sensor am Haupteingang, um mich abzumelden.

Als ich das Gebäude hinter mir gelassen hatte, atmete ich erleichtert auf. Während ich die schier endlosen Sandsteinstufen hinunter zum Meer lief, schweiften meine Gedanken zu Nick ab. Es schien alles so einfach. So perfekt.

Am Fuße der Treppe angekommen, fragte ich mich, in welche Richtung ich gehen sollte. Ich liebte das Meer, doch bei Sonnenunter- und -aufgang war es am schönsten, während es jetzt schon zu spät war. Der Himmel verlor seine rötliche Färbung bereits und ehe ich am Strand angekommen war, würde der letzte Streifen der natürlichen Magie verloschen sein.

Also entscheid ich mich für die andere Seite. Ich kannte mich auf der Insel nicht aus, doch ich konnte mich recht gut orientieren, zumal man, egal, wo man sich befand, immer das Internat sah, wie es auf seinem Hügel thronte.

Ich lief einen ausgetretenen Trampelpfad entlang. Nur meine eigenen Schritte und das Rauschen der Blätter im Wind waren zu hören. Doch trotz des leichten Windhauchs war es keineswegs kalt. Ich trug nur mein Kleid vom Vorabend. Wie ich entsetzt feststellte, hatte ich wohl in einem Ballkleid geschlafen. Ich strich durch meine Haare, die Haarspangen musste jemand heraus gemacht haben.

Ich fragte mich, wie lange Nick gestern noch bei mir geblieben war. War er gleich gegangen, oder war er noch geblieben, und erst transiert, als eine meiner Mitbewohnerinnen ins Zimmer gekommen war?

Der Weg endete an einem kleinen Weiher. Ich traute zuerst meinen Augen nicht, als ich durch den Uferbewuchs etwas Rötliches schimmern sah.

Es ist erstaunlich, nicht wahr?

Was?

Ich starrte die rosa Vögel an.

Die Flamingos.

Ich hörte einen Ast hinter mir knacken, doch ich schaute mich nicht um. Es gab nur einen, der mir hierhin gefolgt wäre.

„Es ist erstaunlich, nicht wahr?", fragte ich.

„Dass wir uns mehrere tausend Kilometer weiter nördlich befinden, als das Klima?"

„Nein, die Flamingos."

„Die Flamingos?"

Ich lächelte. Nick und ich waren uns gar nicht so unähnlich. Ich spürte seinen skeptischen Blick auf mir.

„Sie stehen einfach da. Den ganzen Tag lang. Schlafen sogar im Stehen, auf einem Bein. Es ist beinahe faszinierend."

Ich konnte meinen Blick nicht von den Vögeln abwenden und hatte nicht bemerkt, dass ich mittlerweile bis zu den Knöcheln im Wasser stand.

„Tut mir leid, wenn ich deine... Begeisterung für Flamingos nicht teilen kann", meinte Nick vorsichtig.

Ich lächelte traurig. „Es ist nicht meine Begeisterung, es war seine."

Sie sind faszinierend, findest du nicht auch?

Ich hörte das leise plätschern des Wassers, als Nick sich neben stellte. Er legte mir einen Arm um die Schulter, ich lehnte mich gegen ihn.

„Es tut mir leid", flüsterte er. „Alles. Dass ich dich in der letzten Zeit vollkommen ignoriert habe – frag nicht, wie schwer mir das gefallen war – Ich dachte wir... ich dachte, du wärst mit Will zusa..." Ich drehte mich zu ihm um, stellte mich auf Zehenspitzen und küsste ihn. Ich wollte nicht wissen, was ich falsch gemacht hatte; ich wusste es auch so.

Er verstand mich und umarmte mich so stark, dass ich kaum noch Luft bekam.

„Womit habe ich das verdient?", frage er leise, als er mich hochhob.

Und ich fragte mich, wie man sich in so kurzer Zeit so verlieben konnte. Doch auf eine Weise spürte ich, dass es bei uns mehr war, als eine einfache Verknalltheit. Es gab etwas, das uns verband.

„Worüber denkst du gerade nach?", flüsterte er und stellte meine Füße wieder auf den Boden. Es erinnerte mich an meinen Abschied von Tor, doch das konnte ich nicht sagen.

„Über uns", sagte ich schließlich.

„Und?", fragte er fordernd. „Was ist mit uns?"

Ich sah ihn einfach nur an, dann lächelte ich. „Ich weiß es nicht."

„Wie, du weißt es nicht?", rief er mit gespieltem Entsetzen. Ich lachte und er nahm mich in die Arme und wirbelte mich herum.

Als er mich wieder hinunterließ, traf ein Tropfen meine Nase. Ich sah in den Himmel.

„Bringt euch in Sicherheit, Flamingos", meinte ich, „es wird ein Gewitter geben!"

Und das kam schneller, als ich gedacht hatte. Noch bevor ich nach Nicks Hand greifen und ihn in den Schutz der Bäume ziehen konnte, war unsere Kleidung schon völlig durchnässt.

Unter dem dichten Blätterdach schlenderten wir Hand in Hand zurück zum Internat. Was da sein würde, war egal. In diesem Moment zählte nur das Hier und Jetzt.


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Süß, oder? Das nächste Kapitel wird länger, versprochen ;)

SCOODJE (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt