"Ryder. Am Montag nimmst du Max mit in die Schule." meinte mein Vater irgendwann während des Essens. Der braunhaarige Junge, der sich mir noch immer nicht vorgestellt hatte, verschluckte sich an dem Kartoffelstück in seinem Mund und hustete los. "Was mach ich?" fragte er, als das Husten nachgelassen hatte. "Du nimmst Max am Montag mit in die Schule. Er weiß nicht, wo sie ist und wie er dort hinkommt." erklärte Dad weiter und noch immer sah Ryder ihn an, als hätte er gerade verkündet, dass er ein Alien sei und insgeheim Superkräfte hätte.
Anders gesagt, er schien nicht wirklich begeistert davon zu sein, mich mitnehmen zu müssen.
"Und wieso nimmt er nicht einfach den Bus? Wie normale Menschen?" fragte der Braunhaarige grummelnd und Luna schlug ihn leicht gegen den Arm. "Hör auf zu diskutieren. Er ist jetzt Teil unserer Familie." erklärte sie mit leichter Wut und wieder setzte Ryder zur Diskussion an.
Ich schaltete ab, hörte schon gar nicht mehr hin. Ich fühlte mich schlecht, obwohl ich für die Entscheidung der Erwachsenen nichts konnte.Es gefiel dem Anderen eindeutig nicht, dass er mich mitnehmen müsste. So, wie er mit seiner Mutter und Dad diskutierte. Ich hielt mich raus. Am Liebsten hätte ich ja gesagt, dass ich mich schon allein zurecht finden würde. Aber das wäre gelogen. Ich würde mich sofort verirren. Ob ich an der Schule ankommen würde war dabei sowieso eine Frage, die ich spontan mit 'Nein' beantworten würde. Aber ob ich wieder nach Hause finden würde? Das war fast noch unwahrscheinlicher.
"Warum fährst du ihn denn nicht?" fragte Ryder und sah meinen Vater herausfordernd an.
"Weil ich früh arbeiten muss. Wenn ihr los müsst bin ich schon längst weg." antwortete er, mittlerweile deutlich genervt von seinem Ziehsohn. Verständlich. Sie diskutierten noch eine ganze Weile, bis Ryder komplett genervt aufgab und Dad zufrieden grinsend den Tisch abräumte.Natürlich half ich ihm dabei und trocknete das zuvor von Luna gespülte Geschirr brav ab. Da ich mich in den Küchenschränken noch nicht auskannte nahm Dad mir das Geschirr ab und räumte dieses auch direkt ein. Nur Ryder hatte sich komplett abgekapselt und war bereits auf sein Zimmer verschwunden. Irgendwie hatte ich schon damit gerechnet.
"Ich geh weiter auspacken." murmelte ich, als alles erledigt war.Zurück auf meinem Zimmer schaute ich mir die Kartons an und seufzte. Vielleicht war es eine gute Idee, nicht direkt alles auf einmal zu machen. Ich schloss die Tür hinter mir, nahm mein Handy zur Hand, setzte mich auf den Boden und startete eine Playlist. Mauzend kam Tritos an und rieb sich kurz an mir, ehe er die Kartons hochkletterte. Auf dem Obersten machte er es sich bequem, rollte sich zusammen und döste vor sich hin. Ich lachte leise und zog einen Karton zu mir. Dort war ein Teil meiner Klamotten drin, welche ich nach und nach auspackte. Währenddessen ging draußen die Sonne unter und mein neuer Kleiderschrank war am Ende gefüllt. Naja zum Teil. Irgendwann hatte mich die Musik zu sehr eingenommen.
Mittlerweile saß ich mit dem Rücken ans Bett gelehnt, starte zur Decke und lies die Tränen frei, die sich erneut angesammelt hatten. Ich hatte anfangs extra eine fröhliche Playlist angemacht, die mich ablenken sollte. Aber mittlerweile erinnerten mich die Lieder zu sehr daran, wie Mum und ich durch die Küche getanzt sind und die Lyrics lautstark durch die Wohnung geschrien haben..
Dazu kam das ganze Zeug, das in den Kartons verteilt war. Vieles davon erinnerte mich an sie. Und es war irgendwann einfach so schlimm, dass nun alle Kartons offen waren, ein bisschen umgeräumt und dann stehen gelassen wurden. Ich kauerte mich zusammen und Tritos kam angetapst. Schnurrend kuschelte er sich an mein Bein und wollte gestreichelt werden, aber ich konnte gerade nicht. Die Gefühle und Erinnerungen übermannten mich gerade zu sehr, weswegen ich einfach nur heulend vor dem Bett saß, während mein Handy irgendein Lied von Sia spielte. Ich achtete nicht wirklich auf Melodie oder Text, nur die Stimme selbst drang gerade so noch zu mir durch.
Als ich mich endlich wieder beruhigt hatte verschwand ich kurz ins Bad, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Ich starrte mich danach noch einen Moment lang im Spiegel an. Meine Augen und Nase waren gerötet. Die Augen glasig und es liefen noch ein paar Wassertropfen an meinem Gesicht entlang. Meine braunen Haare wurden ebenfalls erwischt und hingen etwas feucht in meinem Gesicht. Alles in Allem schrie mein Gesicht förmlich, dass ich eben noch geweint hatte. Ich trocknete mein Gesicht ab und verließ das Bad wieder, welches Ryder gerade betreten wollte. Entsprechend wurde mir die Tür mit unerwartetem Schwung aus der Hand gerissen und ich fiel geradewegs gegen diesen.
Natürlich war der Andere nicht sonderlich begeistert. Er machte auch keine Anstalten, meinen Fall abzufedern oder mich reflexartig, ganz romantisch, in seinen Armen aufzufangen. Nein, im Gegenteil. Er drückte mich augenblicklich weg und sah mich wütend an. Als er jedoch mein verheultes Gesicht sah veränderte sich sein Gesicht schlagartig. Nicht, wie man erwarten würde, mitleidig. Nein. Amüsiert, schadenfroh. Ich sah ihm bereits ins Gesicht geschrieben, dass er sich dieses Gesicht merken würde, um mich bloßzustellen. Und das lies mich ganz klein werden. "Hast du etwa gerade geheult? Was bist du denn für eine Memme." meinte er amüsiert, sein Gesicht ähnelte dem eines Bösewichts.
Memme? Ich presste die Lippen aufeinander und unterdrückte weitere Tränen. Er konnte sich doch wohl denken, warum ich geheult hatte, oder? Meine Mutter war vor wenigen Tagen gestorben. Jeder normale Mensch würde da heulen! Doch statt sich zu entschuldigen, lachte er über mich. Als ich ihn wütend ansah, wurde es nicht besser. Er lachte lauter, musste sich sogar den Bauch halten. Meinte er das ernst?! Er lachte weiter. Hörte gar nicht auf. Er schien sogar einen Lachflash zu haben. Ich musste hier weg. Schnell drängelte ich mich an ihm vorbei in mein Zimmer, während ich ihn im Hintergrund noch immer lachen hörte.
Ich schnappte mir meine In-Ears und mein Handy, ehe ich die Treppe runterstürmte und, ohne irgendjemandem bescheid zu sagen, das Haus verließ. Ich stöpselte mir die Kopfhörer ein und bahnte mir einen Weg runter zum Strand. Keine Ahnung, wie ich am Ende herkam und wie ich später wieder zurück finden sollte. Gerade jetzt, wo es dunkel wurde. Aber es war mir egal. Ich wollte nicht einem Typen gegenüber stehen, der meinen Schmerz als Grundlage für seine Freude sah. Ich hatte langsam genug davon. Und das hier war weit unter der Gürtellinie. Er hatte sich über den Tod meiner Mutter lustig gemacht. Naja, in gewisser Weise zumindest. Er hatte mich ausgelacht, weil ich jemand Wichtiges in meinem Leben verloren hatte. Und mit so jemandem sollte ich nun zusammen leben?
Nach einer Weile kam ich zum Stehen und sah in den Nachthimmel hoch. Die Tränen, die aus Wut und Trauer entstanden, flossen über meine Wangen. Normalerweise war ich wirklich niemand, der einfach losheulte. Ich nahm den Schmerz stumm hin. Aber zurzeit war ich einfach... sehr angeschlagen. Ich wollte nicht zurück. Nicht zu Ryder, der mich wieder auslachte. Aber ich musste. Dad und Luna würden sich Sorgen machen..
Mum... Wie soll ich das ohne dich überstehen?
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My Stepbrother I Boy x Boy I - wird überarbeitet -
Teen FictionVor kurzem hatte er seine Mutter verloren. Nun musste er zu seinem Vater ziehen. Und dieser hatte mittlerweile eine neue Familie. Eine Freundin und ihren Sohn. Einen Sohn, der nicht gerade begeistert vom neuen Familienzuwachs war. Und während Ryder...