Prolog

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Jahr 3095 des Lunor- Zyklus

Saila, 1. Mond, Tag 4

Mitternacht

Yujosey,

Bibliothek Yjosur,

Nema

Der Gang war in diffuses Dämmerlicht getaucht. Alle paar Schritte schwebte eine glühende Kugel in der Luft und warf ein rötliches Licht auf den polierten Steinboden. Wie kleine Irrlichter bildeten sie einen Spalier, der direkt auf eine schwere, hohe Tür aus schwarzem Holz zuführte. Verschlungene Muster zierten die Torflügel und funkelten im Licht der Leuchtkugeln wie Sterne.

Links und rechts dieser Tür standen Wachen, stumm und unbeweglich wie Statuen. Sie alle trugen lange dunkelblaue Mäntel, die dasselbe Muster trugen wie die Tür, und hielten lange Speere in den Händen. Die Speere waren, ebenso wie die Wachen, nur zum Schein da. Der Gang war viel zu eng um die Speere überhaupt zu benutzen und die Tür besaß weder Schloss noch Riegel mit dem man sie hätte öffnen oder schließen können.

Es war schon nach Mitternacht und durch die schmalen, hohen Bogenfenster fiel schwach schimmerndes Mondlicht und vermischte sich mit dem Schein der Leuchtkugeln.

Plötzlich ging ein Aufleuchten durch die schwebenden Lichter. Die Wachen nahmen Haltung an und das Licht der Leuchtkugeln wurde noch einmal heller. Jemand hatte den Gang betreten und kam nun auf die Tür zu.

Allmählich lösten sich zwei Gestalten aus dem roten Dämmerlicht. Weite weiße Umhänge lagen um ihre Schultern und Kapuzen verbargen ihre Gesichter. Weinige Schritte vor der Tür blieben sie stehen. Die kleinere der beiden Gestalten trat vor, hob, ohne den Wachen Beachtung zu schenken, eine Hand und begann ein kompliziertes Muster in die Luft zu zeichnen. Ihre schmalen Finger hinterließen schimmernde Spuren in der Luft, die für einige Sekunden hell aufleuchteten und dann wieder verschwanden. Einige Herzschläge lang geschah nichts, dann begann sich die doppelflüglige Tür langsam und wie von Geisterhand zu öffnen. Aufrecht betrat die Gestalt den Raum auf der anderen Seite der Tür. Die Kapuze des Umhangs rutschte zurück und gab den Blick auf das blasse, schmale Gesicht einer jungen Frau frei.

Obwohl Erschöpfung ihr Gesicht zeichnete war sie auf eine fremde Art schön. Ihre Augen strahlten in einem dunklen Blau und zwischen ihren Locken sah man spitze Ohren. Die zweite Gestalt folgte der Frau und schob ebenfalls die Kapuze zurück. Es war ein Mann mit kurzen, braunen Haaren und traurigen Augen. Im Gegensatz zu der Frau war er ein Mensch. Er straffte sich und während er sich umsah, schlossen sich die Türflügel lautlos hinter ihnen. Der Raum, in dem sie sich jetzt befanden, war nicht wie der Gang vor der Tür. Die bedrückende, düstere Atmosphäre war verschwunden. Der Boden bestand aus einer spiegelglatten, weißen Fläche, die, wie die Wasseroberfläche eines stillen Sees, alles reflektierte und so die Illusion hervorrief alles würde in einem weißen Nebel schweben.

Mit einem Abstand von wenigen Metern stand ein Bücherregal neben dem anderen und versperrte so die Sicht auf die wahre Größe des Saals. Die Regale waren gefüllt mit Büchern, Pergamentrollen und Tontafeln. Dicht an dicht standen hier die Geschichten und das Wissen von Jahrhunderten. Über allem lag ein goldenes Licht, obwohl nirgendwo eine Lichtquelle zu entdecken war.

Die junge Frau ließ ihren Umhang zu Boden gleiten und tauchte ein in das Labyrinth der Bibliothek. Lautlos und mit gleichgültiger Miene ging sie durch die langen Reihen aus Bücherregalen. Den Mann, der ihr nur mühsam folgen konnte, beachtete sie kaum. Und obwohl man sich leicht in dem Anblick der, mit Golddruck verzierten, Bücher verlieren könnte, sah die junge Frau immer geradeaus nach vorne.

Sie ging schnell und zielstrebig, als würde sie einem unsichtbaren Pfad folgen. Jeder neue Gang, in den sie einbog, sah fast genauso aus wie der vorherige und auch das Licht veränderte sich nicht. Es schien als würde es, egal wo man gerade stand, immer im selben Winkel auf die Regale fallen, was auch den besten Orientierungssinn lahm legte. Der Mann folgte ihr auf den Fuß und sah sich währenddessen staunend um. Er sah aus, als würde er träumen.

Prophecy - Die Vierte Tochter des WindesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt