5. Eiskalte Dunkelheit

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Quatsch, sie ist ihm schon nicht begegnet!, versuche ich mir einzureden, doch das Schrillen in meinem Magen macht das Ganze nicht gerade besser. „Nadine, ich melde mich später zurück. Ich werde mal schauen, ob ich was tun kann."

Mein Kopf ist wie leer gefegt.

Ich lege auf und als ich losstürmen will, werde ich von Levi am Handgelenk festgehalten.

„Wo willst du hin?", fragt er mit gehobener Augenbraue.

Ich entreiße ihm mein Handgelenk und erwidere schnippisch: „Meine Freundin suchen, wohin sonst?"

„Sei nicht dumm! Was, wenn du diesem Mörder begegnest? Außerdem wird es gleich heftig stürmen." Er zeigt mit dem Daumen auf die schwarzen Wolken, die sich nun wie ein Schleier unmittelbar über der Stadt ausgebreitet haben.

„Das ist nicht dein Problem", entgegne ich kühl und mit zusammengekniffenen Augen.

Ohne noch ein weiteres Wort zu verschwenden, reiße ich mich erneut von ihm los und renne fluchtartig davon.

Was bildet der Typ sich ein? Was ich mache, geht ihn nichts an.

Seufzend schüttle ich den Kopf.

Wo könnte Sam nur sein? Ich bin eine grottenschlechte Freundin. Ich hätte mehr nachbohren müssen was los ist, dann wüsste ich jetzt vielleicht wenigstens was in ihrem Kopf vorgeht. Verdammt, was mache ich bloß, wenn ich sie nicht finde?



Nach einer halben Stunde nimmt der Regen langsam aber sicher zu und ich bleibe stehen, blicke nach rechts und links. Suche Orte ab, an denen wir gewöhnlich mit Jus und Dominik abhängen und schaue in unzählige Läden. Die Bäume biegen sich wütend nach allen Seiten und der Wind zerrt heftig an meiner Kleidung. Meine Zähne klappern wie bei einem Skelett und es kommt mir vor, als hätten wir tiefsten Winter. Mein Zopf ist durch den stürmischen Wind und das Rennen schon ganz locker und völlig durchnässt.

Sam, wo bist du?

Mein Gehirn läuft auf Hochtouren und doch bin ich nicht dazu in der Lage klar zu denken. Pure Verzweiflung kriecht wie eine zischende Schlange meine Beine hinauf und versucht mir den Atem zu rauben. Sofort schüttle ich den Kopf. Ich werde sie auf jeden Fall finden!

Und so setze ich die Suche fort, als plötzlich mein Handy klingelt und ich voller Hoffnung mein Handy aus der Tasche krame.

Enttäuschenderweise ist es nicht Sams, sondern Dominiks Stimme die in mein Ohr dringt.

„Endlich gehst du ran! Nadine meinte, Sam sei verschwunden. Weißt du, wo sie sein könnte? Wir machen uns Sorgen."

„Ich suche schon seit einer halben Stunde nach ihr, habe sie aber nicht gefunden!"

Am Ende des Satzes kommt meine Stimme gefährlich ins Zittern und ein fetter Kloß macht sich in meinem Hals breit. Die beiden ziehen lautstark die Luft ein.

„Wie? Bei dem Sturm? Bist du blöd?!", schreit mich Justin durch Dominiks Handy an.

Ich lache leise. „Mag sein, aber ich werde nicht aufhören. Ich muss jetzt weiter."

Ich lege auf, stecke mein Handy wieder weg und wische mir mit dem Handrücken über die Augen. Ich atme tief durch und räuspere mich, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden, ehe ich die Suche fortsetze. Renne unsere Wohngegend ab, an der Schule vorbei, gehe an allen möglichen Läden entlang und spähe durch die Scheiben.

Nach weiteren scheinbar endlosen Minuten stütze ich meine Hände keuchend auf meinen Knien ab. Erneut versuche ich Sam anzurufen. Meine Finger lassen sich mittlerweile kaum noch bewegen und meine Kleidung klebt mir schwer an der Haut. Mein Haargummi hat sich längst verabschiedet und meine langen Haare haften unangenehm an meinem Rücken, meinem Nacken und im Gesicht.

Keryno - Die verborgenen VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt