Kapitel 15

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"Es ist soweit.", stellte der Weihnachtsmann fest.
"Was ist soweit?", wollte Jack wissen.
"Elsa soweit. Die Hüterin der Liebe hat zu sich gefunden. Nun wir müssen aufnehmen Kontakt zu ihr. Sie sollen erfahren, wer sie wirklich ist.", redete North weiter.
Jack konnte nicht glauben, was er gerade hörte. Hatte North wirklich gesagt, dass sie sich nicht länger verstecken mussten? Konnte Jack endlich zu ihr?
Ohne es zu bemerken, begann er über beide Ohren zu strahlen.
Tooth kicherte.
"Was?", fragte er, aus seinen Gedanken gerissen.
"Du müsstest dich sehen, Keule.", grinste der Osterhase.
Sandy lachte ebenfalls und North lächelte gütig in Jack Frosts Richtung.
"Jack.", sprach er ihn an, "Du jetzt dafür verantwortlich, dass Hüterin hierher kommt."
"I-Ich?"
"Ja.", nickte der bärtige Mann.
"W-Wirklich?"
North Pole nickte wieder.
Der junge Hüter konnte es nicht glauben. Er durfte zu ihr! Endlich, nach so vielen Jahren. In ihm wuchs eine Euphorie an, die er nicht mehr lange zurückhalten konnte, war der Weg doch jetzt frei für eine erste Begegnung, die er solange ersehnt hatte.
"Nun geh schon!", forderte North ihn sanftmütig auf.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Ruckartig stieß er sich vom Boden ab, rief den Wind und ließ sich von ihm nach Arendelle tragen.

Es war schon dunkel, eine sternenklare Nacht. Elsa saß in ihrem Zimmer, eine Kerze auf den Schreibtisch gestellt, und schaute die Sterne an. Eigentlich saß sie hier, weil sie ihren königlichen Aufgaben nachkommen musste, doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Es war zuviel passiert in den letzten Tagen, was sie erst verarbeiten musste. Jahre lang hatte sie sich selbst eingesperrt, ohne zu wissen, wie einfach die Lösung für Ihr Problem war. Liebe, einfach nur Liebe. Der Troll hatte Recht behalten. Furcht und Verdrängung waren ihre wahren Feinde gewesen, nicht sie selbst. Und ihr Freund... War er noch bei ihr? Nein, das glaubte sie nicht. Er hätte doch etwas gesagt, oder?
Sie versuchte ihn zu vergessen, hatte sie doch jetzt andere Aufgaben, die es zu verfolgen galt. Anna wollte alles mit Elsa nachholen, was sie all die Jahre über versäumt hatten, gemeinsam zu unternehmen. Und Kristoff gab es auch noch. Die beiden waren glücklich miteinander.
Bei dem Gedanken musste die Königin schmunzeln.
Es war schon spät und Elsa merkte, wie die Müdigkeit langsam ihren ganzen Körper befiel, doch sie hatte noch so vieles, worüber sie nachdenken wollte...oder musste.
"Guten Abend, Elsa.", sprach plötzlich eine Stimme.
Die Königin schreckte aus ihrer Müdigkeit hoch und musterte ihre Umgebung, aber sie konnte niemanden ausmachen, von dem diese Stimme stammen konnte.
Ist es mein dunkler Freund? Aber nein. Seine Stimme ist anders. Tiefer, verschwörerischer, anziehender..., dachte sie bei sich.
"W-Wer ist da?"
Sie hörte Schritte. Es wurde ihr unheimlich.
"Du siehst mich nicht?", fragte wieder diese Stimme.
"Nein... Wer bist du?" Elsa musste wissen, mit wem sie es zu tun hatte.
"Ich?", sprach die Stimme, "Ich bin ein Hüter."
Was war ein Hüter? Ein unglaublich kleines Wesen, das über die Menschen wachte? So klein, dass die Königin ihn nicht sehen konnte?
"Warum kann ich dich nicht sehen, aber hören? Und was ist ein Hüter?", versuchte sie sich bei dem Unsichtbaren zu erkundigen.
"Ich weiß es nicht und du wirst noch erfahren, was wir sind.", gab er zurück.
"Wir?"
Er antwortete nicht.
Plötzlich fing es an, in dem Zimmer der Königin zu schneien. Erschrocken starrte sie auf ihre Finger.
"War ich das?", murmelte sie leise vor sich hin.
Der Fremde schien es trotzdem gehört zu haben, denn von ihm kam sie knappe Antwort: "Nein, das warst du nicht."
War er es gewesen, der diese weißen Flocken zauberte? Nein, das kann nicht sein.
Leise fiel der Schnee zu Boden, bedeckte den hölzernen Untergrund und hüllte Elsas Raum in ein zärtliches Weiß. Etwas berührte ihre Nase. Es war kalt und nass, womöglich eine Schneeflocke. Verwirrt blinzelte sie mit ihren Augen. Plötzlich sah sie jemanden, der direkt vor ihr stand, unglaublich nah.
Erschrocken sprang die junge Königin auf und wich einige Schritte zurück.
Ein weißhaariger Junge mit einem Hirtenstab, an den er sich lässig lehnte, stand vor ihr und grinste sie an. Elsa fielen seine verschmitzten blauen Augen auf.
So eine wunderschöne Farbe habe ich noch nie gesehen...
Der Junge trug einen dunkelblauen Pullover und eine braune Hose und... er war barfuß.
Warum trägt er keine Schuhe?, fragte sie sich.
"Hallo.", schmunzelte der Hüter.
Er hatte so ein herzliches Lächeln...
"W-Wie kommst du hier rein? Meine Tür war verschlossen.", wollte sie von dem Jungen wissen.
"Durch das Fenster, es war offen.", antwortete er.
Elsa schaute ihn ungläubig an.
Wie soll er das denn gemacht haben?
Sie bemerkte auch, dass es aufgehört hatte zu schneien.
"Man kann nicht bis zu meinem Zimmer klettern.", sagte sie zu ihm.
"Nein, aber fliegen.", lachte er verlegen.
"Fliegen?" Elsa glaubte, sich verhört zu haben.
"Ja.", bestätigte der Weißhaarige ihre Frage.
Schwebend kam der Hüter auf sie zu. Zwar hoben seine Füße nur wenige Zentimeter vom Boden ab, doch dieser Anblick schockierte die Königin so sehr, dass sie noch weiter zurückwich. Mit großen Augen starrte sie den schwebenden Jungen an, unfähig auch nur einen Laut über ihre Lippen zu bringen.
Es dauerte eine geraume Zeit bis sich Elsa wieder soweit gefasst hatte, dass sie fragen konnte: "Was willst du von mir?"
Als hätte er mit dieser Frage von Anfang an gerechnet, trat er noch einen Schritt vor, diesmal aber laufend, und erklärte der jungen Königin ruhig: "Du bist soweit, Elsa. Du kannst deine Kräfte endlich kontrollieren. Jetzt habe ich die Aufgabe, dich vorzubereiten."
Er wusste von ihren Kräften? Woher und warum kannte er sie so gut?
Ein seltsames Unbehagen breitete sich in ihr aus. Elsa hatte das Gefühl, sie kannte seine Stimme irgendwoher, doch wie sollte das möglich sein, wenn sie ihn bis vor einer guten Stunde nicht einmal hatte sehen können? Sie brauchte Antworten.
"Woher weißt du von meinen Kräften und worauf muss ich vorbereitet werden? Und wie heißt du eigentlich? Du kennst meinen Namen, ich aber nicht deinen.", beschloss Elsa in Erfahrung zu bringen, ein wenig Licht in die Dunkelheit zu senden, in der sie sich gerade befand.
Der seltsame Junge schien auch auf diese Frage vorbereitet zu sein, da er, ohne eine Regung zu zeigen, antwortete: "Jack. Jack Frost... Die Hüter wissen schon seit deiner Geburt von dir und deiner Magie. Die Legende hat es so prophezeit. Sie hat uns die Augen geöffnet. Wir haben nur auf diesen Moment gewartet und nun müssen wir dich auf den Kampf vorbereiten."
Elsa zuckte leicht zusammen. Sie war so froh, dass alle Gewalt endlich vorbei war und sie nun in Frieden leben konnte, und jetzt sollte sie wieder kämpfen? Warum sollte sie das tun?
Mit einem unsicheren Unterton in ihrer Stimme, stellte die Königin schließlich sie Frage, die ihr als erstes durch den Kopf schoss: "Kampf? Was für ein Kampf?"
Die Miene ihres Gegenüber verdunkelte sich kaum merklich. Anscheinend gefiel es ihm auch nicht, dass er dazu gezwungen war, Gewalt anzuwenden.
"Ein dunkles Wesen ist erwacht.", begann er, ihr die Situation zu schildern, "Es bringt Unheil über die Menschen, vor allem über die Kinder. Wir Hüter haben die Aufgabe, das Gute und Einzigartige in ihnen zu schützen. Das Lachen, die Wunder, die Hoffnungen und Träume und ihre Erinnerungen. Jeder von uns trägt eine dieser Eigenschaften in seinem Innersten, welche er zu beschützen hat. Du Elsa, du bist die Hüterin der Liebe. Das ist es, was dein Innerstes ausmacht."
Liebe? Wieso gerade Liebe? Hat das etwas mit dem Schlüssel zu meinen magischen Fähigkeiten zu tun?
"I-Ich?", brachte sie verdutzt heraus, während sie nervös ihre Hände knetete.
Jack lächelte leicht, um ihr dieses Gefühl der Eingeengtheit und der Distanz zwischen den beiden zu nehmen.
"Ja. Du bist eine von uns. Eine Hüterin. Nun ist es Zeit für dich, deiner Bestimmung zu folgen, und wir holen dich bald zu uns, damit du lernen kannst, dem Bösen zu widerstehen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einem vernichtenden Schlag ausholt."
Elsa war geschockt. Nicht genug, dass sie für einen Kampf vorbereitet werden sollte, nein, nun sollte sie auch noch ihr eigenes Land im Stich lassen.
Das geht nicht! Ich bin die Königin, ich kann hier nicht weg! Meine Verantwortung gilt meinem Volk., schoss es ihr sofort durch den Kopf.
Der Schock setzte sich in ihren Gliedern fest, blockierte ihre Gedanken, ließ sie kaum ein Wort über ihre schmalen Lippen bringen.
Mit größter Überwindung formte ihr Mund eine Frage: "I-Ich muss hier weg?" Die Überraschung stand Elsa in ihr Gesicht geschrieben.
Jack schaute sie nur entschuldigend an, dann meinte er: "Morgen Nacht werde ich wiederkommen und dann kommst du mit mir."
Morgen schon?
Wie sollte sie es bis dahin ihrer Schwester erklärt haben? Sie war so froh gewesen, dass Elsa sich endlich hatte befreien können, und nun ließ sie Anna schon wieder im Stich, vielleicht sogar für immer... Würde sie Anna je wiedersehen? Elsa wollte sie nicht verlassen.
Wie kann er so einfach über mich bestimmen, was ich zu tun habe?, dachte die Königin verärgert. Es war ihr egal, was die Hüter beschützen mussten. Wenn jemand ihr Königreich bedrohte, brauchte es seine Königin, die ihre schützenden Arme um es legte...
Während Elsa nachdachte, bemerkte sie nicht, dass sie den jungen Hüter die ganze Zeit über anstarrte.
Jack musste grinsen.
Ich glaube, ich lasse sie für heute in Ruhe. Genug der neuen Informationen. Elsa muss sicher erst einmal damit fertig werden, dass sie morgen mit zu North muss...
"Bis morgen.", sagte er lächelnd und durchbrach damit Elsas Gedanken.
Verwirrt blickte sie ihn an.
Der Wintergeist verbeugte sich vor der Königin, dann richtete er sich wieder auf. In seinen Händen formte er eine weiße Rose, die er ihr überreichte.
Elsa war noch immer sprachlos und starrte auf die Blume, die nun in ihrer Hand ruhte. Sie wollte Jack noch so viele Fragen stellen und ihm für sein Geschenk danken, doch als sie wieder zu Jack Frost aufblickte, flog er gerade aus dem Fenster.
Warum war sie eine Hüterin? Als ob ihr die Rose eine Antwort auf all ihre Fragen geben konnte, musterte Elsa sie nun wieder. Sie war so kalt, kalt wie Eis...
Die Königin bemerkte, dass die Blume leicht bläulich schimmerte.
Eis? Ist sie aus Eis?
Hatte Jack sie nicht erst geformt, bevor er sie ihr überreicht hatte? Konnte es doch sein, dass... Nein, das war unmöglich! Oder vielleicht doch? Immerhin konnte der Junge auch fliegen.
Er hat auch Eiskräfte..., realisierte die Königin, Du bist nicht allein!
Warum hatte ihr nie jemand etwas davon erzählt? Davon, dass es noch jemanden gab, der so war, wie sie...
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen.
Eine Rose...
Er hätte ihr nichts schenken müssen.
Warum gerade eine Rose?
Elsa konnte sich keinen Reim darauf machen, aber vielleicht würde sie den Grund dafür noch erfahren, wenn sie mit ihm ging...
Dieser Gedanke brachte die Königin wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Morgen musste sie Arendelle verlassen. Den Ort, an dem sie ihre ganze Kindheit verbracht hatte, dort, wo ihre Schwester lebte und wo sie auch leben wollte...
Anna. Es tut mir so Leid..., dachte die Königin traurig. Sie konnte ihr nicht 'Leb wohl' sagen. Das hätte Elsa nicht übers Herz gebracht. Außerdem hätte ihre Schwester viel zu viele Fragen gestellt, auf die Elsa selbst keine Antwort wusste. Daher musste ein Abschiedsbrief genügen.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und fing an, die traurigen Zeilen zu verfassen...

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt