Brücke zwischen Traum und Realität

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Alles war dunkel. Nichts außer Finsternis füllte den Raum, in dem ich mich befand. Verängstigt drehte ich mich in alle Richtungen, um irgendeinen Lichtpunkt zu entdecken. Vergebens. Mit meinem ganzen Mut versuchte ich einige Schritte nach vorne zu gehen. Der Boden unter mir war glitschig, als wäre er mit einer dicken Flüssigkeit überzogen.

Als ich ein leises Stöhnen vernahm, hielt ich inne in meiner Bewegung. Es war ganz in meiner Nähe. Kurz überlegte ich und ging dann auf das Geräusch zu. Langsam und darauf bedacht nicht auszurutschen näherte ich mich, nur um sofort wieder zurückzuweichen, als mich etwas kaltes am Arm berührte. Ein heiserer Schrei entkam meiner Kehle. Er hallte ein paar Mal wieder bevor er endgültig verstummte. Die darauf folgende Stille war erdrückend. Nicht wissend, was zu tun war, streckte ich meine Hand aus. Ich spürte einen warmen Atem auf meiner Haut, der mich erschaudern ließ. Ein weiteres qualvolles Stöhnen war zu hören. Diesmal direkt vor mir. Ich zog meine Hand wieder zurück, als etwas kaltes meinen Arm packte und mich zu sich zog. Vor Schreck schrie ich auf und versuchte meinen Arm zu befreien. Ohne Erfolg. Weitere Momente vergingen, in denen nichts geschah. Ich konzentrierte mich darauf mich zu beruhigen und wieder gleichmäßig zu atmen.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich eine brüchige Stimme vernahm vor mir. 'Hilf uns.' Ich blieb wie angewurzelt stehen, nicht wissend, was ich nun tun sollte.
Die Fingernägel der Person krallten sich in meinen Oberarm, dass es schmerzte und mir das Befreien erschwerte.
Plötzlich sah ich etwas aus dem Augenwinkel auf mich zukommen. Leuchtend rote Augen, die mich starr fixierten und rasend schnell in meine Richtung kamen. Ich riss meine Augen auf und wich keinen Millimeter zurück, da ich vollkommen unfähig war mich zu bewegen. Eine Handlänge vor mir stoppten sie und starrten nun ausdruckslos in die Meinen.
Ich spürte förmlich die böse Aura, die von ihnen ausging und augenblicklich überkam mich eine gewaltige Hitzewelle, die mir die Luft zum Atmen nahm. "Ophelia..." Es ist ohne Zweifel eine männliche Stimme. Ihr heißer Atem brqnnte auf meiner Haut und ließ mich aufkeuchen. Die Hitze wurde immer schlimmer. Mein Kreislauf drohte in sich zusammen zu brechen, nur die Hand, die sich in meinen Arm krallte, gab mir noch Halt. "Wer bist du?" Nur mit aller Kraft bekam ich diese Worte über meine vertrockneten Lippen. "Deine Vergangenheit, deine Gegenwart, deine Zukunft. Dein Schicksal. Das alles hier ist dein Schicksal und du kannst ihm nicht mehr entkommen." Ich wusste nicht wovon er sprqch, aber es ängstigte mich zu Tode. Schmerzverzehrt fasste ich mir an die Brust. Es fühlte sich an, als würde etwas mein Herz auseinanderreißen. "Erblicke nun das Unvermeidbare." Im selben Augenblick verschwanden die Augen und der Raum wurde erfüllt von düsterem Licht.
Überall lagen Knochen, Leichen, Körperteile. Der Boden war bedeckt mit Blut. Um mich herum entstellte Menschen, dessen Schreie mir einen grässlichen Schauer durch den Körper jagten. Einer davon hielt mich an meinem Arm fest. 'Hilf uns.'
Erschrocken riss ich mich los und fiel zu Boden. Ich kniete knietief in Blut und abgetrennten Körperteilen. Der Würgereiz überkam mich, doch ich konnte mich gerade noch davon abhalten mich zu übergeben.
Die Schreie wurden immer lauter, dass ich mir die Ohren zuhalten musste, doch auch das half nichts. Mit jeder Sekunde wurden sie lauter und ein gewaltiger Schmerz breitete sich in mir aus. Tränen liefen über meine Wangen und ich bemerkte unter den vielen unmenschlichen Schreien, meine Eigenen. Diese verstörenden Geräusche machten mich wahnsinnig. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles in mir schmerzte. Es fühlte sich an, als würde ich tausend Stücke zerrissen werden.

Ich war der Ohnmacht schon nahe, als mich plötzlich jemand an der Schulter berührte und alles auf einmal verstummte. Der Raum war leer. Weiße Wände, grauer Boden. Kein Blut, keine Menschenleichen, die nach mir schrieen. Nur ich und mein vermeintlicher Retter.
Langsam ließ ich meine Hände sinken und sah in zwei meerblaue Augen, die mich freundlich anschauten. Ein breitgebauter Mann mit blondem Haar kniete sich vor mich hin und strich mir eine Träne aus dem Gesicht. "Wer bist du?" Zum zweiten Mal nun schon stellte ich die gleiche Frage und auch hier bekam ich keine aussagekräftige Antwort. "Dein Schutz. Dein Wächter. Dein Licht in der Dämmerung." Verwirrt sah ich ihn an. Ich begriff nicht was er meinte. Er schien zu verstehen, legte seine Hand sanft an meine Wange und lächelte mich liebevoll an. Sofort zogen mich seine tiefblauen Augen wieder in den Bann. Noch nie zuvor hatte ich solch schöne Augen gesehen. "Du musst jetzt wieder aufwachen." Nein. Ich wollte nicht, dass es schon endete. Er durfte noch nicht gehen. Doch bevor ich etwas sagen konnte wurde wieder alles schwarz. Kurz darauf öffnete ich meine Augen und blickte an meine Zimmerdecke.

Alles nur ein Traum. Aber es kam mir so real vor. Die Hitze, die Schreie, das Blut, die blauen Augen. Augenblicklich musste ich wieder an diesen Mann denken, der mich aus dieser Hölle gerettet hatte. Es kam mir so echt vor. Die Wärme, als er mich berührte. Die Besorgnis in seinen Augen. Ich fühlte mich in diesem Moment so beschützt wie noch nie zuvor. Als könnte mir nichts und niemand etwas antun und ich nie wieder solche Schmerzen erleiden musste wie kurz davor.
Ich verdrehte genervt die Augen, als mein Telefon plötzlich klingelte.

Wahrscheinlich wieder Jake, der sich wieder mit mir versöhnen wollte. Erst betrog er mich und dann wollte er mich zurück. Aber bestimmt nicht mit mir. Ich ignorierte es einfach und schweifte in Gedanken wieder zu dem Mann aus meinem Traum. Ganz automatisch fing ich an zu lächeln.

"Phia! Geh endlich ran!" Mein Vater stand plötzlich vor meinem Bett und warf mir mein Handy zu. "Dir auch einen Guten Morgen! Ich hoffe du hattest eine angenehme Nacht" Ihm fiel mein übertriebener Sarkasmus auf und verschwand ohne ein weiteres Wort in die Küche.
Genervt setzte ich mich auf und wollte den Anruf gerade ablehnen, als ich bemerkte, dass es gar nicht Jake war, sondern das Krankenhaus. Ganz schnell kam mir der Gedanke, dass sie vielleicht schon tot war und niemand da war, um sich von ihr zu verabschieden.
Zitternd nahm ich an und versuchte möglichst nicht loszuheulen. "Miss Dumont, ich darf Ihnen mitteilen, dass sich der Zustand ihrer Mutter Louanne rapide verbessert hat. Sie ist vor knapp einer Stunde aufgewacht und fühlt sich besser denn je. Wenn sie möchten können sie sie gerne besuchen." Ich konnte es kaum glauben, was ich gerade zu hören bekam. Ohne darüber nachzudenken oder etwas darauf zu erwidern legte ich auf und stürmte hinaus zu meinem Vater, der sich gerade darin versuchte Spiegeleier zuzubereiten. Überglücklich fiel ich ihm um den Hals und teilte ihm die Neuigkeiten mit. "Was? Sie ist... wach?" Er konnte sich seine Tränen nicht verkneifen und drückte mich eng an sich. "Jetzt wird alles wieder gut. Siehst du. Man muss nur fest daran glauben und alles...wendet....sich...zum Guten." Zum Schluss hin wurde er immer leiser. Ganz abwesend schob er mich von sich und drehte sich zu dem Küchentresen um. Seine Hände stützte er auf der Arbeitsplatte ab. Behutsam legte ich meine Hand auf seine Schulter. "Papa? Was hast du denn? Freust du dich nicht?" Er schüttelte immer wieder den Kopf, schlug mit seiner Faust dagegen. "Das kann nicht sein. Es war nur ein Traum. Er... er existiert doch gar nicht. Nein!" Plötzlich stoß er sich ab und stürmte aus der Wohnung. Ich blieb verwirrt an Ort und Stelle zurück. Vielleicht war das noch der Alkohol. Er hatte davon ja ganz schön viel getrunken. Er würde sich schon beruhigen. Zu aller erst musste ich mich um meine Mutter, die gerade aus dem Koma erwacht war, kümmern. Ich freute mich so darauf sie endlich wieder in den Arm zu nehmen und ihr alles mögliche erzählen zu können, sei es noch so unwichtig. Viel zu lange war das schon her.

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