Der Traumfänger

Kapitel 4

Der Fall lies Grace einfach nicht in Ruhe. Kaum schloss sie ihre Augen, schossen ihr erneut die Bilder der Entführungsopfer durch den Kopf. Was war das Motiv des Entführers? War der Tod des ersten Opfers wirklich ein Unfall, oder waren die anderen Kinder auch bereits verloren?
Nun hielt es Grace nicht länger in ihrem Bett. Nach einem kurzen Blick auf ihren Wecker, welcher 23:46 Uhr anzeigte, stand sie auf und ging in ihr Arbeitszimmer.

Sie warf sich eine Strickjacke über ihren Pyjama und warf einen Blick auf ihre Pinnwand. Hier hing bereits ein Ausschnitt einer Landkarte, die Tatorte waren rot umkringelt und zu jedem Tatort führte eine Linie, mit dem Bild des Opfers, sowie einem vergrößerten Auszug des Tatortes. Grace hatte bereits handschriftlich die Namen der Opfer, das Datum des Verschwindens, sowie weitere wichtige Fakten und Daten, ergänzt. Neben Andrew stand, in roter Farbe, das Todesdatum geschrieben.

Weder an den Tatorten, noch an Andrews Leiche, fand man DNA Spuren. Auch sonst tappten alle weitestgehend im Dunkeln. Das Einzigste was erstaunlich war, war die Tatsache, dass der Entführer vier Opfer in drei Tagen entführte und mittlerweile eine Pause von ebenfalls drei Tagen einhielt. Zumindest gab es keine erneuten Vermisstenfälle, die in das Muster passten.

Grace begann damit, auf der Karte, mögliche Strecken zu markieren, welche der Täter von den ersten Tatorten, in Indiana, nach Illinois zurück legen konnte. Dann klappte sie ihren Laptop auf und loggte sich, mit ihrem Profil, im Online Polizeiarchiv ein. Sie wollte die möglichen Strecken auf Geschwindigkeitsüberschreitungen überprüfen. Ihr war klar, dass sie nicht jeden Schnellfahrer als Verdächtigen nehmen könnte, schließlich musste der Entführer ja nicht zu schnell gefahren sein, sollte jedoch später ein Verdächtiger auf einen der Blitzfotos zu sehen sein, so könnte man ihm eindeutig nachweisen, dass er die Strecke du diesem Zeitpunkt gefahren ist.

Nachdem Grace 20 Minuten lang das Archiv durchforstet hatte und letztendlich fünf Fotos mit jeglichen Daten ausdruckte, legte sie ihren Laptop wieder zur Seite und wendete sich erneut der Pinnwand zu. Sie betrachtete die Fotos und Satellitenaufnahmen, der verschiedenen Tatorte, nochmals genauer. Sie erkannte auf einem der Fotos, welche die Spurensicherung Rund um Kelseys Ort des Verschwindens gemacht hatten, eine Reifenspur. Sie befand sich in der feuchten Erde, neben einem Trampelfad, abgelegen vom Aufenthaltsort der Jugendlichen. Kelseys Freund hatte sein Auto Nahe diesen Trampelfades geparkt. Sie wühlte in Kelseys Akte und fand die Reifenspuren wieder. Sie ähnelten den Reifenspuren von Jannes Truck sehr. Den Aussagen zufolge war sich Jannes nicht sicher, ob sie von seinem Truck stammten, da er jedoch in der Nähe parkte gingen die Ermittler vor erst davon aus. Grace blickte auf die anderen Fotoserien und erblickte am Fundort von Andrews Leichnam genau die selben Truck Spuren. Hatten sie das wirklich alle übersehen?
Es war mittlerweile eine Dreiviertelstunde vergangen und sie beschloss sich zurück in ihr Bett zu legen. Kaum hatte Grace das Licht ausgeschaltet und sich unter ihrer Decke verkrochen, schossen ihr erneut Fragen in den Kopf. Hatte das FBI Recht und der Entführer besaß ein Muster - einen drei Tage Rhythmus? Würde dies bedeuten, dass er morgen ein neues Opfer aufsuchen würde? Würde es erneut in Illinois geschehen, oder war er schon im Nächsten Staat, um dort zwei Neue Opfer auszusuchen? Und legte er Wert auf das Geschlecht, entführte er deshalb immer einen Jungen und ein Mädchen und zog dann weiter? Was waren das für Truck Spuren? Gehörten sie zum Wagen des Täters?
Grace beschloss die Fragen zur Seite zu schieben, es waren eindeutig zu viele ungeklärte Fragen!
Sie entschied sich dafür nun zu schlafen und morgen Boris über ihren Fund zu informieren. Vielleicht wusste er was zu tun war.

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Am nächsten Morgen schritt Grace in ihr Badezimmer. Sie steckte sich ihre schulterlangen, braunen Haare mit einer flüchtigen Handbewegung hinter das Ohr. Nun erblickte sie ihr blasses Gesicht im Spiegel. Ihre braunen Augen sahen trübe aus und sie war sich sicher, dass es an dem unruhigen Schlaf, der gestrigen Nacht, lag. Sie wusch sich ihr Gesicht, doch die dunklen Augenringe beeindruckte das Wasser nicht, also griff Grace nach etwas Puder und dem Abdeckstift. Nachdem sie gefrühstückt und ihre Zähne geputzt hatte, schlenderte sie zurück in ihr Zimmer und zog sich um. Sie griff nach einer hellblauen Bluse und einer schwarzen Jeans. Im Arbeitszimmer sammelte sie die Akten ein und zurück im Flur, schlüpfte sie in ihre Sneakers. Sie griff nach ihrer Jacke, einem schwarzen Schal und den Autoschlüsseln. Als sie alles hatte, begab sie sich nach unten zu ihrem Auto und fuhr los.

Am Revier angekommen traf Grace gar nicht auf die FBI Agenten. Sie wunderte sich, wo die beiden waren, interessierte sich aber auch nicht weiter dafür. Doch Boris klärte sie trotzdem darüber auf, dass die beiden mit einem Team nochmals zum See, an dem Kelsey verschwand, fuhren. Sie hätten angeblich eine neue Spur. Grace dachte an die Reifenspuren, vielleicht hatte es damit etwas auf sich. Darüber wollte sie Boris sowieso noch informieren.

"Herr Meyer, ich glaube ich habe etwas entdeckt!", begann Grace. Die beiden kannten sich nun schon seit viereinhalb Jahren und arbeiteten seit zwei Jahren enger zusammen. Sie beide fanden es dämlich sich immer mit Nachnamen ansprechen zu müssen, dies war hier auf dem Revier jedoch Pflicht. Privat waren sie schon lange per du, aber Regeln waren nun mal Regeln. Boris sah Grace verdutzt und fragen an: "Wirklich? Wissen Sie was, ich lade Sie auf einen Kaffee ein!". Nun war Grace erstaunt, es war noch nicht einmal Mittagspause. "Meinen Sie das geht klar?", hakte Grace nach. "Ach, Joe hält hier die Stellung", meinte Boris mit fröhlicher Miene. Auch Grace war froh, wieder vom Revier verschwinden zu können und so liefen sie durch den Eingangsbereich, meldeten sich bei Joe ab und gingen hinaus.

Joe Brays war ein älterer, etwas runderer, liebenswürdiger Herr. Er arbeitete, seid Grace Beginn, hier auf dem Revier und wahrscheinlich schon viel länger. Früher war er mal Sheriff von Clinton, doch mittlerweile spielten seine Beine nicht mehr so mit und somit begnügte er sich mit der Buchhaltung und der Auskunft für jeden der auf dem Revier aufkreuzte.

Grace und Boris liefen an dem Gebäudekomplex, des Präsidiums, vorbei und die Straße hinunter, bis zu einem kleinen Café. Hier verbrachten die beiden schon einige Mittagspausen gemeinsam, egal ob weitere Besprechungen vorlagen, oder einfach nur um einen heißen Kaffee und ein Stück Kuchen zu genießen.

Kaum saßen die beiden in einer kleinen Sitzecke, begann Grace zu erzählen, was sie am vorherigen Abend festgestellt hatte. "Okay, Boris. Ich muss dir erzählen was mir gestern aufgefallen ist!", sie legte eine kurze Pause ein, Boris und Grace Blicke kreuzten sich. Grace wusste, dass Boris sehr dunkle, grüne Augen besaß und seine hellbraunen Haare sich kurz über der Stirn kräuselten, doch wie er sie gerade ansah und ihr zu lächelte, besaß er eine, für Grace überraschend neue, Anziehungskraft. Grace war verwundert und gleichzeitig verwirrt von diesen seltsamen Gefühlen. Im nächsten Moment viel ihr auf, dass Boris sie fragend anschaute und sie vergessen hatte weiter zu sprechen. Sie fühlte sich ertappt und lief rot an, sie drehte sich leicht zur Seite und versuchte die wirren Gedanken abzuschütteln. Sie fand den Faden wieder, drehte sich zurück zu Boris und sprach weiter: "Also es ist so. Ich entdeckte auf einem Tatortfoto Reifenspuren, es handelte sich hierbei um den Ort von Kelseys Verschwinden. Die Truck Spuren ähneln den Reifenspuren von Jannes Truck, jedoch erkennt man die selben Truck Spuren auf dem Tatortfoto, wo man Andrews Leiche fand!".

Boris sah verdutzt aus: "Sollten wir das nicht den FBI Agenten mitteilen?". "Lass uns erst mal selber einen Blick darauf werfen", bestimmte Grace. Also beschlossen die beiden zu den Tatorten zu fahren und sich einen eigenen Überblick zu verschaffen. Es war fraglich, ob man die Spuren noch erkennen könne, jedoch wollte Grace sich einen eigenen Überblick verschaffen. Grace nahm die Kopien der Tatort Fotografien aus der Akte und bewies Boris ihre Vermutung, dann packten sie die Akten ein, verließen das kleine Café und stiegen in Boris Wagen, welcher auf dem Revier Parkplatz stand. Boris startete den Motor, doch bevor er los fuhr, fragte er: "Die Spurensicherung suchte die kompletten Tatorte ab, machte die Fotos, auf welchen du die Spuren fandest und die FBI Agenten waren nun auch schon da, meinst du wirklich wir finden irgendetwas?". "Die Antwort auf diese Frage, werden wir niemals kennen, wenn wir nicht hinfahren und es versuchen!", erwiderte Grace.
Daraufhin gab Boris Gas und sie steuerten den ersten Tatort an.

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