Kapitel 8

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"Eure Majestät!", hallte eine Stimme in ihrem Kopf, "Majestät?"
Elsa schreckte aus ihrem leichten Schlaf hoch. Hatte sie nicht jemanden rufen hören?
"Geht es ihnen gut?" Da war sie wieder.
"Ja, mir geht es gut.", nuschelte sie noch ein wenig verschlafen.
"Soll ich ihnen beim Fertigmachen helfen?", wollte die Dienerin wissen.
Fertigmachen? Wofür?, fragte sie sich selber. Da fiel es ihr wieder ein: Verdammt, meine Krönung!
Hastig schlug Elsa ihr Bettdecke zurück und stand auf, dann antworte sie, während sie eilig ihre Handschuhe suchte, der Dienerin: "Nein, nein. Ich schaffe das schon alleine. Sorge du nur dafür, dass alles andere perfekt ist."
"Wie sie wünschen.", kam die Antwort.
Elsas Kleid war schon am Vortag von einem Diener bereitgelegt worden und so brauchte sie es sich nur noch anzuziehen. Als sie damit fertig war, kämmte sie sich ihre Haare und steckte sie, eng zusammengebunden, hoch. Diese Frisur, so fand sie, verlieh ihr ein anmutiges, erwachsenes Aussehen, perfekt für die Krönung. Letztendlich band sie sich noch ihren fuchsiafarbenen langen Umhang um und ging zu den Fenstern, durch die sie nun schon die ersten Besucher sah, die alle zum Schlosstor strömten. Elsa atmete schwer auf. Wie gestern versuchte sie, ohne Handschuhe die Kerze und die blaue verzierte Dose zu halten, doch auch diesmal gefroren sie.
Mach einen falschen Schritt und jeder wird wissen, wer du wirklich bist.
Schnell schreifte sie die weichen Handschuhe wieder über ihre zarten Finger. Nun war es soweit. Die Krönung stand unmittelbar bevor und Elsa hatte mehr Angst, denn je.
Wo bleibt er nur? Er hatte doch versprochen, bei mir zu sein..., stellte sie enttäuscht fest.
Betrübt lief Elsa zur Tür und öffnete diese mit einem Ruck. Der Flur, der sich dahinter befand, war mit einem festlichen Teppich ausgelegt. Sie trat hinaus. Dem Dienstpersonal, das in Reihe an beiden Seiten des Ganges stand, verkündete die baldige Königin, dass die Wachen nun die Tore öffnen sollten. Würdevoll schritt sie über den rötlichen Teppich, bis sie schließlich an den weißen großen Fenstern ankam, die zu dem Balkon führten, auf den sie sich zu stellen gedachte. Elsa wollte sich von dort aus einen Überblick verschaffen, wie viele Menschen zu ihrer Krönung erschienen. Kurz zögerte sie noch.
Tief durchatmen!
Elsa sog scharf die Luft ein und verharrte einen kurzen Moment, mit den Händen die Fensterknäufe umschließend. Sie ließ die Luft aus ihren Lungen entweichen und zog die Fenster auf. Behutsam betrat sie den Balkon, legte ihre Hände übereinander auf dem weißen Balkongeländer ab und blickte in den Innenhof. Sie hatte gerade erst die Tore öffnen lassen und schon jetzt war er halb voll. Anna wirbelte kreuz und quer über den Hof und verschwand schließlich in Richtung Stadt. Wenigstens konnte sich eine der beiden freuen.
Siehst du. Sie kommen alle, um dich zu sehen, Elsa. Dich, ihre neue, wunderschöne und anmutige Königin., klang da eine Stimme in ihrem Kopf.
Sofort musste die lächeln. "Hallo."
Alles Gute zu deiner Krönung, Königin Elsa von Arendelle., beglückwünschte er sie.
"Danke.", hauchte sie und senkte betrübt den Kopf.
Hey. Vergiss nicht, heute Abend schon wirst du frei sein., versuchte die raue Stimme sie aufzumuntern.
"Wie soll das gehen? Heute Abend bin ich Königin und für immer eingesperrt in meinem Schloss., zweifelte sie.
Du wirst sehen, Elsa. Du wirst niemals mehr Angst haben müssen., beschwichtigte er ihre Zweifel, Warte nur noch bis heute Abend und du wirst sehen, welche Schönheit hinter deinen Kräften steckt, welche Macht.
"Ich werde warten."
Gut so. Und jetzt, geh zu deinem Volk. Vollziehe die Zeremonie.
Bestätigend nickte sie mit dem Kopf und wandte sich von dem Balkon ab, wieder dem Schlossinneren zu.

"Warum darf ich da nicht hin?!", schrie Jack aufgebracht.
"Beruhige dich!"
"Warum soll ich mich beruhigen? Erst kommt ihr hierher, obwohl ich gesagt habe, dass ich allein sein möchte, mach mich auf ihre Krönungsfeier aufmerksam und jetzt verbietet ihr mir wieder, sie zu sehen?!", regte er sich weiter auf.
"Es geht nicht, Jack. Sie noch nicht soweit.", versuchte North seinem jungen wütenden Freund zu erklären.
"Wann wird sie denn je bereit sein?! Sie wird heute unsterblich! Ihre Kräfte sind vollendet!"
"Aber ihr Geist nicht.", sagte North gefasst. Es war deutlich zu erkennen, dass Jack Frost etwas für die junge Königin empfand. Das würde sogar jeder Blinde sehen.
Er ist verliebt., schmunzelte der Weihnachtsmann in sich hinein.
"Was grinst du so?!", ging er den Hüter der Wunder an.
"Ach nichts.", antwortete dieser schnell.
Dafür erntete er einen wütenden Blick von Jack, der ihn fast durchbohrte.
"... Was North damit sagen möchte...", wollte die Zahnfee erklären, "Wir haben das schon lange bemerkt.".
"Was?"
"Du bist verliebt, Jack. In Elsa. Und genau deswegen können wir dich nicht zu ihr lassen. Ohne darüber nachzudenken, und das ist bei Verliebten normal, würdest du vielleicht versuchen, sie in irgendeiner Weise zu unterstützen. Und das dürfen wir nicht zulassen.", sprach sie nun gefühlvoll. Toothiana hatte dem Hüter des Lachens mitfühlend eine Hand auf die Schulter gelegt und schaute ihn mitleidig an.
Jack war verblüfft darüber, dass die Hüter es wussten. Er hatte es sich ja selbst nicht eingestehen wollen.
Sie haben es die ganze Zeit über gewusst...
Verlegen senkte er seinen Kopf.
"Aber das doch nicht schlimm.", versuchte North nun noch einmal mit ihm zu reden, "Wir uns freuen für dich, aber vielleicht du jetzt verstehen, warum wir so streng."
Zaghaft nickte Jack. Sie hatten ja Recht. Er war schon einige Male kurz davor gewesen, etwas Unüberlegtes zu tun und er wusste nicht, wie oft er sich hatte bremsen müssen. Dass er es trotzdem immer wieder geschafft hatte, war reines Glück gewesen.
"Es... Es tut mir Leid.", flüsterte er. Jack hatte Schuldgefühle gegenüber den Hütern, ganz besonders gegenüber North Pole. Er war immer so barsch zu ihm gewesen, dabei wollte der freundliche dicke Mann ihn nur beschützen.
"Komm her!", lachte der Weihnachtsmann und umarmte ihn fest.
Glücklich darüber, dass North ihm verziehen hatte, sprang er in die Luft und machte einen Salto.
"Danke, danke, danke!"
Er eilte zu Tooth, gab ihr einen Kuss auf die Wange, Sandy umarmte er und drückte ihn fest, doch als er kurz davor war, den Osterhasen anzuspringen, hielt er inne. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und lachte.
"Dir auch vielen Dank."
Hase lächelte warm. "Kein Problem, Keule."
"Jack?", richtete der Weihnachtsmann das Wort, wieder etwas ernster, an ihn, "Du aber trotzdem nicht zu ihr dürfen. Tut mir leid."
"Ja, ich weiß.", murmelte Jack Frost, "Aber passt gut auf sie auf!"
"Das werden wir, Keule.", lächelte der Osterhase.
"Soll jemand von uns bei dir bleiben?", fragte Toothiana mitfühlend.
"Nein, es geht schon.", versuchte Jack zu lächeln. Es betrübte ihn schon, dass er die Königin nicht sehen durfte, aber er sah ein, dass es so besser war.
Du darfst sie nicht lieben, Jack! Sie muss sterben, wenn du sie liebst.
Als die Hüter merkten, dass Jack schon wieder in Gedanken war, begaben sie sich auf den Weg zur Krönung der neuen Königin von Arendelle.

Den feierlichen Gesang des Chors hörte sie durch die mächtige Holztür der Kirche hindurch. Majestätisch und anmutig klang die Melodie. So, wie sie, wenn sie durch diese Tür treten würde, auftreten musste.
Elsa zögerte.
Atme tief durch und geh dann rein. Du schaffst das. Ich glaube an dich., ermutigte ihr Freund sie in Gedanken.
"Ja.", seufzte sie und nickte den Bediensteten an der großen Flügeltür zu. Diese verstanden sofort und öffneten die Tür. Sie merkte, dass viele Blicke auf ihr ruhten, doch Elsa konnte nur noch geradeaus starren, dorthin, wo der Pfarrer in seiner feierlichen Robe stand und sie erwartete. Bedacht und mit erhobenem Haupt schritt Elsa, an den Reihen der Gäste vorbei, vor zum Altar. Sofort begann er mit der Vorrede.
Als er diese beendete, wurde Elsa das königliche Diadem aufgesetzt und ein Samtkissen mit einem Zepter und dem Reichsapfel hingehalten.
Als sie beides mit ihren, noch in den Handschuhen steckenden, Händen aufnehmen wollte, sprach der Pfarrer zu ihr: "Eure Majestät."
Sie blickte auf.
"Eure Handschuhe."
Zögernd zog Elsa sie aus und legte sie auf das Kissen, dann griff sie, bebend vor Angst, nach den goldenen Gegenständen.
Schon begann der Heilige, untermalt von kirchlichen Klängen, die traditionellen Worte zu sprechen: "Sem hann heldur sínum helgum eignum og krýnd í þessum helga stað ek té fram fyrir yðr..."
Währenddessen hatte sich Elsa zu ihrem Volk umgedreht.
Konzentrier dich! Du hast es gleich geschafft., bekräftigte ihr Freund ihren Willen.
Sie versuchte zu lächeln, doch vor Anstrengung wollte es ihr nicht so recht gelingen. Ein kurzer Blick auf ihre Hände genügte und sie sah mit Entsetzen, dass das Eis die Gegenstände hochwuchs.
Halt durch!
"Königin...", sprach der Pastor unbeirrt weiter.
Elsa hielt es nicht mehr aus. Schnell drehte sie sich um, legte das Zepter und den Reichsapfel zurück auf das Kissen und stülpte ihre Handschuhe über.
"... Elsa von Arendelle.", schloss der Kirchliche.
Alle Anwesenden waren aufgestanden und applaudierten. Ein erleichtertes Lächeln huschte über ihre Lippen.
Siehst du, du hast es geschafft, meine Königin.
Nun, da das Schwerste überstanden war, wartete jetzt der etwas angenehmere Teil der Feier: der Ball. Inständig hoffte Elsa, dass auch da alles glatt laufen würde und sie danach getrost zu Bett gehen konnte.

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt