Prolog

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"Lily, hast du's dann mal mit deinen Klamotten?", schrie meine Mom, obwohl sie gerade mal ein Zimmer weiter stand und die Kartons stapelte.
"Jaha, warte noch kurz.", keifte ich gehässigt zurück und stöhnte.
Das letzte T-Shirt in meiner Hand faltete sich praktisch von selbst, denn diese Dauerbewegung machte ich schon seit drei Tagen.
Lustlos wurde der Stoff in den halbvollen, letzten Karton geschmissen und auf einen anderen gestellt. Nun war alles eingeräumt, außer mein altes Holzbett mit Lattenrost und der noch fast neue Kleiderschrank.
Die werden wohl hierbleiben müssen.
Sonst war das meißte schon in London, in unserem neuen Haus.

Ich schnaupte verächtlich.

Man konnte mir schon vor Wochen ansehen, dass ich den Gedanken nicht ertragen konnte auf immer Good bye zu sagen.
Genau von dem Moment an, an dem mein Vater es gewagt hatte, das Wort 'umziehen' über die Lippen zu bringen, war ich auf alles und jeden stinksauer.
Meine Mom hatte gemeckert ich solle nicht so kindisch sein, aber in Wirklichkeit fiel ihr es auch schwer.

Na, wer ist jetzt hier das Opfer?,

dachte ich mir innerlich lachend und schaute traurig ein letztes Mal aus dem schäbigen Fenster. Unser Reihenhaus war wirklich nicht das schönste. Die pissgelbe Farbe blätterte schon ab und bei Wind klapperten die Fenster wie Holzdielen. Es war eigentlich ein kleines, hässliges Hexenhaus.

Ein Hexenreihenhaus.

Aber trotzdem hing meine gesamte Kindheit an diesen alten Mauern. Seltsamerweise musste ich schlagartig an London denken.
Wie wohl das neue Heim aussehen wird?
Bestimmt ne Villa oder sowas. Mit so vielen Fresken, dass du die Decke nicht mehr sehen kannst.

Vielleicht. Kann aber auch sein, dass es wieder so eine Bruchbude wird.

Unwahrscheinlich. Daddy bringt doch jetzt mehr Kohle nach Hause. Wenn die jetzt sowas nochmal gekauft haben, sind sie schlechte Geschäftsleute.

Stimmt.

Ich ließ den Blick über die kleinen Vorgärten schweifen und versank in Gedanken.

Warum mussten wir nochmal umziehen?

Achja, stimmt.
Weil Dad ja unbedingt diese behämmerte Stelle annehmen musste.
Klar, mehr Gehalt bedeutet mehr Taschengeld, aber trotzdem hatte ich keine Lust, Seattle hinter mir zu lassen.

" Schatz?" Ich schreckte auf. "Mom, hast du mich erschrocken!", keuchte ich und fasste mir ans Herz. Sie hatte ihren Kopf durch die Tür gesteckt und runzelte ungeduldig die Stirn, doch ihre Mundwinkel zuckten amüsiert. "Das Taxi ist da und die Umzugswagen warten schon.", antwortete sie jetzt lächelnd und winkte mich mit der Hand aus dem Raum, wobei ihr ein paar braune Haarsträhnen aus dem wirren Zopf fielen. Sie waren wie immer wellig und frisch gewaschen. Die hohen Wangenknochen schienen heute dunkler geschminkt als sonst und passten perfekt zu ihren grünen Augen.

Die hab ich natürlich nicht geerbt.
War ja irgendwie klar.

Für ihre zierliche Figur beneidete ich sie auch ein bisschen, denn Kurven wie ich hatte keiner aus der gesamten Verwandtschaft.

Joa, ne.Warum denn auch?

"Ja, ich komm schon.", seufzte ich und bewegte mich zu ihr, wobei ich geschickt meine Handtasche fischte und flüchtig den Inhalt kontrollierte. Alles wichtige war dabei:
Smartphone, Kopfhörer, Portemonnaie und eine prallend volle Kosmetiktasche, die mir meine Mom zum siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Zwar benutzte ich alles daraus, trotzdem sah ich jeden Morgen aus wie ein Zombie.

Egal.

An der Tür drehte ich mich noch ein letztes Mal um und atmete den Geruch von alten Tapeten und Holz ein. "Auf Wiedersehen.", flüsterte ich in den kleinen Raum, der mir sein trauriges Echo zurückschickte. Leise quietschend schloss Mom die Tür, bevor wir in den kleinen Flur traten. Ich musste mich am Ärmel von Mama festhalten, um nicht sofort wie ein kleines Kind loszuheueln. Junge Männer hasteten ungeduldig und schwitzend die Treppe hoch, öffneten den gerade verlassenen Raum und kamen ein paar Sekunden später wieder mit den Kartons. Sie stürmten die Streppe herrunter und schon waren sie wieder aus der Haustür. Mom seufzte neben mir und ging dann gemeinsam mit mir die sperrliche Treppe herrunter. "Seh es als Neuanfang, auch wenn das unglaubwürdig klingt.", flüsterte sie heiser, als wir die letzte Stufe erreichten.

Ein Neuanfang?

Sowas hatte ich noch nie gemacht und es schien ziemlich schwer zu sein.
Wenn das einer war, hasste ich sie abgöttisch.
"Ja, es klingt unglaubwürdig.", mauelte ich leise.
"Aber wenn ich es anders sehe, zerbreche ich mir nur selber den Kopf."
Bestürtzt schaute ich auf den Boden.
Sie lächelte gequält.
"Das ist meine kleine. Sei aber bitte nicht zu traurig, sonst tust du es doch.", lächelte sie mit fester Stimme und küsste mich auf die Wange, woraufhin ich meinen Gesicht in ihren weichen Pulli vergrub und wir gemeinsam die Türschwelle verließen.
Diesmal gab es einen Unterschied: Ich verließ dieses Haus nicht, um zur Schule zu gehen.
Ich sah es nie wieder.



Hallo leutöö :D
Wie ihr seht bin ich gerade dabei eine neue Geschichte zu schreiben:)
Hoffe, es ist ok :(

Schaupieler und andere ProblemeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt