1 | Der Tag der Tage

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Die Sonne knallte erbarmungslos auf meine Freundin Souri und mich herab, während wir langsam aus der Akademie in Richtung Versammlungsplatz gingen. Ich spürte, wie der Schweiß meinen Rücken hinabrann, doch das war mir völlig egal, denn heute war der Tag aller Tage. Mein Tag.
Seit ich denken konnte trainierte ich für diesen einen Moment und meine Aufregung schien ins unermessliche zu steigen. Heute würde ich auf der großen Bühne stehen und ganz Panem meinen Namen verkünden. Den Namen, den nie wieder irgendjemand vergessen würde, denn ich würde die 40. Hungerspiele gewinnen, so wie es sich meine Eltern von mir wünschten. Es erwarteten. Als Tochter des Bürgermeisters war es schließlich meine Pflicht, Siegerin zu werden, damit niemandem meinem Vater nachsagen konnte, dass er nicht alles für den Distrikt tat.
Doch für mich wäre es so oder so klar gewesen, dass ich mich melden würde. Ich wollte Siegerin sein. All diesen Ruhm und die Ehre nach Hause bringen. In einem der wundervollen Siegerhäuser leben und Jugendlichen wie mir beibringen wie man genau so wird, wie ich. Ich wollte Vorbild sein. Ein Vorbild, für alle anderen die nach mir kommen würden.
"Bist du schon aufgeregt? Wegen der Ernte meine ich?"
"Naja, aufgeregt ist nicht das richtige Wort. Ich weiß, dass ich in die Spiele gehen werde und freue mich schon darauf. Ich will das Kapitol endlich sehen, all die tollen Kleider tragen. Um ehrlich zu sein kann ich es kaum erwarten einmal hier raus zu sein.", ich grinste meine Freundin an und sie nickte.
"Nächstes Jahr wirst du meine Mentorin sein. Wahrscheinlich die beste Mentorin überhaupt.", sie zwinkerte mir zu und ich lächelte.
Der Platz war schon beinahe ganz voll als wir uns einreihten, um uns in den Finger stechen zu lassen. Wie immer wurde ich angestarrt, doch das sah ich gar nicht mehr.
Alle wussten, dass ich mich dieses Jahr melden würde und niemand würde es auch nur wagen, mir in die Quere zu kommen. Ich war der Star der Akademie, zumindest war ich in diesem Jahr zum Star geworden.
Ich hatte jeden Tag stundenlang trainiert und wurde von Minute zu Minute besser. Ich besiegte Trainer um Trainer und war froh, als ich nur noch für mich trainieren musste. Ich war gerne allein beim Training, dort konnte ich am besten nachdenken.
Über mein Leben und über das, was kommen würde, wenn ich wieder nach Hause kam.
Wie gewohnt stellten Souri und ich uns nebeneinander zu den anderen 17jährigen Mädchen, die sich sofort um uns herum scharten.
Ich machte einige Witze, erzählte über mein Abschlusstraining und genoss ihre Bewunderung und den Zuspruch. Manchmal brauchte ich die ganze Aufmerksamkeit, die mir die Stellung meines Vaters einbrachte.
Dann stieß Souri mich an und ich sah, dass sich ein dunkelhaariges Mädchen aus der Reihe der 14jährigen nach mir umdrehte. Meine kleine Schwester.
"Ich bin gleich wieder da."
Betont lässig ging ich an dem Friedenswächter vorbei, der uns unter Kontrolle halten sollte und schenkte ihm mein bezauberndstes Lächeln. Er ließ mich durch.
"Ich dachte du wolltest noch einmal nach Hause kommen Vic?", vorwurfsvoll sah meine kleine Schwester mich an und ich nahm sie einfach kurz in den Arm.
"Du weißt genau, dass ich noch trainieren wollte. Hab die Zeit vergessen. Wir sehen uns doch nachher bei der Verabschiedung nochmal.", ich zwinkerte ihr zu, strich ihr über den Rücken und ging wieder zurück zu meinem Platz.
Ich liebte meine Schwester und wusste, dass sie mir von allen am meisten fehlen würde. Sie war meine kleine Sonne, die mir immer und überall gute Laune brachte. Für sie wollte ich auch gewinnen, denn hatte ich erst einmal einen Sieg in die Familie gebracht, würden meine Eltern Dany niemals dazu drängen, in die Spiele zu gehen. Sie war nicht so stark wie ich. Weder körperlich und schon gar nicht seelisch. Sie war zu zart für die Spiele und ich konnte sie davor bewahren.
Dann ging die Tür des Justizgebäudes auf und mein Vater betrat, gefolgt von unserer Betreuerin Kathleen und den diesjährigen Mentoren Romulus und Athena, die Bühne
Mein Herz machte einen Satz, nun war es wirklich so weit. Ich würde in wenigen Minuten Tributin der 40. Hungerspiele sein.
Wie gewohnt sprach mein Vater einige Worte, ehe der Film abgespielt wurde, der uns deutlich machte, zu welchem Zweck es die Spiele gab. Schließlich stellte sich Kathleen vors Mikrofon und begann breit grinsend mit der Ernte.
"Willkommen! Willkommen! Ich freue mich besonders dieses Jahr wieder hier zu sein, um eine mutige junge Frau und einen mutigen jungen Mann aus euren Reihen mit ins Kapitol zu nehmen. Wie immer, Ladies first.", sie trippelte in ihrem bunt gefiederten Kleid zur Urne mit den Mädchennamen.
Nach einigen Sekunden holte sie sich einen Zettel und trippelte zurück zum Mikrofon.
Ohne große Umschweife verkündete Kathleen den Namen.
"Jolina Sommers.", ein Mädchen aus der Reihe der 16jährigen bewegte sich. Doch ehe sie auch nur sichtbar werden konnte, hob ich meine Hand.
"Wunderbar! Wunderbar! Eine Freiwillige! Komm nach vorne meine Hübsche.", sie lachte laut und die Lautsprecher um den ganzen Platz herum begannen zu quietschen.
Ich setzte mein perfektestes Lächeln auf und ging selbstsicher und stolz, mit hoch erhobenem Kopf nach vorne.
"Wie ist dein Name Schätzchen?", fragte meine Betreuerin mich und machte mir Platz, um ihn ganz Panem verkünden zu können.
"Mein Name ist Victoria Masterson.", sagte ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht, während die Menschen aus Distrikt 2 zu klatschen und jubeln begannen.
Sofort suchte ich den Blick von meinem Vater und er nickte kaum merklich, doch ich wusste was dies bedeutete. Er war stolz auf mich.
"Nun, wer wird dein Partner sein, Victoria?", Kathleen ging zur Urne mit den Jungennamen und zog auch hier, sehr schnell, einen Zettel hinaus.
Kaum war sie beim Mikrofon angekommen, verlas sie auch diesen Namen.
"Tyler Spoon."
Unruhe entstand, als ein Junge aus der Reihe der 14jährigen versuchte nach vorne zu treten. Doch ich beachtete ihn nicht, denn ich hatte längst die Hand gesehen, die sich in der hintersten Reihe der 18jährigen gehoben hatte. Kathleen hatte sie auch gesehen und deutete auf den Jungen.
"Komm nach vorne mein Lieber. Komm nach vorne. Noch ein Freiwilliger! Wunderbar!", sie schien sich beinahe zu überschlagen, obwohl es bei uns in Distrikt 2 keine Seltenheit war, dass man sich freiwillig meldete.
Als sich ein dunkler Schatten aus der Menge hervorhob erkannte ich, dass es Telum Arvis war.
Ich hatte einige Male mit ihm in der Akademie trainiert und wusste, dass er sehr gut war. Ob er jedoch ein guter Teamplayer war wusste ich nicht, denn wir hatten kaum miteinander gesprochen. Er war nicht sehr gesellig, wollte einfach nur trainieren und das mochte ich in der Akademie an ihm. Er machte sich nichts daraus, wer ich war, sondern sah in mir eine gute Trainingspartnerin und das war mir sehr viel mehr wert.
Ohne ein Lächeln, einfach nur mit ernster Miene, erklomm Telum die Bühne, trat ans Mirkofon und nannte seinen Namen.
Auch er wurde bejubelt.
Dann gaben wir uns unsere Hände und ich hatte das Gefühl, dass ein kleines Lächeln über sein Gesicht huschte. Doch ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nur eingebildet hatte oder es tatsächlich so gewesen war.
Immer noch lächelnd winkte ich den Menschen aus Distrikt 2 noch ein letztes Mal zu, ehe die Hymne von Panem eingespielt wurde und die Tür des Justizgebäudes hinter uns ins Schloss fiel.

Immer noch lächelnd winkte ich den Menschen aus Distrikt 2 noch ein letztes Mal zu, ehe die Hymne von Panem eingespielt wurde und die Tür des Justizgebäudes hinter uns ins Schloss fiel

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Victoria Masterson - Die 40. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt