Kapitel 4

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Ich musste mich zuhause abhetzen, als würde es um Leben und Tod gehen. Geduscht hatte ich bereits in der Sporthalle, aber Umziehen, Schminken und Haare machen raubten mir viel zu viel Zeit. In einer halben Stunde würde ich mich mit Paula und Sam treffen, verdammt!
Letztendlich trug ich mein schwarzes enges Lieblingskleid mit ein paar glitzernden Perlen hinten am Rücken, dazu eine durchsichtige Strumpfhose und schwarze Ballerinnas. Meine Haare hatte ich mit einem Lockenstab bearbeitet und ein paar Strähnen seitlich mit einer Haarnadel befestigt. Ich schminkte mich wie immer mit Wimperntusche und etwas Make-Up, hinzu kamen Eyeliner, goldfarbener Liedschatten, Puder und etwas dunkelroter Lippenstift. Fertig.
Ich war froh darüber, dass ich mich nicht für High-Heels entschieden hatte, als ich durch die finsteren Gassen hastete und mich versuchte anhand der Straßennamen zurecht zu finden. Mein Orientierungssinn war nicht unbedingt der beste, vor allem nicht in dieser Dunkelheit, aber ich schaffte es tatsächlich ohne mich zu Verlaufen zu dem geplanten Treffpunkt zu kommen.
„Ihr seht toll aus", versichterte Paula Sam und mir, als wir uns mit einer Umarmung begrüßten und dann das letzte Stück gemeinsam in der Green-World-Evenue bis zur Nummer 177 gingen. Ich würde am liebsten wieder umkehren, als ich das Jungsgelächter und ein paar besoffene Stimmen aus weiter Ferne hörte, aber ich erinnerte mich daran zurück, wie wichtig Paula diese Party war.
„Du siehst auch gut aus", antwortete ich schließlich, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Paula trug einen schwarzen Minirock mit einem engen weißen Top und Sam ein dunkelrotes Kleid. Sie hatte sich auch für Ballerinnas entschieden, dagegen trug Paula High-Heels. Bestimmt alles nur für Finn.
Ich musste lachen, weil Sam den gleichen Gedanken wie ich hatte. „Mal sehen, ob dein Schätzchen schon da ist", sagte sie, als wir vor Collins Haus standen. Er wohnte in einem villaähnlichen, weißen Gebäude mit einem riesigen Vorgarten und einem kleinen Pool, der bereits jetzt komplett mit Leuten überfüllt war. Seine Eltern schienen einen Haufen Geld haben zu müssen.
Die Musik war so laut, dass wir Paulas Antwort kaum verstehen konnten. Es gab eine große Musikbox rechts neben dem Pool, aus der gerade „And we danced" von Maklemore dröhnte. Sofort wippte ich im Takt der Musik ein bisschen mit, während wir uns an der Menschenmasse entlang zu der offen stehenden Haustür drängelten.
Im Wohnzimmer trafen wir endlich auf Collin, der uns halb verschwitzt, aber überglücklich in Empfang nahm. Wir kannten ihn übrigens auch von der University, weil er den gleichen Mathe- und Physikkurs wie wir besuchten.
Gott sei Dank hatte Paula daran gedacht, ihm das Poster seiner Lieblingsband und eine Flasche Wodka als Geburtstagsgeschenk zu besorgen, dass sie natürlich so darstellte, als sei es von uns zusammen. Ich wisperte ihr einDankeschön zu, aber sie winkte nur ab.
„Echt cool von euch", entgegnete er, und umarmte uns hastig, nachdem wir ihm nochmal gratuliert hatten. Sein kariertes Hemd war vom Getränkekisten schleppen und tanzen komplett voll geschwitzt, sodass ich froh war, als er seine nächsten Gäste in Empfang nahm und ein Stück weiter ging.

Nachdem wir uns jeder eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank geangelt hatten (für das harte Zeug gab es ja noch genug Zeit) und uns in einer hinteren Ecke im Wohnzimmer von all den anderen Gästen abschotteten, tauchte Finn auf.
Es war nicht zu übersehen, dass Paula bei seinem Anblick total aus dem Häuschen war. Okay, ich musste zugeben, dass er ganz gut aussah. Er war nicht schlecht gebaut (vielleicht sogar mit Sixpack?), hatte trainierte Oberarme und genau die gleichen dunklen Augen wie mein Lieblingsschauspieler Channing Tatum, dazu ein süßes Lächeln und volle Lippen.
„Hey, Hübsche", wisperte er ihr zu, und umarmte sie gefühlt eine halbe Ewigkeit. Erst dann widmete er sich ein paar Sekunden uns, sagte aber auch nicht mehr als ein „Hallo".
Es war irgendwie grauenhaft den beiden dabei zu zusehen, wie sie sich gegenseitig total verliebte Blicke zu warfen. Ich hatte beinahe das Gefühl mich zu übergeben, denn allein der Gedanke daran, wie besessen Paula von EINEM JUNGEN war, machte mich fertig.
„Ist es okay für euch, wenn Finn und ich ein bisschen nach draußen gehen?". „Ja, klar", sagte ich sofort, und atmete erleichtert aus. „Kein Problem, geht ruhig."
Und damit waren die beiden innerhalb von Sekunden durch die Menschenmasse verschwunden.
„Das war ja nicht auszuhalten", stöhnte ich Sam zu, die über meine Feststellung nur lachen musste. „Ich will gar nicht wissen, was sich da gleich hinter den Büschen abspielt."
„Jetzt übertreib aber nicht", entgegnete sie, und nahm einen Schluck von dem Bier. Durch den Limonengeschmack war es sehr erfrischend. „Sie kennt Finn doch kaum, als ob das so zackig bei ihnen geht."
Ich zuckte nur mit den Schultern und beobachte Collins Gäste für eine Weile. Ein paar waren mittlerweile schon längst betrunken und taumelten ohne jegliche Orientierung durch die überfüllten Räume.
Dafür, dass er ebenfalls Maschinenbau studierte, waren erstaunlich viele Mädchen gekommen. Endlich herrschte ein Gleichgewicht, aber ich konnte mir wirklich nicht erschließen, woher er all diese Leute kannte.
„Wollen wir tanzen?", fragte Sam schließlich, und zog mich ohne auf eine Antwort zu warten hinüber zu der Tanzfläche, die auch im Wohnzimmer war. Ich wippte zwar wieder ein wenig im Rhythmus der Musik, war aber einfach nicht in der Stimmung richtig abzugehen.
Sam dagegen machte einen Hip-Hop-Kurs und präsentierte sich jetzt von ihrer besten Seite, sodass sie natürlich extrem auf sich aufmerksam machte. Besonders was die männlichen Gäste anging. Ich musste tief seufzen und meine Laune sank weiter und weiter.
Gerade, als ich beschlossen hatte, die Tanzfläche wieder zu verlassen, drängelte sich ein schwarzhaariger Typ an uns vorbei und machte bei Sam Halt. Mir wurde echt schlecht, als er sein Oberschenkel gegen ihren Hintern drückte und seine Hände um ihre Taille legte.
„Sam?! Warum machst du denn nichts? Sag ihm, er soll gefälligst gehen!". Ich hatte weder ein Schamgefühl hier herumzuschreien, noch ein schlechtes Gewissen, weil ich diesen Unbekannten indirekt beleidigte. Mir war alles egal, abgesehen davon konnte mich durch die laute Musik sowieso kaum jemand hören.
Aber Sam interessierte sich null dafür, was ich ihr zu rief. Sie machte einfach weiter. Ich konnte es wirklich nicht fassen! Was war bloß los mit meinen Freundinnen? Die eine machte sich schon in der ersten Minute aus dem Staub und die andere ließ sich von völlig fremden Menschen begrabschen?!
„Sam! Hallo?! Merkst du nicht, dass er dir an die Titten geht?! Du kannst doch sowas nicht über dich ergehen lassen!". Ich war so sauer und gleichzeitig verwirrt, dass ich kerzengerade neben ihr stehen blieb und die Musik ausblendete.
„Ach Leila, entspann dich doch mal! Wir haben einfach nur ein bisschen Spaß und du übertreibst wirklich!". Sam griff nach den widerlichen Händen von dem Unbekannten und glitt damit über ihren Oberkörper. Wieder hatte ich das Gefühl mich fast zu übergeben.
Diesem Typen war völlig egal was ich ihr zu rief. Er würdigte mich nicht mal eines Blickes, sondern war nur auf Sams Ausschnitt fixiert. Bah, Jungs sind doch wirklich einfach nur eklig!
„Gut, bitte", schrie ich ein paar Sekunden später. Ich konnte das einfach nicht mehr mit ansehen. „Wenn du dich wie eine Schlampe verhalten willst, dann mach ruhig weiter so! Aber nicht mit mir!". Ich warf ihr einen bitterbösen Blick zu, bevor ich mich hastig umdrehte und mich durch die Menschenmasse nach draußen drängelte. Natürlich rannte Sam mir nicht hinterher.
Ich wollte einfach nur noch raus. Einfach nur wieder nach hause in mein Zimmer, meine Ruhe haben und irgendwelche Serien anschauen. Ich bereute es schrecklich, dass ich überhaupt mitgekommen war. Ich war nur hier, um meinen Freunden einen Gefallen zu machen, aber ihnen war es völlig egal, wie ich mich bei der ganzen Sache fühlte. Tolle Freundinnen, wirklich!
Und an all dem waren mal wieder diese dämlichem, nutzlosen Jungs Schuld! Wer auch sonst?

Nobody is perfectWo Geschichten leben. Entdecke jetzt