„Chloe?" Ich sah auf. „Ja?" „Deine Eltern sind am Apparat, sie möchten dich sprechen." Mit gemischten Gefühlen im Bauch erhob ich mich von meinem Bett und ging auf Miss Evans zu, die in der offenen Zimmertür stand. Wie immer trug sie ihren mausgrauen Hosenanzug, kombiniert mit anthrazitfarbenen Pumps. Ihr Haar, welches einst schokoladenbraun gewesen sein musste, war mittlerweile in einen Grauton übergegangen und hatte an Fülle verloren. Sie hatte die Strähnen ordentlich aus ihrem Gesicht gekämmt und am Hinterkopf mit einer Spange hochgesteckt. Vielleicht sollte sie ihre ohnehin schon dünnen Haare nicht immer mit einem so feinen Kamm bürsten, denn sonst würde sie bald gar keine mehr haben.
Trotz ihres eintönigen Erscheinungsbildes war Miss Evans eine liebenswürdige Frau. Ich kannte sie jetzt seit etwa 8 Jahren. Damals war sie immer da gewesen, wenn ich von der Schule kam und meine Eltern mal wieder am Arbeiten waren. Sie hatte uns Mittagessen gekocht und mich nach allen Ereignissen in der Schule gefragt. Wenn mir langweilig war, hatte sie mit mir Spiele gespielt und sogar bei den Hausaufgaben geholfen. Ich hatte keine Ahnung, wie alt sie war, aber es war mir auch nicht wichtig. Für mich war sie wie eine Großmutter, mit der ich reden konnte und die mir zuhörte, wenn ich was auf dem Herzen hatte.
Ganz im Gegensatz zu meinen Eltern. Die waren seit ich 13 war ständig irgendwo in der Welt unterwegs und bauten Hotels. Am Anfang waren sie nur 2 Wochen weg, aber mit den Jahren wurden auch ihre Aufträge größer und somit ihr Aufenthalt länger. Es war jetzt der 2. September, und ich hatte sie seit Februar nicht mehr gesehen. Mein 17. Geburtstag war übermorgen und meine Eltern riefen nun aus was-weiß-ich-woher an, das konnte nichts Gutes bedeuten.