Siva
Als Teri im Morgengrauen müde in den Dachstock zurückkehrt, verkriecht er sich sofort in seiner Schlafspalte. Am Abend wacht er ausgeschlafen auf und beschließt, Mara von seinem seltsamen Besuch bei Hibu zu erzählen. Er hängt sich an seinen Lieblingsplatz am großen Dachbalken und sieht sich nach der Spinne um. Diese läuft ganz aufgeregt am Rand ihres Netzes hin und her. Es dauert einen Moment, bis Teri erkennt, weshalb Mara so ungewöhnlich aktiv ist. Der Flügel des Dachbodenfensters steht halb offen. Darunter kauert ein zitterndes Federbündel auf den Dielen.
«He, Mara, was ist das?»
«Ein Vogel, der heute Nachmittag hier angeflattert kam. Er hat mein altes Netz zerrissen, das beim Fenster. Dann ist er einfach auf den Boden geplumpst. Seitdem sitzt er da rum. Keine Ahnung, was mit ihm los ist. Vermutlich fliegt er gleich los um mein anderes Netz ebenfalls zu zerstören.»
Für Teri sieht es nicht so aus, als wäre der kleine Vogel an Maras Netzen interessiert, eher, als sei er verängstigt. Er flattert zu einem Balken in seiner Nähe und studiert das zitternde Federbündel genauer. Der Vogel ist etwa doppelt so groß wie Teri. Einen Flügel hat er seitlich angelegt, den anderen streckt er seltsam steif von sich. Sein Rücken, die Schwingen und die langen Schwanzfedern glänzen blauschwarz, die Kehle ist aber braun und Teri kann erkennen, dass die Brust beige gefärbt ist. Die Augen hält der Besucher fest geschlossen. Im Gegensatz zu Hibu kann er mit seinem kleinen, schwarzen Schnabel bestimmt keine Fledermaus verschlingen. Das beruhigt Teri etwas und lässt ihn noch ein Stück näher heranfliegen.
«Hallo, wer bist du? Kann ich dir irgendwie helfen?»
Der Vogel antwortet nicht, aber sein Zittern wird noch stärker. Teri vermutet, dass er Angst hat. Allerdings kann er sich nicht vorstellen, warum ein Vogel sich vor einer kleinen Fledermaus und einer noch kleineren Spinne fürchten sollte.
«He, du, Vogel! Ich bin Teri, eine Fledermaus, und das da drüben ist die Kreuzspinne Mara. Wir tun dir nichts, wir fressen keine Vögel! Willst du uns nicht sagen, wie du heißt?»
Langsam und misstrauisch öffnet der Vogel ein Auge und blinzelt zu Teri hoch. Dieser beschließt, etwas zu tun, was er gar nicht gern macht. Er lässt sich fallen und landet neben dem Besucher auf den Dielen. Der Vogel zuckt zuerst zusammen, mustert Teri aber dann neugierig.
«Mein Name ist Siva, von der Familie der Rauchschwalben drüben im Stall. Hallo Teri und Mara!»
Teri bemerkt erst jetzt, dass der Vogel ein Mädchen ist. Vermutlich ist Siva zudem noch sehr jung.
«Hallo Siva. Nett dich kennenzulernen. Ich habe dich hier noch nie gesehen. Wie kommt eine Schwalbe auf unseren Dachboden?»
Mara hat offenbar ihre Angst, Siva werde ihr Netz zerstören, für den Moment vergessen. Sie schwebt neugierig an einem langen Spinnenfaden herunter, um der Unterhaltung besser folgen zu können. Siva zieht ihren steifen linken Flügel näher heran und setzt sich auf.
«Ich musste mich hier verstecken. Es tut mir leid, dass ich unangemeldet in euer Revier eingedrungen bin. Aber heute ist mir etwas Schreckliches passiert!»
«Wollte Hibu, der Waldkauz dich fressen?»
«Ich kenne keinen Hibu. Nein, ich jagte mit meinen beiden Brüdern beim Seerosenteich Mücken. Plötzlich tauchte ein riesiges, rot geschecktes Tier auf und versuchte mich zu packen. Es sprang sehr hoch, verfehlte mich aber. Trotzdem bin ich furchtbar erschrocken und wollte davonfliegen. Da prallte ich mit voller Wucht in eine unsichtbare Wand. Ich habe mir den Kopf und den linken Flügel angestoßen. Das rote Tier wollte sich auf mich stürzen und ich flüchtete weiter. Mit meinem verletzten Flügel konnte ich nicht nach Hause fliegen. Ich schaffte es gerade noch, in einen Strauch zu hüpfen und von dort aus in einen Baum und dann durch euer Fenster. Dabei habe ich wohl meinen Flügel noch weiter überanstrengt. Jetzt kann ich überhaupt nicht mehr fliegen.»
Teri kriecht am Boden näher, um sich Sivas Verletzung anzusehen. Auch Mara lässt sich an ihrem Faden weiter heruntergleiten. Vorsichtig betastet die Spinne mit einem Bein Sivas Flügel.
«Ich glaube, du hast Glück gehabt. Dein Flügel ist nur verstaucht. Wenn du dich ein paar Tage lang ausruhst, wirst du wieder genauso gut fliegen können wie vorher.»
Siva wirkt erleichtert und versucht, den Flügel zu bewegen. Teri weist sie erschrocken zurecht.
«Nein, du darfst ihn nicht bewegen. Du musst Geduld haben, bis es dir besser geht. Du kannst hier bei uns bleiben, bis dein Flügel verheilt ist, nicht wahr, Mara?»
Siva blickt fragend von Teri zu der Spinne. Diese klettert an ihrem Faden empor zu ihrem Netz.
«Von mir aus, aber nur, wenn du mein Netz in Ruhe lässt! Es ist nicht schwalbensicher gebaut.»
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Teri und Siva
PertualanganDie Fledermaus Teri lebt allein in einem alten Dachstock. Die Erzählungen der Spinne Mara wecken Teris Neugier auf das Leben am Tag. Als er die verletzte Schwalbe Siva kennenlernt, ergreift er die Gelegenheit, endlich bei Tageslicht auszufliegen. Ab...