Gokayama

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Kalter Regen prasselte unaufhörlich auf die grauen Kopfsteinpflaster des alten Fabrikgeländes. Dunkle Wolken zogen über den weinenden Himmel und verbreiteten eine erdrückende Atmosphäre. Die zerbrochenen Fenster der Gebäudefassaden schienen Snow auf seinem Weg zu verfolgen, sie beobachteten ihn, ließen ihn nicht aus ihrem unheimlichen Blickfeld verschwinden. Snow bemerkte dies nicht mehr. Das Gelände war seine Heimat geworden, die alten Fabrikfratzen seine Freunde. Sein Mantel und seine Hose waren von dem immer währenden Regen klamm geworden, seine Finger steif und eisig, das Wasser des Himmels floss über seinen Körper.
Sein Hemd war durchweicht, seine Stiefel traten in Pfützen und spritzten das Wasser in alle Richtungen. Snow's Augen waren tiefschwarz und leer.
Er hielt vor einer Art Schuppen, öffnete die schwere Kette die als Schloß diente und trat ein. Im Inneren war es warm, sofort kroch die Wärme durch seine Kleidung, breitete sich auf seiner Haut aus und drang langsam in seine Knochen. Die Lebensgeister in ihm erwachten wieder zum Leben. Snow sah sich um. Atmete tief ein. Fokusierte die Feuerstellen in den Tonnen, ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er die Flammen dabei beobachtete wie sie an ihrer Nahrung leckten. Sie nach und nach verschlangen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, bereit Schmerz und Leid zu verbreiten. Doch das Lächeln verschwand so schnell wie es gekommen war.
Gefasst drehte er sich herum, verschloss sein Zuhause. Zuhause? War es das? Gokayama war seine Heimat gewesen, geboren und aufgewachsen in einer Stadt voller Leben und Wohlstand. An der Seite seiner Schwester, Hinala, im behüteten Haus seiner Eltern.
Kummer verkrampfte urplötzlich sein Herz. Seine Eltern. Genommen vom "Rat". Zum Tode verurteilt weil sie sich widersetzten. Seine Schwester Hinala. Genommen vom "Rat". Verurteilt zu Lebenslanger Haft.

Mit festen Schritten ging Snow zu einer der Wärmequellen, er hängte seine Sachen zum trocknen auf und wusch sich dann, der Regen draußen erzählte weiter seine Geschichte. Trommelte unerlässlich auf das Dach des Schuppens. Snow lauschte und verstand. Tief in seinem Inneren verstand er sehr gut.
Später ließ er sich mit einem seiner vielen Tagebücher in der Hängematte nieder, die ihm als Bett diente. Sachte schlug er eine der Seiten auf, ließ die Spitze des Stiftes auf dem Papier ruhen. Dann begann er zu schreiben. Er schrieb bis tief in die Nacht hinein. Die tanzenden Schatten an den Wänden waren seine stillen Zeugen. Snow legte seine Gedanken, Erinnerungen, Wünsche und Träume nieder.
Er kämpfte und widersetzte sich alleine der Regierung. Die Leute der Stadt waren kraftlos, erschöpft, niedergedrückt, chancenlos.
"Die Männer in Schwarz" bildeten die Regierung. Monster in makellosen Anzügen. Unerschütterlich in ihrer Gier nach Geld, Macht, Absolution. Jeden Tag erblickte man ihre Kolonne von Wagen, wie sie über den Asphalt rollten, auf dem Weg zu ihrem Sitz. Ein Gebäude, so gigantisch und einschüchternd wie seine verehrten Gäste.
Snow konnte vor seinem geistigen Auge ihre polierten Schuhe sehen. Hören wie die Absätze auf dem Boden klapperten. Er sah ihre Augen. Gnadenlos bei der Hinrichtung seiner Eltern. Unbewegt bei der Festnahme seiner Schwester. Zufrieden bei seinem Schrei.
Der Stift in seiner Hand brach, Splitter trieben sich in seine Handinnenfläche, ein kleines Rinnsal Blut floss über die letzten Buchstaben der Seite.
Er hatte Rache geschworen. Er hatte ihnen in die Augen gesehen. Sich in ihren Kopf gepflanzt.
Sanft legte Snow das in ledergebundene Buch zur Seite, zog die Decke über sich und senkte die Lider. Langsam glitt er hinüber in eine andere Welt.
Destroy them all.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 25, 2015 ⏰

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Snow-Part OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt