Kapitel 164

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Mario's Sicht:
"Bevor ich hier irgendeine Antwort gebe, möchte ich, dass ihr etwas wisst. Mir ist nämlich vieles klar geworden." fuhr Nell fort. Sie stand keine zwei Meter von mir entfernt und kam mir so weit weg vor. Meine Beine zitterten unkontrolliert und trotzdem wollte ich nichts anderes, als aus dieser Sitatuion zu flüchten, immer weiter zu laufen, in ein Flugzeug zu steigen und nie wieder zurück zu kehren. Mein Blick huschte nervös durch die gesamte Kirche. Keiner rührte sich mehr, offenbar wusste auch Marco nicht davon, genauso wie Sarah oder Manu oder sonst wer. Schließlich sah ich wieder Nell an, wie sie sich inzwischen komplett von mir abgewandt hatte, nachdem sie mich bei meinem Ja-Wort noch angelächelt hatte. Diesmal war ich es, der sich klein fühlte. Mikrig und schwach, bloßgestellt. Von meinen eigenen Gefühlen. Es war vorbei, ganz klar. Jeden Moment würde sie alles zerplatzen lassen und mein Glück löste sich in Luft auf. Natürlich war dieses perfekte Geschöpf nicht für mich bestimmt. Niemals konnte sie mir das verzeihen, was ich ihr bereits angetan hatte. Sie liebte mich nicht. Die ganze Zeit nicht. Auch jetzt nicht. "Ihr wisst wahrscheinlich alle, warum das zwischen Mario und mir von Anfang an nicht funktioniert hat. Meine Mutter war tot, mein Bruder vor unserem Vater geflüchtet und ich von ihm...geschlagen und beleidigt. In dem Alter war ich nicht fähig, zu entscheiden, wer ich bin und was ich verdient habe. Die Depression hat mich in tiefste Abgründe getrieben und dann war da plötzlich Mario. Hat mich aus den Abgründen gezogen und auf Wolke 7 gebracht. Bis zu dem Tag, als er...als er mich dazu gedrängt hat, mir die Unschuld nehmen zu lassen. Ich war naiv und blind und deshalb hat es mich noch mehr verletzt, als ich nur kurze Zeit später ein Gespräch zwischen ihm und seinen Freunden belauschen konnte. Er hatte um mich gewettet, um dazu zu gehören. Und das war mein Ende. Die...die Depression wurde schlimmer. Ich war am Ende meiner Kräfte, aber mein Vater hat mich nur weiter mit Füßen getreten. Ich war immernoch in Mario verliebt, aber er war der, der mein Leben zerstört hat, nachdem es bereits in Stücke gerissen wurde. Astrid, Jürgen, ich kann mir vorstellen, dass euch das nicht stolz macht, sowas zu hören. Vor allem von mir, weil ich genau diesen Jungen von damals gerade heiraten wollte. Aber ich will das hiermit ausräumen. Marco hat mir einmal verraten, dass auch ich für Mario das erste Mädchen war und das hat plötzlich meine ganze Ansicht gedreht. Mario hat mir schon einmal gesagt, er hätte sich schon damals in mich verliebt, aber ich glaubte ihm das nicht. Oder ich wollte es nicht glauben. Aber jetzt, wo ich weiß, wer 'Mario Götze' wirklich ist, glaube ich ihm. Vielleicht hat er damals einen Fehler gemacht. Aber wenn ich das nicht durch Zufall heraus gefunden hätte, wäre er für mich vielleicht nie dieser schlechte Mensch geworden. Dann hätte es nicht diese Startschwierigkeiten gegeben, das Misstrauen, Mario's Anstrengungen, die Ewigkeiten nicht nur an meinen, sondern auch an seinen Nerven gezehrt haben. Dann wäre alles anders gekommen, alles. Und ich bereue es. Ich bereue das alles zutiefst. Ich kam nie auf die Idee, ihm zuzuhören, auch Jahre später nicht. Ich hätte uns und euch allen hier so viel erspart. Und das tut mir leid. Weil ich euch, meine Freunde - und das seid ihr alle - meine Familie, Mario's Familie und vor allem Mario aufrichtig liebe." Es war immernoch still, nachdem ihre Stimme schlussendlich brach. Ich sah von der Seite, wie Tränen über ihr Gesicht rollten. Aus Schmerz, aus Erleichterung, einfach allem. Und dann war es ausgerechnet meine Mutter - die Nell ganz zu Anfang so skeptisch gegenüber getreten war - die sich erhob und applaudierte. Und so viele folgten, bis schließlich die gesamte Kirche sich erhoben hatte. Ich sah mich nur um und verstand nicht, was hier passierte. Hatte sie mir gerade zum ersten Mal offiziell alles verziehen, was je zwischen uns war? Von Anfang bis heute? Wo sie doch durch mein Verhalten solche Schwierigkeiten hatte, sich zu öffnen, soll sie jetzt wegen mir all ihr Denken offenbahrt haben? Der Applaus verstummte, als sie sich wie aufs Stichwort zu mir zurück begab. Sie strich mir über die Wange, ihre Hand zitterte. Schon wieder lachte sie mit einem leichten Schluchzen. "Du bist ganz blass." stellte sie fest. "Du hast mir auch gerade den Boden unter den Füßen weggezogen." gab ich leise zurück, nicht mehr fähig zu irgendeiner Emotion. "War ein blöder Zeitpunkt, oder?" meinte sie leise. Ich schüttelte langsam den Kopf. "Es war das Schlimmste, was du hättest machen können." stimmte ich zu. Sie senkte den Blick. Ich senkte den Blick. "Ich würde jetzt sagen 'Mach das nie wieder', aber wir heiraten ja hoffentlich nur einmal." sprach ich zu meinen Füßen. Sie sah auf, ich tat es ihr nach. "Nimmst du mich denn nach der Aktion überhaupt noch?" hauchte sie leise. Ich musste lächeln. "Wäre es andernfalls nicht etwas blamabel?" fragte ich. Sie lächelte nun ebenfalls und ich strich ihr mit meinen Daumen die Tränen aus dem Gesicht. Ich wollte sie küssen, aber der Pfarrer räusperte sich. "Ich bräuchte noch eine Antwort, Frau Neuer." erinnerte er Nell. Diesmal sah sie mir in die Augen. "Ja, ich will." sprach sie endlich überzeugt. Der Pfarrer nickte uns lächelnd zu. "Zum Zeichen eurer Verbundenheit, tauscht nun bitte die Eheringe." fuhr er fort. Wir sahen beide auf, doch keiner rührte sich. Auf einmal zuckte Marco zusammen. "Achso, die Ringe!" rief er aus, huschte an unsere Seite und kramte in der Tasche seines Sacko's. Er präsentierte uns ein kleines Samtkissen, auf dem die Ringe mit zwei Schleifen festgebunden waren. Nell löste die Schleife von dem größeren, nahm den Ring und dann meine Hand, um ihn mir an den Ringfinger zu stecken. Dann löste auch ich ihren Ring vom Kissen und sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich drehte den Ring auf ihren Finger. Der Pfarrer nahm unsere beiden Hände zwischen seine. "Was Gott zusammengeführt hat, soll der Menscht nicht trennen. Kraft meines Amtes, erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau. Liebe kann brennen, Liebe kann leiden, aber Liebe stirbt nicht."

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt