Mein alter Freund

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Vor mir ragte groß und imposant, jedoch auch ziemlich abweisend das schwarze Stadttor auf. "Lavandia" war darüber in großen, roten Lettern zu lesen. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich das Tor durchschritt. Das hat was mit der Temperatur zu tun Manuel...alles gut. Die Versuche, mir alles gut zu reden, waren jedoch nicht grade von Erfolg gekrönt. Dieser Ort war mir alles andere als geheuer. Er verströmte durch sein Auftreten und seine ganze Art eine seltsam abweisende Kälte, die mir nur allzu bekannt vorkam. Dieses Gefühl wurde dadurch untermauert, dass dies hier eine Art Todesstadt für Pokemon war. Im Prinzip....befand ich mich auf einem riesigen Friedhof. Aber ich bin nicht meinetwegen hier, sondern wegen meinem treuen Begleiter. Tragosso. Es wollte diese Stadt schon besuchen, seitdem es mir zugelaufen war. Und das ist schon sehr lange her. 13 Jahre, um genau zu sein. Damals war ich 10 und hatte einfach nur Mitleid mit dem kleinen. Es war einsam, verlassen und schien mir irgendwie verloren. Ausserdem...hatte es eine Gemeinsamkeit mit mir;
Es trug eine Maske. Besser gesagt, einen Schädel, der ihm als Maske diente. Warum es den Schädel trägt, weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass ich es in den ganzen 13 Jahren nicht einmal ohne diesen gesehen habe. Aber ich kann es verstehen. Ich verstecke mich auch seit nunmehr 13 Jahren unter einer Maske. Ich habe meine auch seitdem nie mehr abgenommen. Immer wurde ich ausgelacht und beleidigt, weil mein Pokemon nicht wie die Anderen war;
Es wollte sich nie entwickeln, wollte nie erwachsen werden. Es hatte Angst davor. Warum habe ich nie herausgefunden, aber immer, wenn ich ihm hatte helfen wollen, sah es mich mit flehendem Blick und Tränen in den Augen an und schüttelte bloß den Kopf. Also ließ ich das immer sehr schnell bleiben. Es schien mir dafür dankbar zu sein, denn danach war es, wenn auch nur für einen schmerzlich kurzen Moment, überglücklich. Sonst war es ein sehe introvertiertes und trauriges Pokemon, aber das war wohl sein Wesen...
Jetzt lag es friedlich schlafend auf meinem Arm, den Knochen fest in den Armen. Ich streichelte ihm den Bauch und zeigte ihm den großen Turm, der als unübersehbares Wahrzeichen mitten in Lavandia stand. Es schaute kurz auf und nickte, setzte sich dann aufrecht und beobachtete die Umgebung aufmerksam. Ihm war es hier genauso komisch wie mir, das spürte ich. Als wir an einem Gengar vorbeiliefen, verstecke Tragosso sich. Doch als es merkte, dass es sich nicht um ein Alpollo handelte, entspannte es sich.
Scheinbar fragte es das Gengar etwas, denn dieses deutete nur lautlos die Straße hinauf. Mein Pokemon bedankte sich durch ein kurzes Nicken und sprang mir vom Arm. Es bedeutete mir, ihm zu folgen, was ich tat.
Jedoch bereute ich das ein wwenig, als wir vor einem kleinen Eisentor standen, welches die Inschrift "Friedhof" zierte. Tragosso pflückte ein paar Blumen und Schritt dann durch das Tor. Ich blickte über seine Schulter und konnte eine weiße, eine gelbe, eine orangene und eine rote Blume ausmachen. Wir liefen an endlos vielen Grabsteinen vorbei, teils groß und prächtig, teils klein und zierlich und einige waren so alt, dass man nicht mal mehr die Inschriften lesen konnte. Irgendwann blieben wir an einem bewachsenen, verwaschenen und irgendwie abgenutzt aussehenden Stein, mit weißer, jedoch inzwischen nahezu unlesbarer Schrift stehen. Mein Begleiter legte die Blumen behutsam auf das Grab und setzte sich davor, ich mich daneben. Plötzlich fing es an...zu weinen. Ich dachte, es wäre Einbildung, aber es weinte wirklich. Ich nahm es in den Arm, wollte es trösten. Doch es weinte nur noch mehr. Ich nahm mich zusammen und fragte es, warum es so weine. Die Antwort ließ mich zu Eis erstarren. Ich hatte zwischen den ganzen Tränen ganz klar das Wort "Mama" hören können. Dies...war das Grab seiner Mutter?
Es fasste sich an den Kopf...Nein. Es hielt den Schädel fest. Plötzlich begriff ich alles. Dieser Schädel hatte seiner Mutter gehört. Deswegen hatte es sich auch nicht entwickeln wollen. Sonst hätte es die Erinnerung an seine Mutter verloren und damit auch den Grund, sie besuchen zu können!
Mein Pokemon tat mir so unendlich Leid, aber ich wusste nicht, wie ich ihm hätte helfen können. Plötzlich löste es sich von mir und schaute mir in die Augen, bedeutete mir, die meinen zu schließen. Dann gab es mir etwas. Als ich sah, was es war, dachte ich, mein Herz wurde zersplittern. Es war seine Maske. Ich schaute auf, doch Tragosso hatte sich auf dem Grab seiner Mutter zusammengerollt, sodass ich sein Gesicht nicht sah. Es wollte hier bleiben, das spürte ich. Ich saß noch eine Weile vor ihm, dann tat ich das, von dem ich mir geschworen hatte, es niemals zu tun;
Ich nahm meine Maske ab.
Legte sie neben mein Pokemon.
"Ich werde immer bei dir sein. Mach's gut mein alter Freund."

Ich streichelte ihm einmal über den Rücken, dann stand ich auf und ging. Verließ meinen besten Freund. Für immer.

"Ich komme wieder mein Freund, das verspreche ich dir!"
Mit diesen Worten auf den Lippen drehte ich mich vom Stadttor weg und verließ diesen Ort.

GLP in LavandiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt