Ada Ní-Bhriain
Mit meinem alten Rucksack, der locker auf meiner rechten Schulter hing, lief ich durch den Mittelgang des alten schäbigen Busses. Der letzte freie Platz wird als mein Platz bezeichnet und niemand setzte sich dort hin, was ich nicht verstand, aber das ist schon seit längerem der Fall.
Die Blicke der Jugendlichen verfolgten jede meiner Bewegungen bis ich mich genervt und müde neben Tara setzte. Sofort verbreitete sich das Flüstern im ganzen Bus und die Hauptthemen waren wieder meine Aktionen, die ich angeblich getan hätte. Ja, ich hatte schon so einiges angestellt, aber das bedeutete nicht, dass ich jede freie Minute damit verbringe etwas böses zu tun.„Ich hasse dieses Dorfleben und diese Leute auch, wenn nicht sogar mehr. Jeder Tag wiederholt sich wie eine hängende Schallplatte. Man kann hier nichts erleben, es ist einfach langweilig.", meinte ich seufzend zu Tara, die friedlich in ihrem Buch blättert und mir nicht wirklich Beachtung schenkt.
„Wo die wenigsten Gesetze sind, da ist die größte Freiheit, und wo die größte Freiheit ist, da leben und gedeihen die Menschen am liebsten.", zitierte sie schon wieder jemanden, der ihrer Meinung nach sehr intelligent war.
„Kannst du mal normal reden? Du musst doch nicht immer einen dummen Autor oder so zitieren."
„Johann Heinrich Jung-Stilling ist ein deutscher Schriftsteller, der nicht dumm ist, ok? Und er war auch noch Augenarzt und Wissenschaftler.", sagte sie und strich sich ihr Haar, welches einen leichten Bronzeschimmer hat, hinters Ohr. „Du solltest dir das Zitat durch den Kopf gehen lassen, Ada. Hier, in Irland, ist es gar nicht so schlimm."
Augen rollend und mit verschränkten Armen beendete ich so das Gespräch, da ich keine Lust auf ihre Gerede hatte. Niemand versteht mich hier. Niemand versteht, dass es hier nichts zu tun gibt und man von Langweile graue Haare bekommt und spießig wird, wie meine Eltern.
Mein Vater arbeitet meistens zuhause an irgendwelchen Projekten und meine Mutter ist eine Hausfrau, die es sich von dem geerbten Geld gut gehen lässt. Zusätzlich haben wir durch das Verdiente von meinem Vater mehr Geld, als die anderen in Slievemore.
Jedoch sind meine Erzeuger nicht so liebevolle und gutherzige Menschen, wie die Eltern von Tara. Sie werden durch das ganze Geld geblendet und kontrollieren jeden meiner Schritte, als wäre ich ein kleines Kind. Da die beiden sich noch als 'Frischfleisch' ansehen, erlauben sie mir nicht sie Mama, Papa oder ähnliches zu nennen, da sie sich zu alt fühlen würden mit ihren 38 und 41 Jahren. Für mich waren sie deswegen schon immer Emily und Michael gewesen. Durch den Erfolg von Crick, die Firma meines Vaters, ist er auch des öfteren auf Geschäftsreisen, die mehrere Wochen dauern. Leider, lässt er mich mit meiner Ich- bekomme- alles- was- ich- will- (in- den- Allerwertesten- geschoben-) Mutter alleine. Ich weiß, ich weiß. Ich sollte sie nicht so nennen, aber das entspricht der Wahrheit. Ihr Wort wird bei uns als das Gesetz angesehen und wage es sich doch jemand etwas nicht zu tun was sie verlangt. Ihr Wortschatz besitzt die Gefühle: Liebe, Trost, Schuld, Sorge und Mitleid nicht und schon gar nicht irgendwelche Synonyme dafür. Ihre Lieblingswörter sind ganz simple und leicht zu merken: Punkt, Aus, Ende, was, ich, sage, wird, gemacht, verstanden? Und natürlichen Nichtsnutz.
"Du ziehst das jetzt an! Es ist mir egal was du willst oder nicht, verstanden? ", schrie Emily mich an und hielt das Kleid in die Höhe.
„Ich werde es nicht anziehen.", sagte ich in einer ruhigen und festen Stimme. „Nur, weil Michael nicht da ist heißt es nicht, dass du mit mir alles machen kannst was du willst."
„Sieh dich doch an, Ada. Deine zerrissenen schwarzen Hosen, deine hässlichen Band-Shirts und die komischen Bikerstiefel passen nicht in diesen Haushalt. So wirst du nie von einem anstendigen und gebildeten jungen Mann das Herz erobern können. Du bist ein Nichtsnutz, auch wenn du befriedigende Noten schreibst, wird dich so niemand wollen.", wollte sie mir resigniert erklären, dass ich so wie ich bin nicht sein konnte und nicht erwünscht war.
„Verschwinde aus meinem Zimmer!", schrie ich sie an und schon wieder brannten all meine Sicherungen, durch ihre Worte, durch.
„Hör auf dich wie eine unerzogene Göre zu benehmen und lerne mit Kritik umzugehen. Du ziehst das an. Punkt, Aus, Ende. Lydia kommt heute zum Abendessen und ich möchte, dass du in diesem Kleid am Tisch sitzt. Was ich sage wird gemacht, ich bin deine Mutter. Du musst auf mich hören."
Und wie Emily befohlen hat, so war es dann auch. Ich zog brav das weiße, unschuldig aussehende Kleid an und wartete gemeinsam mit meinem Bruder, Eliot, auf unsere Tante Lydia. Diese amüsierte sich an diesem Abend prächtig und merkte gar nicht, wie angespannt die Stimmung zwischen Emily und uns war. Immer wieder fragte ich mein inneres Ich, ob es stimmte was Emily vorhin zu mir gesagt hat. Würde ich-
„Erde an Ada, wir sind da.", holte mich die sanfte Stimme von Tara wieder in die Realität. „Worüber hast du nachgedacht?", fragte sie vorsichtig und lief mit mir gemeinsam aus dem Bus.
„Ob Emily recht hat, was mich und meine Zukunft betrifft. ", gestand ich ihr und sie seufzte melodramatischen auf.
„Hör zu, Emily ist nicht die beste Mutter und das weiß ich, also lass dir nicht so einen Bullshit einreden. Du bist gut so wie du bist und nur, weil ihr jedem vorspielt eine perfekte Familie zu sein, heißt es nicht, dass du wirklich so sein musst, hm?", lächelte sie und lief schon in die Schule vor, da sie wusste, dass ich erstmal einen Moment für mich brauchte.
Kein Mensch, außer Tara, weiß wie es in unserem Haus abläuft. Seit mein Vater meine Mutter einmal betrogen hat, wurde es nur noch schlimmer. Ihm wurde verziehen, doch so ganz vertraut ihm Emily auch nicht mehr. Durch das ganze Drama mit der Affäre haben sie Eliot aus den Augen verloren und der, wie er es mir damals erklärt hat, suchte das Glück im Bösen. Wie er vom rechten Weg abgekommen ist habe ich selbst auch nicht bemerkt oder überhaupt für möglich gehalten, aber seit letztem Sommer ist er nicht mehr wieder zu erkennen. Meistens kommt er sehr spät in der Nacht wieder oder verkriecht sich aufs Dach und solange er weg ist, wird ihn niemand finden und wieder nach Hause zerren können, wenn er es nicht will. Einmal gelang es mir ihn ausfindig zu machen und das auch nur durch einen Zufall. Unsere Oma, die wir beide mehr als eine Mutter ansehen als Emily, wollte ihre Schwester Besuchen und ich musste sie zur Busstation bringen.
Er lag auf der Wiese und starrte in den Abendhimmel und alles was ich getan hatte, war mich zu ihm zu legen und ihm das Gefühl zu geben, dass er nicht alleine war. All den Frust und die Trauer haben wir für einen Moment vergessen und einfach dem Rauschen des Meeres, welches nicht weit entfernt war, gelauscht. An diesem Abend dachte ich, dass seine Worte, an mich gerichtet waren, doch nach langem überlegen, waren es Worte für seine gebrochene Seele, für seine undefinierte Zukunft und für den leichten Wind, der sie in die Ferne wehte.
„Ich werde es schaffen das Leiden zu beenden und die Freiheit, wie der Vogel sie unter seinen Flügeln spürt, auftauen lassen."
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Slievemore
Teen FictionAda will etwas neues eleben und nicht in dem kleinen Ort in Irland, wie ihre spießigen Eltern, festsitzen. Sie will das Stadtleben einmal sehen und fühlen, einfach von Slievemore weg. *** Durchnässt und erschöpft setzte ich mich in die Bahn und beob...