5. Akt - Die Theorie

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Am nächsten Morgen ging ich mit Lewis zu unserer ersten Theoriestunde. Riley hatte verschlafen, was mich innerlich ziemlich gefreut hatte. Äußerlich habe ich es natürlich nicht gezeigt. Wir setzten uns nebeneinander in die zweite Reihe und Lewis hielt einen Platz für Riley frei. „Sei nicht so nett zu ihm", sagte ich grinsend. Lewis schüttelte lächelnd den Kopf. Doch ehe etwas erwidern konnte, betrat unser Lehrer den Raum. Er sah noch ziemlich jung aus. Vermutlich Mitte oder Ende zwanzig. Er stellte sich an die Tafel und schrieb seinen Namen daran. Dann drehte er sich herum. „Hallo, ich bin Sven. Ich finde es besser, wenn ihr mich beim Vornamen nennt. Dann fühlt es sich vielleicht nicht zu sehr wie Schule an." Er holte eine Liste aus seiner Tasche. „Ich werde jetzt erstmal überprüfen, ob alle da sind." Nach der Reihe las er die Namen vor und wir meldeten uns kurz. „Gut, dann fehlt also nur noch Riley." In diesem Moment flog die Tür auf und Riley kam wie auf Stichwort herein. „Sorry, hab verschlafen", murmelte er und setzte sich neben Lewis. „Du bist dann wohl Riley?" Riley nickte kurz. „Schön, dann können wir ja anfangen." Er lächelte und schaute in die Klasse. „Also, wie ihr vielleicht mitbekommen habt, sind in diesem Kurs, die sechs Personen, die die Hauptrollen spielen werden. Ihr anderen spielt die wichtigsten Nebenrollen." Ich sah mich kurz um und erkannte sofort Tess und ihre Freundin. Auch Julie und ihre Freundin Anna waren da. Aber wer übernimmt noch mal die letzte Hauptrolle? „Ich denke, ihr seid alle ganz gespannt darauf, welches Stück ihr spielen werdet, hab ich recht?", fuhr Sven fort. Die Meisten nickten sofort. „Das ist etwas ganz besonderes, denn ihr werdet an dem Stück mitschreiben. Die grobe Richtung wird euch vorgegeben und dann könnt ihr eurer Fantasie freien Lauf lassen." Wir starrten ihn alle etwas verständnislos an. „Ich erkläre es euch kurz." Sven nahm die Kreide in die Hand. „Frau Fischer wird euch das Thema nennen und die Hauptfiguren mit ein paar Charaktereigenschaften. Dann gibt sie euch noch eine Einleitung vor. Als nächstes überlegen sich die einzelnen Klassen, von denen wir fünf mit jeweils zehn Schülern haben, die weiteren Szenen. Anfangen werdet ihr. Wenn das Stück fertig ist, überarbeiten wir - die Lehrer - es noch einmal. Während dem Schreiben können die Hauptrollen es schon mal ein bisschen auswendig lernen, damit es am Ende nicht so viel ist."

Diese Idee fand ich wirklich toll. Dadurch lernt man gleichzeitig noch etwas über das Verfassen eines Stückes. „Noch Fragen?" Sven schaute neugierig in die Runde. Während dem Erzählen hatte er Stichpunkte dazu an die Tafel geschrieben. Rückfragen hatte keiner. „Gut, dann machen wir jetzt eine kleine Kennenlernrunde. Und ja, das muss leider sein." Er lachte kurz, als wir alle etwas genervt stöhnten. Immer dasselbe. „Ihr sagt bitte jeder euren Namen, wie alt ihr seid und was ihr für Erfahrungen mit dem Schauspielern gemacht habt." Ich seufzte und sah Lewis mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ist doch nicht so schlimm", meinte er lächelnd. „Darf ich anfangen?", fragte er Sven dann, der lächelnd nickte. „Gut, ich bin Lewis, bin neunzehn Jahre alt und ich liebe Schauspielern schon seit der Grundschule, als ich bei meinem ersten Stück mitgespielt habe. Seitdem mache ich bei allen Schauspielkursen mit, die es in meiner Nähe gibt." Ich lächelte ihn an. Er sah zu mir und erwiderte es zögernd. „Danke Lewis. Ich sage dir schon mal, wen du spielen wirst und gebe dir den Steckbrief des Charakters." Sven reichte ihm einen Zettel. „Oh meine Rolle heißt Matt. Ich bin ein Vampir." Ich prustete sofort los. Lewis sah mich halb belustigt halb verwirrt an. Ich las mir seinen Steckbrief durch, in dem es hieß, Matt sei ein böser Vampir, der mit seiner Gefährtin die Menschheit auslöschen will. Doch dadurch wusste ich immer noch nicht, worum es überhaupt geht. „Offensichtlich geht es um Vampire", sagte Lewis da, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Ja, soviel habe ich auch verstanden." Ich grinste ihn an. „Zeig mal!" Riley entriss mir den Steckbrief. Ich hielt mich zurück, um ihn nicht vor der ganzen Klasse anzuschreien. Riley las den Zettel und runzelte die Stirn. „Was soll das denn?" „Ruhe da drüben!", ermahnte Sven.

Während die anderen sich vorstellten, hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Es war sowieso immer das gleiche. Die meisten liebten es schon seit der Kindheit zu schauspielern und waren schon in zahlreichen Kursen, Clubs und Theaterstücken. Vor mir kam Riley an die Reihe, dem ich mehr oder weniger gewollt zuhörte. „Ich heiße Riley und bin neunzehn Jahre alt. Den ganzen Rest erspare ich euch mal. Das habt ihr jetzt schon tausend Mal gehört." Er lehnte sich lässig zurück und kreuzte die Arme vor der Brust. „Nein, so geht das nicht, Riley. Erst zu spät kommen und dann auch noch zu faul sein." Sven schüttelte den Kopf. „Was hast du schon für Erfahrungen gemacht?" Riley seufzte und kratze sich am Kinn. „Willst du das wirklich hören?", fragte er Sven. „Natürlich", gab er zurück und sah ihn abwartend an. „Na schön." Riley räusperte sich. „Ich hab als Kind immer so getan, als wäre ich aus einer anderen Welt in die Menschenwelt gekommen. Ich hab mir vorgestellt, dass ich magische Fähigkeiten habe, die ich aber den Menschen nicht zeigen darf. Die Menschen waren meine Feinde und der einzige, der von meinen Kräften wusste, war mein Dad. Deshalb hat er mich sehr schlecht behandelt und geschlagen. Es ist mir dadurch leichter gefallen, damit umzugehen. Na ja, das hat zumindest geklappt bis ich dreizehn war." Die ganze Klasse, einschließlich mir, sah ihn geschockt an. „Ach und Schauspielkurse in der Schule habe ich auch besucht", fügte Riley lässig hinzu. „Das tut mir Leid, Riley. Ich hätte nicht von dir verlangen dürfen, das zu erzählen", meinte Sven betrügt. „Kein Ding." Riley winkte ab. „Ich komme mittlerweile damit klar. Mehr oder weniger", fügte er leise hinzu. Sven nickte ernst. „Okay, hier ist deine Rolle." Er reichte Riley den Zettel und sah mich erwartungsvoll an. „So, du bist der letzte." Ich nickte. „Ich heiße Robin und bin achtzehn Jahre alt. Meine Erfahrungen mit dem Schauspielern haben auch schon in der Kindheit angefangen. Doch der Moment in dem ich wusste, dass ich Schauspieler werden will, war vor etwa drei Jahren. Da habe ich bei dem großen Shakespeare Abend die Hermia in Ein Sommernachtstraum gespielt. Das ist mein Lieblingsstück." Ich lächelte in die Runde, doch mein Lächeln erstarb, als ich realisierte, was ich gerade gesagt habe. „Du hast eine Frau gespielt?", fragte Tess und fing an zu lachen. Fast alle stimmten mit ein. Ich spürte mein Gesicht erröten und vor Aufregung schlug mein Herz schneller. Jetzt musst du gut schauspielern, ermahnte ich mich selbst. „Nein, ich meinte, ich habe den Vater von Hermia gespielt. Egeus war meine Rolle." Da ich das Stück zum Glück auswendig konnte, fiel es mir nicht schwer, meinen Fehler schnell zu berichtigen. Die Klasse hörte zum Glück auf zu lachen. „Achso", sagte Lewis und nickte lächelnd. Ich warf einen kurzen Blick zu Riley, der sich unbeeindruckt am Kopf kratze. Gut, meine Lüge kam glaubwürdiger rüber als ich gedacht hätte. Sven gab mir nun meinen Steckbrief. Ich spürte noch immer Tess' Blick auf mir, während ich ihn las. Hoffentlich wird sie nicht misstrauisch. Aber wer vermutet denn bitte, dass ich ein Mädchen bin, das sich als Junge verkleidet? So gut, wie niemand kommt auf sowas.

„Und wen spielst du?", fragte Lewis, während die anderen nacheinander die Klasse verließen. Die Mittagspause stand an und ich freute mich jetzt schon auf die Praxis. „Komm wir gehen ins Zimmer." Ich stand auf und Lewis folgte mir. Als wir im ankamen, bemerkte ich erst, dass Riley uns auch gefolgt war. Na ja, es ist ja nun mal sein Zimmer. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und Lewis nahm neben mir Platz. „Also ich spiele Zack", fing ich an und grinste Lewis an. „Um ihn dreht sich die Geschichte." Lewis fing auch an zu grinsen. „Um mich aber auch", warf Riley plötzlich ein. „Ich bin Jake der Vampirjäger." „Dann bist du mein alter Freund, den ich suche." Ich setzte mich auf und sah zu Riley, der gerade im Bad verschwand. Ich stand auf und ging zu ihm. „Es geht also darum, dass ich meinen frühen Freund suche und ihn in einer Art Ausbildungscamp für Vampirjäger wiederfinde", spekulierte ich. „Hey, folg mir nicht ins Badzimmer." Riley schob mich aus der Tür und knallte sie zu. „Idiot", murmelte ich. „Ich schätze, ihr werdet keine Freunde", meinte Lewis. Ich schnaubte. „Da liegst du richtiger, mein Lieber."




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