Die Gesellschaft

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Es war bereits vier Uhr am Nachmittag, die meisten Menschen waren schon mit ihrer Arbeit fertig und auf dem Weg nach Hause. So auch Ingenieur Manfred Riehl, ein auf den ersten Blick vollkommen gewöhnlicher Mensch, wenn man von seinem viel zu hohen BMI absah, aber das war ohnehin auch schon nichts Ungewöhnliches mehr. Wie immer fuhr er mit den Öffentlichen von seinem Arbeitsplatz zuerst zu seiner Lieblingsdönerbude und dann in seine Altbauwohnung. Das trug sicherlich genauso wie die Tatsache, dass er keinen Sport betrieb, zu seinem stark überhängenden Bauch bei. Als Single hatte er aber auch keinen Grund, einen anderen Lebensstil zu praktizieren. Wie jeden Tag, kramte der Ingenieur scheinbar ewig in seiner Tasche, bis er seinen Schlüssel gefunden hatte. Gerade als er die Tür geöffnet hatte, merkte er, dass es diesmal eben nicht so wie an jedem anderen Tag war. Irgendetwas stimmte mit der Wohnung nicht und der Geruch war ungewöhnlich. 

Sogleich er durch das Vorzimmer in die Küche gekommen war und seine Einkäufe abgestellt hatte, ging er in sein Wohnzimmer, das gleichzeitig als sein Schlafzimmer fungierte. Dort erwarteten ihn bereits zwei Männer in schwarzen Anzügen mit weißen gesichtslosen Masken. Ehe er den Raum betreten hatte, befand sich bereits einer der beiden hinter ihm, packte seinen Arm, verdrehte ihn und drückte ihn zu Boden. Am Griff konnte der Wohnungsinhaber erkennen, dass der Angreifer chirurgische Handschuhe trug. Der Mann hinter ihm war groß, muskulös und hatte eine Glatze. Der andere war etwas kleiner, dünn und hinter der Maske lugte kurzes braunes Haar hervor. „Was wollt ihr!" Schrie der übergewichtige Mann, als sein Peiniger ihn auf die Knie hob und seinen Kopf an den Haaren gewaltsam nach hinten zog. Nun konnte er dem Dünnen direkt in die Augen sehen, welcher sich zu ihm nach vorne gebeugt hatte. Ein fahles Blau zeichnete diese aus. „Guten Tag, Herr Riehl. Sie wissen, wieso wir hier sind?" Fragte er mit einer so gelassenen Stimme, dass es sich um eine normale Konversation handeln hätte können. Der Angegriffene hingegen wurde dadurch nur noch panischer. „Nein! Was soll das?!?" 

„Sie wurden zwei Mal erfolglos der Vergewaltigung minderjähriger Teenagerinnen angeklagt. Stimmt das?" Der Ingenieur musste sichtbar nach Luft schnappen. „Woher weißt du das?" Anscheinend begann er langsam zu begreifen, um was es ging. „Das fasse ich als ein Ja auf. Dann wissen Sie jetzt, weshalb wir Sie besuchen." Nachdem er fertig gesprochen hatte, richtete sich der Dünne wieder auf und zog eine Pistole und einen Schalldämpfer aus seinem Jackett. Der dicke Mann wollte wegrennen, begann zu zappeln und trat hinter sich, doch der eiserne Griff der ihn fixierte, wollte sich nicht lösen. „Nein, ich war's nicht!" Der Braunhaarige hielt kurz inne, legte den Kopf schief und schien ihn fragend anzusehen. „Sie können uns nicht täuschen, Herr Riehl. Wir haben Ihren Server gehackt. Wir haben das Videomaterial gefunden. Darauf kann man Sie eindeutig identifizieren. Auf mehr als zwei Videos." Er endete mit einem verächtlichen Unterton und schraubte den Schalldämpfer auf. „Oh mein Gott... Scheiße... Wer hat euch bezahlt? Ich gebe euch das Doppelte!" Mittlerweile stotterte der dicke Mann und war hochrot angelaufen. Tränen quollen aus seinen Augen und liefen die glühenden Wangen herunter. „Es geht hier nicht um Geld." 

Noch aufgewühlter als zuvor schlug er um sich, was damit endete, dass der Muskelprotz ihn wieder flach auf den Boden schmetterte und sein ganzes Körpergewicht, gut hundert Kilo, verwendete, um ihn bewegungsunfähig zu machen. „Bitte,... Gebt mir eine zweite Chance! Ich stelle mich der Polizei und gehe zu einem Psychologen." Er sabberte, rotzte und weinte auf den Boden und war offensichtlich in Todesangst. Der dünne Mann nahm sich das Schlafkissen vom Bett und kniete sich wieder hinunter zu seinem Opfer. Das Kissen half dabei, die Blutspritzer abzufangen, die aus der Schusswunde kommen würden. „Menschen ändern sich nicht. Dreck bleibt letztendlich nur Dreck." Der Blauäugige drückte das Kissen nun auf den Kopf des Vergewaltigers. Dieser wollte schreien, merkte aber schnell, dass ihm niemand mehr helfen konnte. Stattdessen krächzte er noch heiser unter dem Polster hervor. „Wieso tut ihr das?" Ein kurzer Augenblick der Stille folgte, dann drückte sich der Schalldämpfer in das Kissen. „Wir sind die Gesellschaft und wir tun das, wozu das Rechtssystem nicht fähig ist. Wir kümmern uns um den Dreck, wie Sie es sind. Wir säubern diese Welt." Danach betätigte der Zeigefinger des Blauäugigen den Abzug und ein gedämpfter Schuss beendete das Leben des Ingenieurs. 

Fünfzehn Minuten später verließen nacheinander zwei Psychopathen den Altbau, nachdem sie das Leben eines anderen Psychopathen genommen hatten. Der Große bog links ab, der Kleine rechts, zeitlich jedoch so versetzt, dass sie einander nicht mehr sehen konnten, um ihre Anonymität zu waren. Beide trugen zwar noch Anzüge, aber keine Masken mehr. Auf den ersten Blick vollkommen gewöhnliche Menschen.


Das abgrundtief BöseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt