Vierundzwanzig Stunden

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Die Sicht hier ist grau, durch den ganzen Staub, der seit Tagen das Land bedeckt.

Ich gehe aus meinen Haus,mir ist bewusst, dass heute vielleicht mein letzter Tag ist.

Meine Schritte sind schwer, meine Füße gehen wie von alleine zum großen Rekrutierungsgebäude, wie wir es nennen. Ich denke dabei nicht viel nach,bin wie in Trance und die Kinder, die mich mitleidig um einen Cent bitten, nehme ich nur im Augenwinkel wahr, denn meine Sicht ist nicht klar und mein Kopf leer.

Das Rekrutierungsgebäude ist die letzte Chance für meine Familie.

Ich habe keine andere Möglichkeit irgendwo anders her Geld zubekommen.

Meine Familie bekommt 1000 Euro, dafür, dass ich in den Krieg gehe.

Sie haben mir verboten, mich als Soldat anzumelden, aber ich konnte unsere Not nicht länger mehr mit ansehen. Immer wenn meine Mutter mir das letzte Stück Brot, den letzten Tropfen Wasser überlassen hat, obwohl ihr Blick noch Hunger und Durst ausstrahlte und ihr Magenknurren sie verriet, musste ich dauernd daran denken, dass nur ich sie vor dem nahem Tod bewahren konnte. Indem ich in den Krieg gehe.

Sie wird ausflippen wenn sie mein leeres Bett vorfindet. Aber sie wird auch genug Geld dafür bekommen und das ist besser.

Ich nehme die Waffen und gemeinsam mit einem weiteren Freiwilligen steige ich auf einen Panzer. Ich schätze ihn gerade mal auf 13.

Der Fahrer bleibt stehen, lässt uns raus und gibt einen unangebrachten Kommentar von sich: "Bleibt am Leben." Wir beide wissen, dass dies unmöglich ist, dass man jetzt nur noch schätzen kann, wer von uns beiden länger lebt. Kaum vorstellbar, aber hier ist die Luft noch dreckiger, noch undurchsichtiger.

"Ich geh vor und schau nach, ob die Sicht frei ist. Du bleibst dicht hinter mir und sagst, wenn du etwas siehst!", befehle ich dem kleinen Jungen. Ich bin 17 und fühle mich verpflichtet, ihn zu beschützen, so gut ich es halt kann unter diesen Umständen. Denn wenn, dann muss ich als Erstes sterben. "Danke", flüstert der Kleine hinter mir. Es ist nicht mehr als ein Hauchen.

Ich schlucke und mein Blick richtet sich wieder geradeaus. Er ist ängstlich. Noch nicht bereit dafür. Aber wer ist schon bereit, in den Krieg zu gehen?

Ich richte die Waffe, um so schnell wie möglich zu reagieren. Ich kann mir nicht vorstellen, sie zu benutzen, eine einzige kleine Kugel kann ein ganzes Leben auslöschen, Erinnerungen, Liebe, Gefühle einfach
alles.
Ich möchte nicht der Mensch sein, der an etwas so derartiges Schuld ist. Ich möchte ein hilfsbereiter, freundlicher Mensch sein, der anderen Menschen über die Straße hilft, nicht einer, der hilft, ein Leben auszulöschen.

Aber ich darf das nicht sein.

Mein Leben ist, das ich jetzt hier stehe, die Waffe erhoben, bereit die Liste der Toten die der Krieg verschlingt zu erweitern.

Meine Sicht wird verschwommener und ich wische mir schnell mit dem Arm die Tränen weg. Ich habe keine andere Wahl. "Weinst du?" fragt mich der kleine Junge ängstlich hinter mir. Ich drehe mich um und sehe in seine großen Augen. Dieser Blick löst ein unbeschreiblich großes Gefühl in mir aus. Ich weiß nur noch, dass ich es irgendwie versuchen muss, ihn hier raus zu kriegen. Er tut mir so unglaublich leid. "Kämpfer weinen nicht" gebe ich ihm als Antwort, lächle ihn an und drehe mich wieder um.

"Ich hab schreckliche Angst, ich will heute nicht sterben." sagt er leise. So das nur ich ihn hören kann. Tief atme ich ein und aus.
Ich muss ihn hier raus bekommen.

Fünf Stunden später sitzen wir geduckt, in einer Art Graben. Meine Nerven sind zum zerreißen gespannt. Mehrere Arten von Angstzuständen überfallen meinen Körper. Aber ich kann sie nicht austragen. Was soll wohl der Kleine von mir denken?
Kämpfer weinen nicht rede ich mir ein, um die Gefühle zu unterdrücken. Ich muss an meine Familie denken, an meine Mutter und meine zwei kleinen Geschwister.

"An was denkst du?", fragt mich der kleine Junge mit seiner piepsigen Stimme.

"An meine Familie", Ich gucke ihn an, sein Blick ist jedoch auf den Boden gerichtet.

An was er wohl gerade denkt?
Ich kann mir gar nicht ausmalen, was ihm wohl durch den Kopf geht. "Wir müssen weiter" sage ich ihm. Auch, um die Gedanken beiseite zu schieben.

Wir erhoben uns und gingen wieder hinter einander her. Meine Waffe ist wieder bereit, um abzuschießen und ich konzentriere mich auf das, was vor mir liegt.

Bis ich plötzlich einen lauten Knall höre der sich mit einem angsterfüllten, überraschten Schrei meines Namens vermischt.

Erschrocken drehe ich mich um und finde einen blutverschmierten 13-Jährigen vor meinen Füßen. Ein Stich geht mir durch den Körper, der mich fast zu Boden zwingt. Mein Kopf fühlt sich an, wie wenn er platzen würde. Eine Welle der Angst überströmt mich und es droht, mich zu ertränken.
Ich bin jetzt nur noch von Gefühlen gesteuert.

Das darf nicht sein das darf nicht sein das darf nicht sein!

Ich schieße Blind um mich und weiß nicht mehr was ich fühlen soll.

Ich bin nicht mehr der Selbe wie vor 6 Stunden.
Das Gefühl, dem, der den kleinen Jungen angeschossen hat nicht einfach ohne Weiteres gehen zu lassen, ihm zu zeigen das das nicht geht was er da macht, das das einfach falsch war, das man keinen kleinen 13 jährigen Jungen erschießen kann, überfällt mich.
Ich spüre deswegen auch nicht den Schmerz in meinem Bein, den eine kleine Kugel auslöst indem sie mein Bein durchschoss, auch nicht die Kugel die in meine Schulter fliegt. Ich bin gefühlslos und schieße ohne ein richtiges Ziel vor mich hin. Ohne Plan.
Die Kugel, die schlussendlich mein Becken trifft, zwingt mich zu Boden und ich lande komischer Weise weich neben dem Jungen.

"Weinst du?" frage ich den kleinen Jungen, als die Truppen die uns angriffen, langsam im Staub verschwanden. Um sich ein neues Opfer zu suchen.

Ich weiß wie absurd diese Frage in diesem Zeitpunkt ist.
Der Schmerz elektrisiert meinen Körper und er war unerträglich. Er lässt keinen Platz für andere Gedanken. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist kein Leben mehr in diesem 13 jährigen Körper.

Wir werden einfach so verschwinden
und keiner wird uns vermissen,
außer unsere Familien.

Keiner wird unsere Geschichte erzählen.

Wir sind nur eine von vielen.

Er guckt mich an und runzelt die Stirn: "Kämpfer weinen doch nicht" gibt er stolz von sich, versucht zu Lächeln.

Er schließt die Augen und ich tue es ihm gleich.

Kämpfer weinen nicht.

[Ich habe alles frei Erfunden, keine Recherche betrieben.]

Vierundzwanzig Stunden *wird Überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt