Es war ja klar, dass es so weit kommen musste. Seit Wochen hatten sich meine Eltern nur noch gestritten. Mama hatte einen Typen kennengelernt und Papa hatte davon Wind gekriegt. Aber warum war sie denn auch so doof und ließ sich auf eine Affäre ein? Naja, wirklich prickelnd war die Beziehung meiner Eltern ja eh nicht. Sie sahen sich eigentlich nur abends, und da wollten sie schlafen. Das heißt, Papa sah Mama. Aber sie sah Papa nicht, denn sie hatte ja ihre pinke Augenbinde auf, die sie nachts trug. Ich hasste die Dinger.
Seit Stunden saß ich schon in meinem Zimmer und packte mein Zeug in Kartons. Alte Bücher, Schuhe, Schminke, Laptop, Bettwäsche, Kuscheltiere, Kissen, Decken, CDs, Radio, Kleider und was noch so bei mir herumflog. Ich wunderte mich, was ich alles für Sachen hatte, die jahrelang in irgendeiner staubigen Ecke gelegen hatten.
"Bist du endlich fertig? Der Umzugswagen kann jede Sekunde kommen!" Meine Mutter steckte den Kopf in die Tür. Ihre blonden Locken waren aufgewühlt und sie schien gestresst.
"Ja, bin ja gleich so weit", meinte ich genervt und packte die restlichen Klamotten in den letzten Karton.
"Warum kann ich mein Bett nicht mitholen?", fragte ich.
"Das hab ich dir doch schon gesagt, weil Papa deine gesamten Möbel bezahlt hat!"
"Das ist unfair", motzte ich.
"Ja, kann ich auch nicht ändern." Sie spähte aus dem Fenster. "Oh, Jana, sie kommen!" Mama huschte aus meinem Zimmer. Ich seufzte. Ich wollte nicht weg von hier. Jetzt würden wir in irgendein Kaff in der Eifel ziehen. In der Eifel! Ganz ehrlich, da geht doch nix, wer wohnt schon da?
Ein Mann betrat mein Zimmer und begrüßte mich. "Sollen die alle mit?", fragte er. Ich nickte, daraufhin packte er sich zwei Kartons und verschwand wieder. Ich stand auf und sah aus dem Fenster, bis ich ihn wieder erblickte. Der Typ räumte die Kisten in den LKW, ein anderer war auch dabei. Mama stand daneben und telefonierte. Vielleicht mit dem Hotel. Oder mit ihrem neuen Schatz. Vielleicht auch mit Papa, der auf der Arbeit war und sich heute Morgen nur flüchtig von Jolien und mir verabschiedet hatte. Aber warum sollte sie mit Papa telefonieren. Der hatte doch nie Zeit. Und schmiss uns einfach aus der Wohnung. Ich mochte die Wohnung. Sie war groß, hell und modern. Und von Papa entworfen worden. Denn Papa war Architekt.
Als der Typ vom Umzugswagen wieder rein kam, verließ ich mein Zimmer und schlenderte nochmal durch die ganze Wohnung. Die offene Küche mit der Theke und den Barhockern davor, die gemütliche Essecke an der Fensterfront, das Wohnzimmer mit elektrischem Kamin. Das Bad mit der großen Wanne, die Whirlpool-Effekt hatte, das Klo mit der Kloschüsselheizung, das Waschbecken, das automatisch anging. Und die venezianischen Fenster. So musste man sich keine Sorgen machen, dass fremde Leute einem beim Duschen zusahen.
Der begehbare Kleiderschrank meiner Eltern war fast ganz leer, der Großteil der Kleidungsstücke hier hatte meiner Mutter gehört. Auf dem Bett fehlte Mamas Bettwäsche, die Augenbinde und ihre hässlichen pinken Hausschuhe. Joliens Zimmer war ordentlich wie nie zuvor; der Spielteppich war weg und die ganze Barbiewelt, die sie sich aufgebaut hatte. Sie durfte ihr Prinzessinnenbett mitnehmen, auch den Schreibtisch und all ihre anderen Möbel. Die hatte nämlich Mama bezahlt. Und ich hatte natürlich die Arschkarte gezogen.
"Jana! Komm, wir fahren!", hörte ich Mama rufen.
"Ja!" Nach einem letzten wehmütigen Blick in die Wohnung zog ich die Tür hinter mir zu und gesellte mich zu den Anderen nach unten. Einer der Typen, die unser Gepäck geschleppt hatten, fuhr uns in die Eifel. Jolien spielte am Anfang mit einer ihrer Barbies, Mama saß vorne und unterhielt sich mit dem Kerl und ich schrieb mit meinen Freundinnen. Viele waren noch im Urlaub, andere hatten heute keine Zeit gehabt, noch zu kommen. Nur Stacy war kurz dagewesen, aber auch nur, weil sie sowieso in der Gegend gewesen war.
Irgendwann war Jolien eingeschlafen, ihre Barbie plumpste auf den Boden. Ich würde auch so langsam müde, und meine Freundinnen schrieben mir nicht mehr. Also checkte ich Facebook und Instagram ab. Schließlich gab mein Handy aber auch den Geist auf, der Akku hielt ja nicht ewig.Ich musste kurz eingenickt sein, denn als ich die Augen öffnete, fuhren wir gerade in eine Hofeinfahrt.
Als der Wagen hielt, blieb ich sitzen und musterte den Hof. Es gab große, gelb gestrichene Häuser, eines sah aus wie ein Wohnhaus, die anderen wie Stallungen. Auf den Balkonen prangten rote Geranien.
An einer Stange waren zwei Pferde angebunden, die von Mädchen geputzt wurden. Ich war auch mal reiten gegangen, es war aber recht schnell langweilig geworden.
Der Fahrer trug die Kartons aus dem Lieferwagen, ein paar Typen vom Hof halfen auch mit. Sie trugen karierte Hemden und Reiter- oder Latzhosen. Die beiden Männer schätzte ich so um die Vierzig, die Jungs auf Zwölf und Sechszehn.
"Jolien!" Ich rüttelte meine Schwester wach. Nach den Sommerferien würde sie in die zweite Klasse kommen. Für ihre sieben Jahre besaß sie ein sehr großes Mundwerk.
"Was ist denn?" Verwirrt rieb sie sich die Augen.
"Wir sind da."
"Wir sind da?" Sie sah sich kurz um, der Groschen schien zu fallen, man konnte die Glühbirne über ihrem Kopf förmlich aufleuchten sehen. "Wir sind da! Wir sind da! Babsi, wir sind da!", rief sie voller Begeisterung. Sie schnallte sich ab, schnappte die Barbie vom Boden und sprang aus dem Wagen. Natürlich rannte sie sofort zu den Pferden. Die Mädchen waren ungefähr in meinem Alter. Pferdetussis.
Ich erschrak, als jemand an mein Fenster klopfte. Es war der Junge, den ich auf Sechszehn geschätzt hatte.
Ich öffnete die Tür und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Was?"
"Hallo!"
"Tschüss." Ich knallte die Tür wieder zu. Warum waren alle so begeistert von diesem Kaff? Hier gab es doch nur ungebildete Steinzeitmenschen, die einmal im Jahr Badetag hatten. Die fortgeschrittene Technik vermisste ich jetzt schon. Meine coolen Freundinnen. Und die heißen Jungs aus der Stadt, die jeden Tag ins Fitnessstudio gingen, um ihren Bizeps zu trainieren.
Der Typ machte die Tür wieder auf.
"Du darfst gerne helfen, dein Zeug reinzutragen", meinte er.
"Warum sollte ich? Oh, habt ihr so was wie Steckdosen?", fragte ich, als mir mein leeres Handy einfiel.
"Ist das dein Ernst?" Er sah mich ungläubig an.
"Habt ihr nicht?", fragte ich hysterisch.
Kopfschüttelnd ging er weg. Was sollte ich denn jetzt machen? Wie sollte ich mein Handy aufladen? Ich nahm das arme Ding in meine Hosentasche, dann beschloss ich, doch mal auszusteigen und abzuchecken, wo mein Zimmer war. Es war ja schließlich wichtig, zu wissen, wo ich wohnen würde. Auch wenn ich dabei sehnsüchtig an unsere Wohnung in Hamburg zurückdachte.
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Kuhmist, Pferdeäpfel und anderer Scheiß
RandomJana ist ein Stadtkind - Seit sie denken kann, lebt sie in Hamburg. Doch als sich ihre Eltern scheiden, muss sie aufs Land ziehen und all ihre Freunde in der Stadt hinter sich lassen. Das passt ihr natürlich so gar nicht in den Kram. Mal sehen, wie...