Verträumt saß sie am Fenster und schaute hinaus in die sternenklare Nacht. Am Himmel tanzten die bunten Farben des Nordlichts elegant umher. Blau vereinte sich mit gelb, grün mit rosa und violett. Es war ein Schauspiel, das jedem, der es noch nie gesehen hatte, den Atem stocken ließ. Doch Elsa kannte es bereits aus Kindertagen.
Oft hatte sie an dem großen Fenster ihres Zimmers gesessen und hinauf zu dem leuchtenden Farbenspiel gesehen. Dies tat sie immer, wenn sie etwas bewegte und sie darüber nachdenken musste.
So auch heute. Sie konnte nach dem, was am heutigen Tag geschehen war, einfach nicht schlafen. Kaum war sie in ihrem Zimmer angekommen, hatte die Königin wieder eines ihrer Gedichte geschrieben. Dieses war aber nicht, so wie die anderen, voller Verzweifelung und Angst, sondern gefüllt mit Zuversicht, Hoffnung, Träumereien und Glücksgefühlen. Die junge Frau hatte es schließlich zu den anderen in die untere Schublade ihrer Kommode gelegt.
Seitdem saß sie am Fenster und starrte in die Nacht hinaus, ihren Blick träumerisch verschleiert.
Ein langer Seufzer entwich ihr. Sie war so dumm gewesen, so naiv. All die Zuneigung, die netten Worte, die Jack ihr zuvor schenkte, sein Lächeln, das waren keine Zeichen reiner Höflichkeit gewesen. Nein, er empfand mehr für sie, mehr als nur Freundschaft... Warum hatte das Elsa nicht bereits vorher erkannt? Stattdessen hatte sie sich eingeredet, sie wäre für ihn nicht mehr, als eine Freundin.
Das erklärt auch sein seltsames Verhalten der letzten Woche., schlussfolgerte die junge Königin.
Sie spürte, wie der Gedanke an das heutige Training ihr Herz höher schlagen ließ.
Es hatte bisher in ihrem ganzen Leben nur noch einen weiteren Tag gegeben, der gleichermaßen schön war, wie der heutige, und das war der Tag ihrer Befreiung gewesen.
Spätestens ab heute bereute sie ihr Fortgehen aus Arendelle nicht mehr. Natürlich hatte sie alles verloren, was zuvor ihr Leben prägte: Ihr Volk, ihre Familie und denjenigen, der ihr unglaublich viel Halt während ihrer Krönungstage gab, doch Elsa hatte noch mehr dadurch gewonnen. Endlich kannte die Eiskönigin jemanden, der sie verstand und so liebte, wie sie war, und sie hatte das Glück, bei ihm sein zu dürfen, bei dem jungen Wintergeist.
Noch lange saß Elsa so da. Sie träumte sich in ihre eigene Welt. Dort, wo es nur Jack und seine Liebe zu ihr gab...Unruhig lief er in seinem Zimmer auf und ab.
Jack, Jack, Jack! Was hast du da nur angestellt?! Jetzt weiß sie, was du wirklich für sie empfindest, und es sieht nicht so aus, als ob sie das abstoßen würde... Ganz toll gemacht, Jack Frost!, schimpfte er sich selbst aus, Beinahe wäre das schief gegangen! Um ein Haar läge Elsa jetzt tot im Schnee! Wie hättest du dir das je verzeihen wollen?
Er wusste es nicht. Wie hatte es überhaupt so weit kommen können? Wieso konnte sich der Wintergeist nie kontrollieren, wenn er sich zu nahe bei der Hüterin aufhielt? Warum hatte er sich überhaupt darauf eingelassen, sie auszubilden? Das konnte doch einer der anderen Hüter machen! Warum er? Jack war doch die größte Gefahr, abgesehen von Pitch, der man Elsa aussetzen konnte. Er musste das beenden. Sofort!
Und wie willst du deine schöne Nachbarin davon abhalten, dir hinterher zu laufen?
Das war eine berechtigte Frage, die er sich gerade gestellt hatte. Trotzdem wusste er für dieses Problem keine Lösung.
Auch, wenn es nicht einfach werden würde, er musste sich von ihr fernhalten, ihr aus dem Weg gehen...Der nächste Tag begann schnell. Helle Sonnenstrahlen kitzelten sie Nase der Eiskönigin. Die Müdigkeit, die langsam in ihre Glieder gekrochen war, hatte sie durch ihre Schwärmereien nicht bemerkt und so war sie am Fenster eingeschlafen.
Nun, da das Sonnenlicht durch das klare Glas auf ihre Haut schien und diese wohlig wärmte, räkelte sie sich in ihrem Sessel und stand schließlich auf. Ein neuer Tag hatte seinen Anfang genommen und Elsa war bereit, diesen voranzutreiben.
Müde taumelnd machte sich die Eiskönigin zurecht und verließ dann ihren Raum.
Auf dem Weg zum Speiseraum liefen ihr einige Yetis über den Weg, die sie freundlich grüßten, sowie lauter kleine, rote Wichtel, die sich wie immer untertänigst verbeugten. Oft genug hatte sie versucht, ihnen verständlich zu machen, dass sie nicht vor ihr niederknien mussten, doch da sie das nicht begreifen wollten, hatte sie es irgendwann aufgegeben.
Elsa lief weiter in Richtung Speisesaal. Auf dem Weg dorthin wurde sie plötzlich von einer Hand am Arm festgehalten. Derb griff diese zu, drückte ihr Kleid zusammen und presste ihre Haut gegen den Knochen.
Als es begann, ihr weh zu tun, drehte sich Elsa schließlich in die Richtung um, aus der die Hand kam. Die Eiskönigin sah in ein düsteres Gesicht, dass sie augenblicklich erblassen ließ.
Was hatte er nur? So hatte ihn die Königin die ganzen letzten Wochen nicht gesehen. So grimmig, wie Jack sie gerade ansah, flößte er ihr Angst ein. Was bezweckte er damit, sie so einzuschüchtern?
Elsa wollte ihn all das fragen, doch ihre Stimme konnte nicht.
So versuchte sie, all ihre Fragen in ihren Blick zu legen und die Angst zu verdrängen, doch Jack schien ihren Gesichtsausdruck nicht lesen zu können. Schweigend stand der junge Hüter vor ihr und starrte sie unerbittlich an.
Als die Königin schon nicht mehr damit rechnete, dass Jack noch etwas zu ihr sagen würde, begann er doch zu sprechen: "Wir werden nicht mehr trainieren. Nie mehr." Das waren die einzigen Worte, die er an die junge Frau richtete.
Ohne ihr einen Grund für seine Entscheidung zu nennen, ließ der Wintergeist ihren Arm los und schwebte in die entgegengesetzte Richtung davon.
Verdattert stand Elsa da und starrte auf den gekrümmten Rücken des Hüters. Gerade war er noch in einer aufrechten, angespannten Haltung gewesen, doch kaum hatte Jack sich umgedreht und war einige Schritte weit geflogen, verließ ihn die Anspannung und seine Wirbelsäule wurde krumm, so wie bei jemandem, dessen Gemüt getrübt war.
Was war, um Gottes Willen, mit ihm los? Elsa verstand die Welt nicht mehr. Gestern war doch alles so perfekt gewesen, so traumhaft schön... Und heute... Heute war er so abweisend, so gefühlskalt.
Grübelnd setzte sie schließlich ihren Weg fort.
DU LIEST GERADE
Die verlorene Hüterin
FanficDieses Buch ist eine Fanfiction zu "Die Hüter des Lichts" von den Dreamworks Animation Studios und zu "Frozen"/"Die Eiskönigin" von Disney. Noch bevor Jack Hüter wurde, sogar noch vor der Zeit des Hasen, Norths, Sandys und Tooths, gab es eine Hüteri...