Kapitel 25

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"North, bitte! Ich habe sie auf dem Gewissen!", flehte Jack.
"Nein ich sagen! Du haben niemanden auf Gewissen."
"Aber... Ich... Ich...", stotterte der junge Hüter aufgebracht, "Ich hätte sie fast getötet, unsere Chance auf einen Sieg über die Finsternis beinahe verspielt! Und warum? Weil ich meine verdammten Gefühle nicht kontrollieren kann! Ich bin eine Gefahr für sie und für die Kinder! North lass nicht zu, dass unsere Schützlinge verloren gehen! Nimm mir meinen Stab und schließ mich ein! Ohne mich seid ihr besser dran."
Vorwurfsvoll schüttelte der Weihnachtsmann seinen Kopf.
"Du nichts begriffen, Jack. Gerade weil du hier stehen, du perfekter Hüter. Du wissen um deine Schwächen und du versuchen, diese nicht auszuleben, aber dein Weg falsch. Nicht das Einschließen, sondern das damit umgehen lernen der richtige Weg. Du müssen lernen, damit zu leben!", belehrte ihn der dickbäuchige Mann.
Jack spürte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. North verstand ihn nicht. Wie sollte er ihm das nur erklären? Der Wintergeist konnte das alles einfach nicht mehr. Nicht mehr so tun, als wäre ihm Elsa egal, nicht mehr vortäuschen, er käme damit klar, nicht mehr vorspielen, er spüre nicht diese tiefe Verbindung zwischen sich und der Königin... Der alte Mann hatte ja keine Ahnung, wie oft, wie verzweifelt der Wintergeist schon versucht hatte, der unglaublich starken Anziehungskraft, die die Eiskönigin auf ihn ausübte und die seine Sinne jedesmal aufs Neue vernebelte, zu widerstehen.
"Du weißt doch garnicht, wovon du sprichst.", murmelte Jack Frost betrübt und mit gesenktem Kopf.
North Pole lachte spöttisch: "Oh doch, Jack. Ich sehr wohl wissen, was du durchmachen. Mir es mit Elsa nicht gehen anders..."
"WAS?!?", schrie der junge Hüter den Alten mit, vor Erstaunen und Eifersucht glänzenden, Augen an.
Wie konnte das denn möglich sein, dass auch der Weihnachtsmann... Jack mochte garnicht darüber nachdenken. Das war doch unmöglich! North und Elsa? Nein, niemals!
Wieder lachte der Weißbärtige.
Wie Jack Frost dieses vergnügte Geräusch in dem Moment hasste! Warum hatte er ihm das nicht erzählt?
"Oh, Jack. Du nicht ernsthaft glauben, ich in Elsa verliebt, oder?", fragte der Hüter der Wunder als er bemerkte, dass sein junger Freund dabei war, rot anzulaufen und so aussah, als würde er ihm gleich an die Gurgel springen.
Augenblicklich wich jeglicher Zorn aus seinen Gesichtszügen.
"Nicht?"
"Nein. Ich dir würden niemals dein Mädchen streitig machen...", setzte North an, doch Jack unterbrach ihn:
"Sie ist nicht 'mein Mädchen'!"
Auch ich es mir wünsche, sie wird es nie sein..., ergänzte er traurig in Gedanken.
"Natürlich sie das ist. Aber auch egal... Was wollte ich sagen? Ah ja... Ich schon angetan von ihr, aber auf andere Weise. Sie unglaublich klug für ihr Alter und so erwachsen. Elsa haben ein großes Herz."
"Das stimmt wohl...", nuschelte der Wintergeist, "Zu groß... Sie liebt mich, North. Was soll ich denn jetzt machen?"
Neugierig musterte seinen Gegenüber den Weißhaarigen.
"Woher du das wissen?"
Verlegen kratzte sich Jack am Hinterkopf und trat von einem seiner nackten Füße auf den anderen, als er zu erklären versuchte: "Naja... Ähm... Also gestern, bevor du nach mir gerufen hast... Da... Ich... Wir..."
Es war ihm peinlich, mit North so offen über seine Gefühle zu reden.
"Das Training lief gut und dann... dann ist sie ausgerutscht und in einem Schneehaufen gelandet. Und dann kam eins zum anderen und... Naja... Ich lag auf ihr, nur wenige Zentimeter von ihren Lippen entfernt und... Elsa hat sich nicht gewehrt. Sie hat mir die ganze Zeit über in die Augen gesehen und mich gemustert, bis sie schließlich ihre Augen schloss und auf die Berührung unserer Lippen wartete... Ich konnte nicht mehr klar denken, ich sah nur ihr perfektes Gesicht, spürte ihren Atem... North, hättest du nicht nach mir gerufen..." Jack wagte es nicht, weiterzusprechen.
"Ooh, das ist ja soo süß!!!", quietschte da plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund.
"Fee?! Was machst du denn hier? North und ich wollten allein reden..."
"Ich wusste es!", quietschte sie weiter, "Sie liebt dich, sie liebt dich, sie liebt dich!!! Oh ihr seid so perfekt füreinander!"
"Ihr versteht es einfach nicht! Es ist egal, ob sie mich liebt, wir gut zusammenpassen oder ihr meint, ich soll sie nicht ignorieren. Das Entscheidende ist doch: ich werde niemals ihre Liebe erwidern dürfen! Nie in meinem verdammten unendlichen Leben! Ihr könnt doch garnicht wissen, oder überhaupt ahnen, wie schwer es für mich ist, das zu akzeptieren! Woher auch? Ihr ward ja noch nie in einer solchen Situation."
Augenblicklich veränderten sich die Mienen der beiden Hüter. North schaute besorgt und Toothiana mitleidig drein.
"Jack...", versuchte die Zahnfee sich zu entschuldigen, doch der Hüter wies sie aufgebracht von sich.
"Kämpft allein mit Elsa.", murmelte er noch und verschwand dann aus dem Arbeitszimmer des Weihnachtsmannes.
Er wollte nichts mehr davon hören, dass er lernen sollte, mit seinen Emotionen umzugehen, denn das konnte der Wintergeist nicht.

Eiskalt. Alles um ihn herum war so eiskalt. Noch nie zuvor hatte er sein Hüterdasein als so grausam, so quälend empfunden, wie in diesem Moment. Verdammt dazu ewig zu leben, von fast niemandem gesehen zu werden und nie die Person lieben zu dürfen, die ihm so viel bedeutete. Wie sehnlich sich der Wintergeist sein altes, sterbliches Leben als Jackson Overland zurückwünschte. Alles wäre soviel einfacher. Er hätte Elsa zwar noch immer nicht lieben dürfen, aber Jack hätte sie auch nicht gekannt... Was nützte ihm ein unsterbliches Dasein, wenn es doch einsam war?
Wieder und wieder holten ihn die Stimmen ein, hauchten ihm Worte zu, ließen seine Schuldgefühle größer werden. Diese eisigen, rauen Stimmen... Brutal schnitten sie durch seinen Kopf und ließen sein Herz schmerzen.
Was hast du getan, Jack?!, warf ihm die eine vor.
Du wolltest Elsa töten!, bläute ihm eine zweite ein.
Halte dich von ihr fern!, befahl eine andere.
Egal wie absurd das auch klang, egal ob er sie töten wollte oder nicht, die Stimmen hatten Recht. Jack konnte selbst noch immer nicht glauben, dass er gestern so die Kontrolle über sich verloren hatte.
Du wolltest sie töten!, klagte ihn die raue Stimme erneut an.
Nein, das war nie seine Absicht gewesen und doch hätte es der Wintergeist beinahe getan. Es war so gefährlich, so unvorhersehbar aus dem Ruder gelaufen...
Du hättest es ahnen müssen!
Ja, das hätte er, doch sein Blick war so vernebelt gewesen, betört durch Elsas Präsenz, dass er an nichts anderes mehr hatte denken können.
Jetzt saß er hier auf dem Boden seines Zimmers und starrte ins Leere. Seine Augen sahen schon lange nichts mehr, nahmen bereits seit mehreren Stunden die Tür nicht mehr wahr, der er gegenübersaß. Der Blick des jungen Hüters war leer und ausdruckslos geworden.
Schütze Elsa!, war das Einzige, wozu er noch zu denken in der Lage war, Schütze sie vor dir!
Hunderte von rauen Stimmen redeten auf ihn ein, klagten ihn an und verstärkten seinen Kummer.
Weise sie ab, sei nicht mehr freundlich zu ihr!, trichterten sie ihm ein.
Da erinnerte sich Jack an seine Begegnung heute früh mit der schönen Königin. Er hatte auf die Stimmen gehört, hatte ihren Rat befolgt, war kalt und abweisend zu ihr gewesen. Grob war er mit ihr umgegangen, hatte ihren Arm schmerzhaft gedrückt. Es tat Jack Frost noch immer weh so zu sein, liebte er sie doch, wie noch kein Lebewesen zuvor. Noch immer sah er vor seinem inneren Auge ihre ängstlichen, schmerzerfüllten Augen, ihre schützende Haltung und ihren fragenden Blick. Viel lieber hätte der Wintergeist sie in die Arme genommen, sie glücklich gemacht, ihr alles gegeben, damit sie bei ihm blieb, doch stattdessen stieß er sie weg.
Was sollte er denn tun, wenn er ihr erneut begegnete? Ihr wieder Schmerzen zufügen?
Jack war sich bewusst, dass er dies nicht auf Dauer durchhalten konnte.
Soll sie lieber sterben? Ist es das, was du willst? Sie ermorden?
Natürlich konnte er das nicht zulassen. Eher würde er sich selbst sein wertloses Leben nehmen... Er würde die Hüter eh nicht bei dem Kampf gegen die Finsternis unterstützen können, zu verletzlich war er doch durch seine Liebe geworden. Und Elsa war diejenige, die kämpfen musste. Sie war einst die Urhüterin, sie sollte die Bezwingerin der Dunkelheit sein. Der Wintergeist spielte dabei nur eine mikrige, unentscheidende Rolle...

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt