Das leere Paket

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Die Familie Chevalier, eine reiche, lebte in einer angesehenen Gegend mit großem Garten, großem Haus und großem Titel.

Chevalier.

Das stand für - Anmut, Stolz und Grazie. Die Familie Chevalier pflegte von sich zu sagen, sie seien zwar nicht die Besten - darüber dürfe man auch nicht urteilen - aber eine angesehene Ansammlung interessanter und gutmütiger Personen. 


Und diese Familie wurde geliebt, wie oft sah man die schönen Töchter, Eveline, Allison, Lisann und Louise im Park. Letztere, die Jüngste, war wohl auch die, die die meiste Liebe ihres Vater geschenkt bekommen hatte. 


Das wohl meist beschützte und behütete Mädchen von Cecile und ihrem Mann Jules wuchs in einer Villa am Stadtrand auf, mit Dienern und Bediensteten. Ihr Zimmer hatte sie am Ende eines langen, mit Gold, Kristall- und Silberschmuck ausgestatteten, blauen Flures. Jener war dem Osten zugewandt, und von welchem Louise jeden Morgen den Sonnenaufgang, sitzend, stehend oder kniend beschauen konnte.

Die anderen drei, Eveline, genannt Eve, Allison, gennant All und Lisann, genannt Li, hatten ebenso ihre Flure und ihre Farben. So hatte Eve das gelb, Allison das Rot und Li, Li - hatte das schöne grün. Und ebenso, wie die Flure und Zimmer unterschiedlich eingerichtet waren, so waren auch die Persönlichkeiten verschieden verteilt. 

Eve, die Älteste, hatte selbstverständlich immer das Gespür dafür gehabt, auf alle ihren Blick zu richten und Notfalls zur Stelle zu sein. Sich Liebevoll zu kümmern und die nassen Tränen der heißen Wangen zu trocknen. 


Belesen, das, ja das sollte Eveline am Meisten beschreiben. Wieviele Bücher hatte sie in ihren zarten Fingern gehalten, wieviele Wörter hatte sie mit ihren blauen Augen verschlungen?
Ihre schwarzen Haare, unter ihrem Hut verstaut, wirkten so kontrastreich, wie die vier Mädchen selbst.


Allison hingegen war mehr auf ihr Aussehen bedacht. Keine Schande, für ihre Familie oder sie selbst. Dumm war sie sicherlich nicht, nur bräuchte sie doch immer ein Wenig länger im Bad, als die anderen Mädchen. In ihrem roten Zimmer saß sie, vorallem Abends bei Mondschein, an ihrem Fenster und beäugte den Mond, wie er mit seiner Pracht und seinem Glanz zu ihr hinab sah. Wie der Mond sie beschützte, wie Allison ihm sich hingab.

Die dritte, und damit fast jüngste, war die liebe Lisann. Ihr gehörte die Musik, die Noten mit ihren Punktierungen, den schwarzen und weißen Tasten des Spinetts und die langen Saiten der Gitarre. So saß sie im großen Garten der Familie, spielte die lieblichen Töne, während sie bezaubernden Stimme die Töne sang. So sang sie für die Natur, die Blumen, die Fische im Teich und für die befreundeten Nachbarn. 


So sang sie auf Feiern für ihre Familie, für Freunde aber vorallem für sich selbst.

Louise war die letzte. Mehr Kinder konnte die Familie nicht haben, mehr brauchte sie nicht um glücklich zu sein. Louise vollendete das Glück und erfüllte die Familie mit Stolz. So war sie nicht die Schönste, wie All, oder die klügste und liebste, wie Eve, so war sie aber ein Ensemble jeglicher Differenzen zwischen allen dreien. 


Louise setzte sich mit ihrem Verhalten von den anderen ab. So gingen sie zwar immer als Grüppchen in den Park um dort zu flanieren, um ihre Schirme tanzen zu lassen, doch Louise hatte immer etwas im Kopf.

So war ihr Lebensziel, den Ärmeren und den Verbrechern zu helfen. Den Menschen, die es also nicht so gut hatten wie sie selbst. Es steht außer Frage, ob die anderen auch geholfen hätten. Das hätten sie, würden sie sich für andere Menschen interessieren. Dies taten sie aber nicht, welches wohl der größte Unterschied der vier Mädchen war.

Während also Eve in ihrer güldenen Bibliothek, mit ihren gemusterten Büchern stand und sich nicht entscheiden konnte, welches Buch sie als nächstes las; sich All im Zimmer daran probierte, ihr Lächeln zu verfeinern; und sich Lisann in den Garten setzte und sich ihrer Musik hingab, so stand Louise im Park, auf der Straße, in Orléans, und verteilte ihr Essen an die Ärmeren. An die, die weniger Glück hatten. Sie wusste selber, Geld war nicht alles. Aber sie konnte es nicht leugnen, dass sie doch lieber in ihrer Villa wohnte, als in einem schäbigen Hinterhof in einem drei Mann Zimmer.

Oh, wie oft stand die liebe Louise mit ihren ebenso schwarzen Haaren, als Empirefrisur geflochten, und ihrem geputzten, einfachem Schmuck im Park. Wie oft zog sie ihre schönsten Kleider an, damit die Menschen etwas schönes in ihrem Leben hatten. Einen kleinen Hoffnungsschimmer.

So wurde Louise auch geschätzt. Als Geberin, aber nicht als Person. So wurde sie von den jungen schönen Männern auch geliebt, wurde begehrt und ihr wurde schöne Geschenke gemacht. Das war das Leben von Louise. Von Louise Chevalier.


Chevalier.



Der Name für Anmut, Stolz und Grazie. 

Und dann kam das Fest der Liebe, das Fest der Heiterkeit und das Fest der Glückseligkeit selbst.

Das schlichte Wohnzimmer im Hause Chevalier, in der Rue Paul Gauguin, an der Loiret, war mit dem teuersten Schmuck geschmückt, der zugleich der schönste war. Es glänzte, es funkelte. Das helle Zimmer erleuchtete in einem Glanz, welchen man sich nicht vorstellen konnte.


Und so kamen die Pakete.

Von Freunden, von der Familie.

Sie alle bekamen welche, sie alle beschenkten sich.

Und dann war da dieses eine Paket, adressiert an Louise. An die schöne Louise, an die hilfsbereite, gütige Louise.

Vorsichtig entknotete sie das silberne Band, schnitt das schwarze Papier der Schachtel auf und erblicke einen leeren Inhalt.


Es gab erstaunte, entsetzte und enttäuschte Gesichter. Und so lag Louise an den restlichen Tagen der lieblichen Zeit immer jemand anderem im Arm. Bis sie später, schlicht und einfach, auf die Straße ging, und jedem zu lächelte, als sei nichts passiert.


Als sei sie die Selbe geblieben.


Als sei sie Louise Chevalier.


*

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