Rückblende, Jahr 2007:
Es blitzte und donnerte, ich konnte nicht einschlafen, das einzige woran ich denken konnte: 'Mammi, Papi, helft mir!!!'
Zähne klappernd lief ich in das Zimmer meiner Eltern und kuschelte mich in ihr Bett. Schließlich bemerkte ich, dass nur meine Mum im Bett war, und versuchte sie aufzuwecken. "Mammi? Ich habe Angst....M-Mammi?", stotterte ich kaum hörbar.
Sie rührte sich nicht und jeder Versuch war Erfolglos.
Plötzlich hörte ich einen Knall.
Zuerst dachte ich es sei wieder der Donner, doch dann folgte noch ein weiterer, Pump, Pump, Pump. Ich zuckte zusammen und noch mehr Knalle ertönten in meinen Ohren.
Mum schlief immer noch tief und fest. Wie war das möglich?
Wie in Starre stand ich auf und folgte den Klängen, die immer näher kamen, und sich in Stimmen verwandelten. Ich stand Paarfuß vor der Treppe des Kellers und stieg diese ohne Nachzudenken hinunter. Mein ganzer Körper zitterte und als ich auf eine offene Tür gelangte, erblickte ich das Unfassbare. Es war das Grauen, ein Mann lag blutbeschmiert und regungslos auf dem Boden. Das Blut rann endlos weiter und bildete eine rote Pfütze. Die Augen des Mannes, starrten mich leerlos an und ich wusste genau wer es war. Mein Dad.Mein Herz pochte unregelmäßig, und ich unterdrückte einen Schrei. Ein blonder, kräftiger Mann stand mit einer Pistole vor ihm, und lachte. Auf einmal drehte er seinen Kopf in meine Richtung und ich sah in seine blau funkelnden Augen. Ob er mich gesehen hatte? Eins war ich mir absolut sicher, er war der Mörder meines Vaters.
Gegenwart, Jahr 2013.
Schwer atmend, und schwitzend öffnete ich meine Augen. ,Du bist in deinem Zimmer, es ist alles gut, es war bloß ein Albtraum, Madison', sprach ich zu mir selbst, wie wenn diese Worte mir das bestätigen würden und mich irgendwie beschützten.
Ich stand auf und ging auf Zehen Spitzen, ins Bad. Meine Zimmergenossin, Emma, wollte ich schließlich nicht wecken. Es war mitten in der Nacht.
Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, wo meine Mum an einer Überdosis von Schlaftabletten gestorben war und man mich in dieses Heim geschickt hatte.
Vor etwa zwei Jahren war ich gerade mal 15 und wollte mich sogar selbst umbringen. Die Psychologen hatten das jedoch rechtzeitig verhindert.
Mir war immer noch unklar, woher sie wussten, dass ich mich von der Brücke stürzen wollte. Besser gesagt, wer ihnen diese Informationen gegeben hatte.
Schnell schüttelte ich diese Gedanken ab und lief ins Bad, wo ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser wusch.
Es war jetzt mittlerweile 8 Jahre her, dass mein Dad gestorben war und dieser Albtraum verfolgte mich immer noch.
Letztendlich hatte mich der Tod meiner Mum noch mehr verletzt und ich würde nie wieder ein normales Leben führen. Nie wieder. Ich könnte nie wieder glücklich sein, ich war gezeichnet.Ich schaute mich im Spiegel an, mein Gesicht war gefährlich bleich und meine Augenringe waren blau. Ich sah einfach nur schrecklich aus. Jeden Moment hätte ich ausbrechen können und losheulen, ich wollte dieses Leben nicht mehr führen. Psychologe hin oder her, das brachte mir eh nichts. Sie konnten es sich einfach nicht vorstellen die Eltern auf so eine Weise wie ich zu verlieren. Niemand könnte mich jemals verstehen.
Ich atmete tief ein und aus, öffnete den kleinen Spiegelschrank und nahm die mir sehr vertraute Rasierklinge zur Hand. Ich wollte den Schmerz nicht spüren und hatte den Drang dazu mich selbst zu verletzen. Es würde mich von meinem seelischen Leiden befreien.
Zitternd hielt ich die Klinge auf meinem Arm und schon liefen mir die ersten Tränen hinunter.
Ich konnte nicht, ich hatte die Kraft nicht dazu. Jedes Mal, wenn ich versuchte die Klinge in meine Haut zu stechen, gelang es mir nicht. Irgendetwas hielt mich davon ab. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, legte ich weinend die Klinge weg. Ich durfte das nicht tun und durfte auch niemals damit anfangen.Als ich aus dem Bad gegangen war, erwartete mich schon eine saure Emma und verschränkte ihre Arme. Wie war es möglich, dass ich sie immer aufweckte?
"Du hast schon wieder geweint?",stellte sie eher fest, als zu fragen.
Daraufhin zuckte ich nur mit den Achseln, ich hatte jetzt wirklich keine Nerven für ihre Standpauken.
"Madison, so kann es nicht weiter gehen, seit Monaten bist du nurmehr deprimiert und weckst mich fast jede Nacht!", schimpfte sie und folgte meinen Schritten.Ich saß mich auf mein Bett und ignorierte sie.
Sie hatte ja gut reden, ihre Eltern waren auch nicht tot, bloß weil sie sich nicht richtig um sie kümmern konnten.
Im Vergleich zu mir, war das doch nichts! Aber in meinen Inneren wusste ich, dass sie Recht hatte. Seit Monaten ging ich nicht mehr unter die Leute und verbrachte manche Tage alleine im Zimmer.
Ich wusste zugleich aber auch, dass mein Leben nicht mehr zu retten war, meine Kindheit Schrägstrich Jugend war zerstört. Jeder Tag an dem ich atmete, war eine Verschwendung. Der Mörder meines Vaters würde noch frei herum laufen und weitere Menschen umbringen.
Und meine Mutter hätte sich dann wohl umsonst umgebracht."Hallo an Erde, Madison? Hörst du mich?", Emma stand vor mir und schnippte mit ihren Fingern vor meinem Gesicht.
Erschrocken, zuckte ich zusammen, wieder einmal war ich zu sehr in meinen Gedanken versunken. Ich lebte weder in der Vergangenheit, noch im Jetzt. Irgendwie ging alles an mir vorbei.
"S-sorry, du ja hast ja Recht...aber ich kann doch nichts dafür. Du verstehst das nicht",zwang ich mich jetzt zu sagen und fügte noch hinzu. "Und lass mich jetzt in Ruhe, ich bin müde"
Ich legte mich wieder hin und kuschelte mich in die Decke, Emma schaute mich unglaubwürdig an. "A-aber...", brachte sie hervor und ließ ihre Arme hängen.
"Du bist wirklich unglaublich, Madison", hörte ich sie noch sagen und schlief wieder ein.
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Pip pip pipAbrupt schreckten ich und Emma von einem tiefen Schlaf auf, und verfluchten wie jeden Morgen den Nerv tönenden Wecker.
Wie immer stand Emma gleich auf und war in wenigen Minuten schon bereit für die Schule. Ich dagegen brauchte alleine für das Aufstehen eine geschlagene Halbe Stunde, da blieb nicht mehr viel Zeit für das Frühstücken und vom 'Hübsch-Machen' war überhaupt nicht die Rede.Ich zwang mich in meine Skinny Jeans und zog ein bauchfreies, breites T-Shirt an, wo oben 'Die or cry' stand. Nicht gerade Lebens freudig oder? Aber ich liebte diesen Style einfach und es passte in meine Situation. Meine langen dunkelbraunen, lockigen Haare ließ ich nach hinten fallen.
Ausnahmsweise schminkte ich mich heute, da ich nicht wollte, dass jemand merkte ich hätte die ganze Nacht geweint. Als ob nichts gewesen wäre drehte ich also froh und munter die Musik des Radios lauter, und tanzte wie eine Dumme im Zimmer herum. Dabei vergaß ich auch gerne die Zeit.
Und wie der Zufall wollte, erhielt ich auf meinem iPhone eine Nachricht von Emma -nicht anders zu erwarten-.>Wo bist du? Mrs. Rider regt sich schon wieder voll auf...besser du kommst jetzt oder du bist tot. xx<
Ich lachte einmal in mich hinein und stellte mir das Gesicht von Mrs. Rider vor, wie sie vor der Klasse stand, und nur so vor sich loderte. War auch berechtigt, es war schon 9.AM und ich war immer noch hier im Heim.
Es war aber keine Neuheit für mich zu spät zu kommen, im Gegenteil das gehörte zur Regel. Würde ich nicht wenigstens eine Stunde zu spät kommen, wäre das nicht mehr die alte, mir bekannte Madison.
Die Lehrer konnten so oder so nichts gegen mich ausrichten, denn der Heimleiter nahm mich allzu gern unter Schutz. Ich war so zu sagen, eine seiner Schützlinge, und wäre ich nicht Madison, würde ich das auch nicht eiskalt ausnutzen.
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In der Schule angekommen, war schon eine halbe Stunde vergangen und mich empfing Mrs. Rider, die Englisch Lehrerin, mit großem 'Vergnügen'.