Sváya

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Verwirrt versuchte ich eine Augenbraue zu heben, was aber in einem leichten Zucken endete.
Ich betrachtete sie genauer, helles langes Haar, blasse Haut und einen zierlichen und doch stark wirkenden Körper.
Langsam kam sie wieder auf mich zu und kniete sich neben mich, ihre großen Augen noch immer über mich gleitend. Plötzlich fing sie an vor sich hin zu murmeln und ließ ihre zarten Hände über meinem geschundenen Körper schweben. Während ihr Singsang gemächlich die Gänge ausfüllte, merkte ich, wie sich meine Muskeln entkampften und eine Last von meinen Rippen genommen wurde, die auf meine Lungen drückte. Gierig sog ich den Sauerstoff ein, keuchte aber erschrocken auf, als sich meine Handgelenke wieder richteten. Selbst der Nebel des Alkohols lichtete sich.

Geschockt starrte ich erst meine Hände und dann das Mädchen neben mir an, dessen Gesang langsam verklang und sich erhob.
"Was-... wie hast du das gemacht?", fragte ich immer noch erstaunt, doch sie legte nur den Kopf schräg. Plötzlich tauchte wieder dieses Monster neben ihr auf und ich sprang auf, um ein paar Schritte zurück zulaufen. Doch das Mädchen blieb stehen. "Du brauchst keine Angst haben. Sie wird dich nicht töten.", sagte sie, als sie mein panisches Gesicht sah. Sie sprach langsam und betonte die Silben, wie jemand, der die Sprache nicht ganz beherrschte.
"Wieso bist du dir so sicher?"
"Sie darf nicht.", sagte sie bestimmt und richtete sich an sie. "Mactoh Vji."
Die Kreatur knurrte kurz, drehte sich aber um und verschwand hinter dem nächsten Container.

"Warum hört dieses Viech auf dich? Was ist das überhaupt?!", fragte ich angewiedert. Kaum hatte ich das gesagt, schnelle sie zu mir herüber und funkelte mich finster an. "Vji ist eine More, beleidige sie ein weiteres Mal und du wirst nie wieder sprechen können, seer!"
Ich schluckte und kniff meine Lippen zusammen.
Sie trat zurück und ihr schönes Gesicht entspannte sich wieder zu einer ausdruckslosen Maske.

"Komm, seer. Wir können hier nicht bleiben. ", sagte sie und drehte sich um. "Wo willst du hin?" Ohne mir zu antworten, ging sie einfach weiter.

Ich war nie jemand gewesen, der viel von Sonntagsspaziergängen hielt. Schon damals, als Kind, hatte ich langes Gehen gehasst.
Mir schmerzten die Füße, doch ich wollte mir nichts anmerken lassen und hielt das Tempo meiner Begleiterin, die, wie ich feststellte, bemerkenswert ausdauernd war.
"Bleib nicht stehen, seer."
Gut, so schnell war ich wohl doch nicht....
"Warum seer?", fragte ich sie schließlich. "Was meinst du?"
"Du nennst mich ständig seer.", "Aber das bist du doch.", sagte sie wie beiläufig.
"Was?", "Du kannst sehen.", antwortete sie, würdigte mich aber keines Blickes. In der Hoffnung, dass sie lächeln würde, lachte ich und schüttelte den Kopf."Na klar kann ich sehen.", grinste ich.

Wir hatten mittlerweile wieder die InnenStadt erreicht, in der es bereits von Menschen nur so wimmelte, die hektisch umher gingen. Kaum einer achtete auf uns, die wenigsten musterten mich kurz, gingen aber schnell weiter. Neben einer kleineren Gasse kamen wir zum Stehen.

"Du verstehst nicht. Du kannst sehen. Das was den anderen verborgen bleibt.", "Du redest jetzt aber nicht von Feen oder so, ja?", ich wartete, dass sie auflachen würde und sich darüber lustig machen würde, dass ich ihr das abgekauft hatte. Aber sie sah mich einfach nur an. "Dreh dich um.", sagte sie und deutete hinter mich auf die Straße. Langsam drehte ich mich um. Zuerst sah ich nur die gläsernen Fenster der Läden und Bürogebäude, die bunten Werbeplakate. Doch plötzlich stahl etwas meine Aufmerksamkeit.

Gestalten huschten durch die Straßen. Fast transparente Körper, die sich wie Geister durch die Massen bewegten. Ihre Bewegungen ähnlich einer Katze. Und doch fast menschlich.
Und ich sah sie.

Geschockt starrte ich sie an, sah dann aber wieder zu meiner Begleitung. Meine Atmung ging schneller. Ich hatte schon oftmals Leute gesehen, die sich verkleideten und so dann in die Stadt gingen, in der Hoffnung, man würde ihnen Geld geben. Aber das waren keine Menschen. Mein Mund wurde trocken, als ich wieder an diese Kreatur aus dem Hafen dachte. "Was sind das?!", meine Stimme klang erschreckend hoch und kratzig, doch das war mir egal.
"Du sagst eben sowas ähnliches, wie Feen.", sagte sie und sah ebenfalls zu den Massen, als sie wieder ihren Blick hob. "Wir bezeichnen uns aber eher als Elves.", sie strich eine ihrer seidigen Haarsträhnen hinter ein Ohr, und ich starrte auf ein spitz zulaufendes längliches Ohr. Ich merkte, wie das Blut anfing in meinen Ohren zu rauschen. "Wer bist du?", sagte eine Stimme aus meinem Mund, die aber nicht mehr ganz nach mir klang. Blaue Punkte breiteten sich in meinem Blickfeld aus und die riesigen Häuser verbogen sich. Die Wände kamen näher, drohten mich zu zerquetschen.

"Mein Name ist Sváya, seer.", als ich plötzlich einen heftigen Schlag am Hinterkopf spürte und mich völlige Dunkelheit umfing.

Nie wieder Alkohol.


MarryaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt