Das Eis des Sees war komplett zugefroren. Die vereisten Zweige der Bäume glitzerten herrlich über der Eisfläche und hypnotisierten mich mit ihrer Perfektion. Die kalte Luft fühlte sich gut an. Der Tiefschnee verschaffte dem ganzen noch etwas Persönlichkeit. Ich war damals gerade 6 Jahre alt. Ich saß auf einer Bank unter einem riesigen, schneebedeckten Nadelbaum, mit meiner Schwester. Meine Mutter baute zusammen mit meinem 3 Jahre alten Bruder einen Schneemann, direkt neben dem kleinen Spielplatz. Temma, so hieß meine Schwester, zog sich ihre wunderschönen, weiß schimmernden Schlittschuhe an. Sie war mein großes Vorbild. Auf dem Eis war sie die schönste Tänzerin die man sich vorstellen konnte. Wie ihre schöner Körper sich drehte, ihr goldblondes Haar im Wind wehte... Eines Tages wollte ich das auch können. »Und jetzt, pass auf!«, rief sie mir freudig zu, als sie sich auf das Eis stellte und anfing darauf hin und her zu gleiten. Mit Augen, groß wie der Mond, bewunderte ich sie. Es sah so wunderschön aus. Schnell kramte ich mir meine Schlittschuhe aus der Tasche rechts neben mir und zog sie so schnell wie möglich an. Ich kicherte. Etwas wackelig stieg ich auf das Eis. Die Schicht fühlte sich dünn an, und das sonst keine Person auf dem Eis war, beruhigte mich nicht gerade. » Du? Temma?« »Was ist los?« Etwas schneller sauste sie über das Eis. Sie brach nicht ein. Ein gutes Zeichen. Dann müsste es mich auch halten. Schließlich war sie 8 Jahre älter. » Ähm... Machst du für mich eine Pirouetten?«, drückte ich hervor. Sie grinste. Schnell schnappte sie meine Hand und fuhr auf die ander Mitte des Sees, dorthin, wo wir Mutter nicht mehr erblicken konnten, denn Mutter hatte es verboten, die Kunststücke auf dem nicht 100 prozentige festem Eis zu trainieren. Wir lachten. Drüben angekommen warf Temma mir einen prüfenden Blick zu. Mit einem Lächeln auf den Lippen nickte ich schnell.
Temma ging in Position. Ihre Haltung: perfekt. Nun zog sie langsam einen Fuß ein und drehte sich. Zog ihre Arme näher zum Körper und drehte sich schneller. Ich trat einen Schritt vor. Und noch einen. Plötzlich war alles so langsam. Es war wie in Zeitlupe. Ich spürte, wie ihr Fuß an meinem Knie streifte. Die Klinge drückte tief in meine Kniescheibe. Es schmerzte aber ich schrie nicht. Temma verlor langsam das Gleichgewicht. Sie fiel. Sehr langsam. Sie prallte hart mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Sie schnappte noch ein mal nach Luft. Danach lag sie still da. Ihr Kopf blutete stark und ein Riss im Eis gab sich zu erkennen. Ich betrachtete dies mit Entsetzen. »Temma? « Mehr brachte ich nicht raus. Meine Schwester war Bewusstlos. Das verstand ich natürlich nicht. » B-Br-Brauchst d-du ein Pflaster? « Das Eis rund um Ihr Färbte sich rot. Der Riss wurde größer. Eine Träne kullerte mir die Wange runter. »Sag doch was!!!«, brüllte ich sie verzweifelt und wütend an. Ich kam etwas näher und wollte ihr aufhelfen und zu Mutter bringen. Mein Herz schlug schneller. Ich hörte wie der Riss knackte. Mein Verstand sagte mir, ich kann ihr nicht mehr helfen, doch mein Herz wollte das nicht wahr haben. So schnappte ich ihre Hand und zog sie an mich heran. In diesem Moment brach das Eis. Langsam, immer schneller, spürte ich, wie ich in das eiskalte Wasser eintauchte. Meine Schwester an der Hand. Aus Reflex ließ ich ihre Hand aus. Ich versuchte nach oben zu schwimmen. Meine Kniescheibe tat höllisch weh. Es war ungewiss, wie lange ich noch die Luft anhalten konnte. In diesem Moment spürte ich die Kälte stärker denn je. Es war ein schreckliches Gefühl, zu spüren, dass man im Wasser gleichzeitig erfriert und ertrinkt. Plötzlich merkte ich, dass ich keine Kraft mehr hatte. Und nur noch sehr mangelhaften Sauerstoff. Alles Färbte sich schwarz... Auf einmal hörte ich die Stimme meiner Schwester. Sie sagte im sanften und doch bestimmenden Ton ich soll gegen das Schwarz ankämpfen. Irgendwann würde ich verstehen, wieso. Ich kämpfe und versuchte Alles, denn ich verließ mich immer auf meine Schwester. Ich schwamm, auch wenn ich nicht mehr konnte. Plötzlich war ich wieder an der Oberfläche. Hastig schnappte ich nach Luft. Meine Lunge füllte sich mit Sauerstoff, doch da dieser so kalt war, wäre ich beinahe erstickt. Alles war wieder sichtbar. Nun fühlte ich, dass meine Lippen durch die Kälte und dem Druck aufgeplatzt waren und ich schwere Erfrierungen an meiner rechten Hand hatte. Aber jetzt musste ich erst einmal aus dem Wasser kommen. Meine Augen waren weit aufgerissen. Ich zitterte. Schnell krallte ich mich an einen der Eisbrocken und paddelte an Land.
»SCHATZ!?«, rief mir meine Mutter besorgt zu, als ich halb erfroren zu ihr komme. Das Wasser war inzwischen schon gefrorene. Es war nicht bekannt, wie lange ich brauchte, um zu meiner Mutter zu gelangen. In diesem Moment besaß ich kein Zeitgefühl. »Was ist passiert? « Mutter nahm mich in den Arm und versuchte mich auf zu wärmen. Nino, mein Bruder blicke mich geschockt an. »Temma...« »Was ist mir ihr?«
» Sie ist nicht mehr aus dem Wasser gekommen... « Ein kalter Schauer überkam mich. Plötzlich fing ich an zu weinen. Ich war daran schuld. Ich hatte sie getötet...
Es war ein Unfall...
Aber das Ende meiner unbeschwerten Kindheit...
Doch erst der Anfang meiner Geschichte. Der Anfang meiner psychischen Störung und meiner Schuldgefühle. Der Anfang, meiner Kriminellen Laufbahn....
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Das nennt man Schmerz. Gewöhn dich dran.
Losowe» Jeder Täter, war mal das Opfer... « Diebstahl, Körperverletzung, Mord. Ihr Alltag. Ihre Welt.