Kapitel 19

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Es war gerade mal 7 Uhr und Stephen riss mich aus meinem traumlosen Schlaf. Mara hatte mich gestern abend um 10 Uhr nach Hause gebracht und wir hatten uns bestimmt 5 Minuten lang einfach nur umarmt. Ich vermisste sie jetzt schon.
Ich stand auf, duschte mich und packte die restlichen Kosmetik- und Waschsachen ein. Dann lief ich nach unten, um zu frühstücken. Auf dem Tisch lag ein Zettel, auf dem stand:
'Layla, es tut mir wahnsinnig leid, aber bei der Arbeit gab es einen Notfall. Ich hoffe, ich bin zurück, um dich mit nach Frankfurt zu begleiten, wenn ich es aber nicht schaffe, dann tut es mir aufrichtig leid. Ich liebe dich und pass auf dich auf. Mama.' Enttäuscht zerknüllte ich den Zettel. Ihr war die Arbeit wichtiger als ihre eigene Tochter, die sie jetzt für lange Zeit nicht mehr sehen würde. Na, vielen Dank. Immerhin kam mein Bruder schlaftrunken die Treppe runtergewankt und nahm mich fest in den Arm. Sagen tat er nichts, aber das war Gestik genug.
"Danke", flüsterte ich und legte kurz meine Stirn an seine. Dann drückte ich ihn weg und setzte mich an den Tisch um mein Müsli zu löffeln. Mit einem letzten "Mach's gut", verschwand Luki wieder nach oben und ging vermutlich wieder ins Bett.
Als die letzten gepackten Sachen im Auto verstaut waren und wir 20 Minuten länger als geplant auf meine Mutter gewartet hatten, die dann aber doch nicht auftauchte, setzten Stephen und ich uns ins Auto und fuhren los. Ein letztes Mal warf ich einen Blick auf unsere Haustür und verabschiedete mich innerlich von hier, während mir vereinzelt ein paar Tränen über Wange liefen. Wie dramatisch ich aber auch war. Die lange Fahrt verbrachte ich mit Musikhören und Schlafen.
Als wir ankamen, betrachtete ich erstmal das Gebäude, das nun mein Zuhause war. Es sah vom Aufbau einer Burg ähnlich. Durch ein Tor kam man in den Innenhof, wo es gerade aus auf den Haupteingang zuging. Insgesamt sah es ziemlich einladend aus und ich bekam einen Funken Mut.
"Komm", forderte mich Stephen auf und griff nach meinem großen Koffer. Ich nahm den Kleineren und meine Handtasche und trottete ihm hinterher. Hinter der Eingangstür befand sich eine breite Treppe, die auf einen Gang führte. Auf Schildern konnte man ablesen, dass es nach rechts zu den Sporthallen und nach links zu den Unterrichtsräumen, Sekretariat und allem Schulischen ging. Also bogen wir nach links ab und suchten das Direktorat. Als wir es gefunden hatten und angeklopft hatten, betraten wir es und standen einer etwas älteren Frau gegenüber. Sie sah sympathisch aus.
"Hallo Herr Andrew! Und das wird dann Ihre Tochter Layla sein, hab ich Recht?", fragte sie lächelnd.
"Ich bin nicht seine Tochter, aber ansonsten stimmt das", meinte ich höflich und streckte ihr meine Hand entgegen.
"Entschuldige, mein Fehler. Ich bin Frau Jacobs", lächelte sie und ergriff meine Hand. Ich lächelte zurück und ab jetzt übernahm Stephen das Wort und regelte alles was noch zu regeln war. Als sie fertig waren, gab Frau Jacobs mir meinen Zimmerschlüssel und erklärte mir grob den Aufbau der Schule. Weil ich quasi gar nichts verstand, beschloss ich, mir einfach später einen Grundriss zu besorgen, falls die hier sowas hatten. Mein Zimmerschlüssel war mit der Nummer 234 gekennzeichnet, was zum Glück gar nicht so schwer zu Merken war. Nachdem alles weitere besprochen war, meinte Frau Jacobs, dass ich doch einfach mal mein Zimmer suchen sollte und mich dann ein wenig umsehen und informieren sollte. Genau das hatte ich vor.
Stephen und ich standen vor dem Direktorat und wussten nicht genau was wir jetzt zu tun war. Deshalb griff ich nach den beiden Koffern und meiner Tasche, murmelte ein "Man sieht sich", und verschwand in die Richtung, in der ich die Zimmer vermutete. Ich irrte ein bisschen durch die Gegend, fand dann aber schließlich das Zimmer 234. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die Tür zu meinem neuen Heim öffnete. Ich hoffte immernoch, dass ich ein Einzelzimmer hatte, aber als ich einen Schritt hinein machte, sah ich 2 Betten und seufzte.
"Ah hi! Du bist die Neue, Laya oder? Hattest du eine gute Anfahrt? Das ist dein Bett, das Bad ist da gleich um die Ecke und wenn du für Unordnung sorgst, musst du aufräumen. Ich muss los, treff mich noch mit Coco, ist in Ordnung oder? Wenn du eine Frage hast, dann komm ruhig her. Und, by the way, ich bin Flavia. Bis später!" Überrascht drehte ich mich zu dem rothaarigen Mädchen um, das wie ein Wasserfall redete und in dem Moment aus der Tür rauschte.
"Hallo", murmelte ich, obwohl Flavia schon lang nicht mehr da war. Okay, die war seltsam. Ich ging zu meinem Bett und setzte mich hin. Es stand direkt unter dem breiten Fenster, von dem man auf ein großes Feld schauen konnte. Am Kopfende des Bettes stand Flavias Bett und dazwischen war ein kleiner Nachttisch, der mit ein paar Zeitschriften und Flavias Laptop belegt war. Der Laptop gab mir die winzige Hoffnung, dass es hier wenigstens Wlan gab und ich mit Mara und Sophie in Kontakt bleiben konnte. Am Fußende meines Bettes befand sich ein großer Schreibtisch, auf dem einige Bücher lagen, und neben der Tür stand ein Schrank, der zwei Türen hatte; eine für Flavia, eine für mich. Das Zimmer war relativ groß, einfach eingerichtet und wirkte gepflegt. Die Wände waren weiß, aber über dem Schreibtisch und dem Bett dieses Mädchens hingen Poster von der Band "The Script". Aha, also war Flavia ein Fangirl. Kein Wunder, dass sie da so seltsam war. Aber The Script kannte ich auch und sie machten wirklich gute Musik.
Neben mir auf dem Bett lag ein Stapel Klamotten. Oh nein! Bitte lass es keine Schuluniform sein! Aber, logischerweise war es eine. Sie war immerhin nicht lila, sondern blau und es gab keine Krawatte. Ich legte den Kleidungsstapel in die leere Hälfte des Schranks und streckte mich auf dem Bett aus. Eigentlich hatte ich nur geplant, dass ich mich eine Weile ausruhte, aber weil ich so müde war, schlief ich schon nach ein paar Minuten ein.
Als ich nach ungefähr einer Stunde wieder aufwachte, beschloss ich, mich mal ein wenig umzusehen. Ich ging aus der Tür und bog links ab. Es reihten sich Zimmer an Zimmer, wo außen an den Türen meistens der Name und teilweise die Nummer stand. Als ich das Ende des Ganges erreicht hatte, befand sich links ein Treppenhaus und rechts eine Glastür die zu weiteren Zimmern führte. An der ersten Tür stand "Alex & Tobi" und darunter hing ein nettes Selfie der beiden. Hier gab es also auch Jungs?! Na, immerhin würde es dann nicht all zu viel Zickenkrieg geben. Ich lief zum Treppenhaus und stieg zwei Stockwerke nach unten. Ich passierte die Tür und stand draußen. Gerade aus war das Feld, das ich schon durch das Zimmerfenster gesehen hatte. Hier standen vereinzelt ein paar Bäume und Bänke herum und schien eine Art Pausenhof oder Freizeitort zu sein. Rechts um die Ecke befanden sich Tischtennisplatten, ein Basketballfeld und ein großer Rasen mit zwei Toren - ein Fußballplatz. Ich erinnerte mich, dass Stephen meinte, das sei ein Sportinternat. Na super, so fit war ich dann auch nicht. Aber hoffentlich gab es auch ein paar Sportarten, in denen ich gut war. Wenn sie boxen anbieten würden, konnte ich von Glück sprechen. Als ich mich gerade wieder auf den Weg ins Innere des Gebäudes machen wollte, entdeckte ich drei Jungs, die auf der Tischtennisplatte saßen und sich unterhielten. Ich drehte mich um und öffnete schon die Tür, da rief einer der Jungs: "Hey, du!" Zuerst wollte ich es ignorieren, doch dann fiel mir wieder ein, was ich Mara versprochen hatte. Mit zitternden Händen ließ ich die Tür wieder ins Schloss fallen und bewegte mich auf die Jungs zu, die mich mittlerweile alle anstarrten.
"Hey", grüßte ich zurück und steckte meine Hände in die Jackentaschen.
"Ich hab dich hier noch nie gesehen, hast du dich verlaufen?", fragte mich der, der in der Mitte saß, grinsend. Er hatte dunkelblonde, weich und flauschig aussehende Haare und wenn er lachte, hatte er kleine Grübchen. Er sah ziemlich sympathisch aus.
"Bin neu", antwortete ich kurz auf seine Frage.
"Achso, heute erst gekommen oder was?" Ich nickte.
"Bei wem bist du im Zimmer?", wollte nun der wissen, der rechts saß und ziemlich genauso aussah, wie einer aus meiner alten Klasse. Er hatte ein relativ eckiges Gesicht, in dem er eine Brille trug, helle Haut und seine braunen Haare hochgestylt.
"Flavia. Kennt ihr sie?" Ich hielt mich immer noch zurück, wobei mir die drei ziemlich sympathisch vorkamen. Sie nickten nur.
"Wie heißt ihr überhaupt?", fragte ich dann. Der in der Mitte stellte sich als Mike und seine Kumpels als Tim und Louis vor. Ich nickte und murmelte ein "Okay". Als niemand mehr etwas sagte, ergriff ich eben wieder das Wort.
"Ich mach mich dann wieder auf den Weg nach drinnen, um mich weiter umzusehen", entschuldigte ich mich und deutete mit meinem Daumen hinter mich aufs Schulgebäude.
"Ich kann dir gerne alles zeigen", bot Mike mir an, doch ich schüttelte den Kopf.
"Danke, ich komm schon klar", lehnte ich ab. Louis boxte Mike in die Seite und lachte "Korb!".
"Nein, so war das nicht gemeint,aber..", weiter kam ich nicht, da er mir erklärte, dass es nur ein Scherz war. Ich lächelte, drehte mich dann um und lief zurück zur Schule.
"Warte!", rief Mike mir hinterher. Ich blieb wie eingefroren stehen und wendete mich erneut um.
"Wie heißt du überhaupt?", grinste er schief.
"Layla", antwortete ich lächelnd und passierte dann die Eingangstür.

Aber er ist mein Cousin!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt