»broken thoughts

838 123 76
                                    

Weihnachten.
Ich könnte kotzen. Aber mein Magen war schon leer. Bis auf ein bisschen Alkohol. Zur Feier des Tages hatte ich ausnahmsweise den teuren Vodka gekauft.
Man kommt schon relativ weit mit dem Arbeitslosengeld, wenn man sich kein Essen kauft.
Mein Gott, ich klinge grade echt wie der letzte Loser. Aber immerhin hab ich noch meinen unschlagbaren Humor, auch wenn er mir grade im Halse stecken blieb. Darauf ein Shot.
Und so langsam fiel ich wieder etwas zurück in meine verfickten Gedanken. Ich stellte mir vor, wie meine früheren Freunde heute feiern würden. Mit ihren Familien, denen die sie lieben. Fuck it.
Vor neun Jahren. Vor neun Jahren war alles gut. Da hatte ich eine Freundin, die mich liebt und Freunde, denen ich vertraut habe. Lange gehalten hat's nicht. Sie hat Schluss gemacht, einfach so. Nachdem sie meine Gefühle als Fußabtreter benutzt hatte. Ich war schon immer instabil, und das war damals sozusagen der Schlag der mich über die Kante gestoßen hat.
Da ging's dann steil bergab. Ich verlor nach und nach meine Freunde, verfiel weiter in meine Einsamkeit, wurde vielleicht ein bisschen depressiv. Aber nur ein bisschen. Depressionen passen einfach nicht zu mir. Ich bin impulsiv, neige zu Gefühlsausbrüchen und habe, seit erwähntem Ereignis schwere dissoziative Schübe. Sollte ich mir Hilfe holen? Wahrscheinlich ja, aber dazu hab' ich ehrlich gesagt nicht die nerven. Außerdem habe ich das Gefühl, eine Diagnose würde mir nur die Laune verderben.
Lieber alleine mit dem Alkohol und den Klingen. Ganz einfach.

Nachdem ich noch etwas getrunken hatte, weiter über das Leben sinniert und etwas weiter abgesunken war, beschloss ich, dass es sowieso keinen Sinn hatte. Ich wollte noch an diesem Tag sterben.
Klingt doch gut, so schön entschlossen, oder?
Und verdammt, dieses Mal zieh' ich's durch. (Ich habe doch gesagt mein Humor ist unschlagbar.)

Ich wartete ab, bis es Nacht war. Ästhetischer, wie ich fand. Mittlerweile war ich wohl etwas betrunken. Gut so, der Alkohol verdünnt das Blut. So fließt es schneller.
Ich nahm mir eine Packung Klingen aus dem Bad, und zog mir Schuhe an. Dabei wurde mir fast schwarz vor Augen, wieder so ein Schwächeanfall. Ob ich jetzt sterbe oder etwas später an Symptomen von Unterernährung und Alkoholismus, wie es heißen würde, ist doch scheißegal.
Also los. Die Jacke sparte ich mir. Genauso wie einen Abschiedsbrief, ist doch offensichtlich was ich da mache.
Aber einen Moment noch. Ich brauchte mein Handy, und Kopfhörer. Das war mein Plan. Mit geiler Musik sterben. Aber ich durfte nicht vergessen, die Wiederholung anzumachen, denn ich hatte keine Lust in meinen letzten Zügen noch schlechte Musik zu hören.
Also, jetzt aber los.

Fröstelnd ging ich durch den Stadtpark. Hier? Ja, die Bank da sieht nett aus. War ganz in meinem Sinne, selbst nach meinem Tod noch jemandem den Tag zu versauen.

Ich nahm Platz. Kopfhörer rein. Hurt von Johnny Cash. Der Song meiner Kindheit. Ich dachte an meine Eltern. Meinen Bruder. Die Großeltern. Alle, die mir wichtig waren. Kurz kamen Zweifel auf, aber diesmal war ich entschlossen.
Ärmel hoch. Ich war angeekelt von den vielen Narben. Erbärmlich. Ich strich über meinen Arm. Fast wie Krokodilhaut, oder so. Fast lustig fühlte sich das an. Egal.
Ich konnte die Ader deutlich sehen. Ich hielt die Klinge bereit, setzte sie an, und drückte zu. Die ersten Bluttropfen. Mein Blut verwandelte sich in Kerosin.
Ich zog die Klinge sanft durch meine Haut. Die Wunde klaffte auf, und zusammen mit den scharfem Schmerz und dem laufenden Blut schoss Adrenalin durch meine Venen. Als hätte ich ein Feuerzeug genommen und das Kerosin angezündet. Elektrisierend.
Ich drückte Stärker zu. Meine Finger waren in der Wunde, ich schnitt immer tiefer. Meine Sicht verschwamm, fuck, ich fühlte mich so lebendig. Das Blut spritzte, ich sah meine Knochen. Ich hätte laut loslachen können, das war so verdammt surreal und faszinierend, dieser kurze Moment. Aber schon im nächsten Moment verlor ich kurz das Bewusstsein. Ein letztes Mal öffnete ich die Augen.

Das Bild war makaber, und wunderschön. Mein aufgeschnittener Arm, im weißen Schnee. Das Blut breitete sich dampfend im Schnee aus, ein unglaublich schönes Sangria.

Ist das richtig, so zu denken? Vermutlich nicht. Aber so war es richtig, glaube ich. Ich wäre sowieso in der nächsten Zeit gestorben. Mit 23. Erbärmlich, Bastard.

Roter SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt