Kapitel 08 - Hoffnung

237 18 4
                                    

Kapitel 08 – Hoffnung

Ich drücke den Kuschelhasen so feste an mich wie ich es nur kann. Meine Augen sind geschlossen und ich lasse mich voll und ganz auf den Geruch ein, der in meine Nase strömt. Es kommt mir vor, als wäre Kai nur aus dem Zimmer gegangen, um kurz etwas zu holen. Schnell erreicht mich aber die Tatsache, dass das nicht stimmt und eine Trauer durchfährt meinen Körper, dass ich heftig zusammen zucke. Ein zögerliches Klopfen ertönt an der Tür und ich setze mich überrascht auf. Nach einem „Ja" von mir, öffnet sich die Tür und Simone kommt in das Zimmer.
„Mit dem Kuschelhasen hat er die letzten Nächte kurz vor seinem Tod nur noch geschlafen. Keiner durfte ihn anfassen, es könnte ja Geruch verloren gehen, meinte er immer zu mir" Simone setzt sich auf den Schreibtischstuhl und sieht sich für einen Augenblick mit leeren Augen in dem Zimmer um. Sie war anscheinend ebenfalls lange nicht mehr in dem Zimmer, was man ihr nicht verübeln kann.
Ihr Blick fällt kurz darauf wieder auf mich und sie steht mit einem Seufzer auf, geht zu einer Schublade, öffnet sie und zieht einen Umschlag heraus.
„Kai meinte, ich soll ihn dir geben, sobald du den Kuschelhasen im Arm hälst", sagt sie mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, das kurz danach wieder verschwindet. Ich ergreife den Umschlag und sehe ihn neugierig an. Simone verlässt das Zimmer in dem Moment, als ich langsam den Umschlag öffne und ein langer Brief mir entgegenfällt.


Hallo mein Schatz,

ja wie fängt man so einen Brief an? Das ist eine berechtigte Frage, weil du mich momentan wahrscheinlich eh für doof hälst, weil ich dich ohne eine Vorwarnung verlassen habe und das einzige was du jetzt von mir bekommst sind Erinnerungen, Geschenke, Briefe aber nichts was du noch mit mir erleben kannst. Es tut mir Leid, dass ich dir nie etwas erzählt habe aber du kennst mich ja – ich war immer der Starke von uns beiden. Vielleicht wäre alles schief gelaufen, wenn wir beide „die Schwachen" gewesen wären? Wer weiß das schon? Ich muss dir sagen auch für mich war das am Anfang ein schlimmer Schock. Die erste Zeit wollte ich es nicht wahr haben, dann trauerte ich vor mich hin und zählte die Tage, die mir noch bleiben würden, die ich mit dir erleben konnte. Es hat lange gedauert bis ich es akzeptiert habe, dass ich den Kampf gegen die Krankheit verlieren würde. Mach dir jetzt bitte keine Vorwürfe, wieso du nichts gemerkt hast - ich habe die gar keine Chance dazu gegeben. Neben dir und all meinen Freunden war ich immer der glückliche, selbstbewusste Kai, nur in der Nacht hat mich meine eigene Angst aufgefressen. Oft lag ich einfach nur nachts wach und hoffte, dass das alles nur ein doofer Traum sei. Dem war aber leider nicht so und so hieß es in der ersten Zeit dauernd „Krankenhaus". Ich weiß nicht ob du dich noch erinnerst aber einmal war ich fast jeden Nachmittag bei meiner Tante, weil es ihr nicht gut ging. Das war gelogen und dafür entschuldige ich mich jetzt. In der Zeit war ich jeden Nachmittag im Krankenhaus und habe eine Untersuchung nach der anderen erlebt. Das war vor eineinhalb Jahren. Da ging es los. Vorher war noch alles normal und ganz plötzlich änderte sich alles.
Heute bin ich froh, dass ich dir nichts gesagt habe, damals habe ich bezweifelt, dass ich die richtige Entscheidung treffe. Dank dir konnte ich noch jeden einzelnen Tag genießen, ich konnte lachen, ich konnte Scheiße bauen, ich konnte einfach mein Leben normal weiterleben. Wir haben über belangloses Zeug geredet oder uns eine gemeinsame Zukunft ausgemalt. Ja stell dir vor auch ich habe mir eine Zukunft ausgemalt. Eine Zukunft in der ich gesund bin, mein ganzes Leben mit dir verbringen kann und wir gemeinsam gegen ein Recht auf Homoehe gekämpft haben. Durch dich konnte ich leben, danke dafür. So hatte ich fast keine Möglichkeit mir überhaupt Gedanken über den Tod zu machen – zum GLück. Ich wäre sonst nicht mehr der Gleiche gewesen.
Ich wünschte ich könnte dir in die Augen sehen, während du das liest. Vielleicht kann ich das ja auch nur ohne dass du mich siehst, wer weiß schon wie der Tod ist?

Hoffentlich kannst du mich verstehen, kannst nachvollziehen warum ich dir nichts erzählt habe. Ich habe egoistisch gehandelt, um mich zu schützen... aber auch dich, den ich hätte dich nur mit runtergezogen.

Vergiss bitte nie: Ich liebe dich, danke, dass ich mit dir ein Leben teilen durfte!

Kai


Krampfhaft halte ich das Papier in meinen Händen und starre irgendwann nur noch auf die Zeilen, ohne sie wirklich wahr zu nehmen. Tränen steigen in mir hoch und ich werde immer mehr daran erinnert, dass er nie wieder zu mir zurück kommt. Das dieses Leben nicht mehr das sein wird was es einmal war...

Wenig später bin ich wieder zu Hause und starre in meinem Zimmer an die Wand. Meine Eltern und meine Schwestern sind nicht da, weshalb ich die Ruhe, die in dem Haus herrscht, genieße. Um mich abzulenken gehe ich ins Wohnzimmer und mache den Fernseher an. Während ich durch die Programme zappe, klingelt es auf einmal an der Tür. Überrascht lege ich die Fernbedienung bei Seite und gehe in den Flur, um die Tür zu öffnen. Nachdem ich unsere weiße Haustür mit den Musterungen drauf geöffnet habe, sehe ich, das Vincent vor mir steht und zwei Filme sowie eine Tüte Chips hoch hält. „Bock?", fragt er mit einem leichten Lächeln und ich kann ein Grinsen nicht zurück halten. „Gerne", antworte ich ihm und lasse ihn in unseren hellen Flur treten.
„Ich dachte etwas Ablenkung tut uns gut." Er zieht seine blauen Nike Air aus und folgt mir schließlich ins Wohnzimmer. „Soll ich Bier holen?", frage ich ihn und er nickt. „Was eine Frage", erwidert er und macht sich schon mal daran eine der DVDs einzulegen. Vincent und ich kennen uns schon so lange, er kennt sich bei mir zu Hause bestens aus, fast so wie es Kai kannte.
„Wo sind denn die anderen?", ruft er mir zu als ich in die Küche verschwinde, um zwei kalte Bier aus dem großen Kühlschrank zu nehmen. „Keine Ahnung, ich war vorhin noch woanders und als ich wieder gekommen bin war keiner mehr da." Mittlerweile bin ich wieder im Wohnzimmer und reiche ihm ein kühles Pils. „Danke" Er ergreift es und lässt sich auf die Couch fallen. „Welcher Film ist das überhaupt?" „Oblivion, kennste den schon?" „Hab von dem gehört aber noch nie gesehen" „Ich auch nicht, hatte mein Vater sich letztens gekauft und dachte schon, dass du den auch noch nicht kennst" Wir grinsen uns an und schon lassen wir uns auf den Film ein.
Tatsächlich schaffe ich es Kai für einen kleinen Moment nach hinten zu stellen, so dass ich nicht an die Trauer und den Verlust erinnert werde. Der Film lässt mich in eine andere Welt eintauchen und die schwere der Trauer verschwindet.
„Guter Film", meine ich zwischendurch, die Hand wieder mal in der Chipstüte – ich kann einfach nicht aufhören die zu essen, wenn ich einmal damit angefangen habe.
„Ja, finde ich auch", stimmt mir Vincent zu und trinkt mittlerweile sein zweites Bier.

Der Film ist gerade zu Ende, als die Haustür aufgeht und meine Familie nach hause kommt. „Ach wer ist denn da, hallo Vincent", sagt meine Mutter und begrüßt Vincent herzlich.
„Wo wart ihr?"
„Kurz bei Oma und Opa, wir dachten dir tut Ruhe bestimmt mal gut"
„Ja, danke"
Ich lächle meine Mutter an, sie erwidert es geht dann aber wieder aus dem Wohnzimmer, damit wir noch den nächsten Film sehen können.

„Denkst du eigentlich oft an ihn?", fragt mich Vincent mitten beim zweiten Film. „Nur und du?" „Ich auch dauernd, ich kann es irgendwie immer noch nicht begreifen. Ich meine wir beide kennen ihn ja wirklich schon ewig und irgendwie fehlt etwas in unserer Clique. Er hatte immer irgendeine Idee und jetzt wirkt alles so leer"
„Das stimmt. Ich kann es auch nicht begreifen, in der Kiste stecken ganz viele Erinnerungen von uns aber ich schaffe es gar nicht mir alle dauernd anzusehen, das fällt mir nur noch schwerer. Auch Briefe von ihm zu lesen ist nicht leicht, dabei versucht er mir nur das Leben ohne ihn etwas zu erleichtern und er will, dass ich ihn verstehe, wieso er so gehandelt hat"
„Und verstehst du ihn?"
„Schon irgendwie... ich wüsste nicht wie ich gehandelt hätte an seiner Stelle"
„Das weiß ich auch nicht"
Wir schweigen kurz und gehen unseren eigenen Gedanken nach.
„Wir schaffen das schon", sagt Vincent und legt eine Hand auf meinen Arm. Wir lächeln uns kurz an, dann schauen wir den Film weiter.
„Ja, wir schaffen das... irgendwie", murmele ich und versuche mich auf den Rest des zweiten Films zu konzentrieren, was mir nicht mehr wirklich gelingt.

Gegen Abend verlässt Vincent wieder unser Haus und ich liege kurz darauf in meinem Zimmer auf meinem großen Bett.
Der Blick von mir fällt auf den Kuschelhasen, der auf einem Sessel liegt und mich mit den Knopfaugen ansieht. Ich muss kurz grinsen und denke an Vincents Worte. Irgendwie werden wir es schon schaffen. Gemeinsam werden wir den Verlust akzeptieren können... irgendwann.



In Liebe ... (boyxboy) (PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt