Kapitel 1 (Die alltäglichen Dinge)

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„Schlampe"

„Dreckslappen"

„Arschloch"

„One Direction Bitch"

„Ballermannbarbie"

„Pornosuchti"

„Zicke"

„Wixgeburt"

„Pennerin"

„Arschgeige"

„Fettgondol"

„Wixxerin"

Diese Wörter hallten noch in meinem Kopf, als ich mit zittrigen Fingern die Haustür aufschloss. „Bin wieder da!", rief ich und wusste sofort, dass es meiner Mutter wahrscheinlich reichlich egal war. Mit Tränen in den Augen wartete ich auf eine Antwort von ihr, aber es kam keine, obwohl sie auf dem Sofa lag und so tat, als sei ich unsichtbar. Ich seufzte leise, wischte mir die letzten Tränen weg und schlich in die Küche. Leise machte ich den Kühlschrank auf. Eine halb leere Packung Quark und eine Gurke. War ja nicht anders zu erwarten, dachte ich traurig und lief gekränkt die Treppe hoch in mein Zimmer. Oben angekommen schmiss ich mich auf mein Bett und starrte an die Decke. Mein Leben war einfach nur die Hölle! Wie lange sollte ich das hier noch aushalten? Ich kann nicht mehr! Meine Gedanken fuhren Achterbahn und ich konnte kein klaren Gedanken fassen.

Plötzlich tauchte eine Szene aus der Schule vor meinem innnern Augen auf. Janine und Jacqueline, besser bekannt als 'die Glipss', die tussigsten Mädchen meiner Schule, standen vor mir und lachten sich über mein Outfit kaputt. Jack und John warfen mir die ganze Zeit irgendwelche Schimpfwörter an den Kopf und Bill und Ben schubsten mich wie eine Marionette hin und her. Ich schüttelte mein Kopf. Ich wollte nicht über die schrecklichen Dinge, die tagtäglich passierten, nachdenken. Ich setzte mich langsam auf und sah aus dem Fenster. Mein Leben war einfach nur zum kotzen! Warum lebte ich dann noch? „Mann...Flo... hör auf über so was nachzudenken!", schimpfte ich mit mir selber. Wie oft hatte ich schon mit den Selbstmordgedanken gespielt? 10 mal? 100 mal? 1.000 mal? 1 Millionen mal? Ich seufzte. Ich will nicht sterben, aber was hält mich den bitteschön noch am Leben?

I'm Brokern... Do you hear me?...I'm blinded...", ertönte es genau in diesem Moment. „Wie passend!", murmelte ich und summte More than this mit, während ich mich auf die Suche nach meinem Handy machte. Als ich es gefunden hatte, nahm ich ab und war sofort todtraurig. Denn die Musik verstummte augenblicklich, als ich den grünen Knopf gedrückt hatte. „Hey...wer auch immer da ist...", murmelte ich lustlos in mein Handy. „Flo?! Alles okay? Hat deine Mutter wieder ein dummen Spruch abgelassen? Oder.. ach sag lieber gleich was los ist!", drang die besorgte Stimme meiner besten Freundin Selena an mein Ohr. „Ich hab an den Selbstmord gedacht!", gestand ich leise, nachdem ich erst gezögert hatte es ihr zusagen.

„An was?! Du willst mich verarschen oder? So schlimm war es doch noch nie... Süße... so kann das nicht weiter gehen!" „Und wie dann? Das ich One Direction mag weiß doch inzwischen die ganze Schule und... und...!" Ich brach ab und fing an zu weinen. „Shh... Süße... hör auf... shhh... alles wird gut... nicht weinen!", versuchte mich Sel zu trösten. „Das mit deiner Mutter wird schon wieder!" Sie klang echt verzweifelt. „Wie oft habe ich das auch gedacht? Verdammte Millionen mal! Millionen! Und das in den letzten 8 Jahren! Sie wird sich nie mehr ändern... nie!", rief ich in mein museumsreifes Handy.

Auf einmal hörte ich durch das Handy Kiss you zu mir durchdringen und ich wurde automatisch ruhiger. „Geht's wieder?", fragte Sel vorsichtig, nachdem sie wieder am Handy war. „Mhm!" Sel hält immer ihr Handy an ihre Anlage und spielt One Direction Musik ab, wenn ich mal wieder in nirgendwo von mir selbst bin und in irgendwelche Heulkrämpfe verfallen bin. Also im Klartext...wenn ich nicht mehr ansprechbar bin. Es hilft aber immer und ich komm durch die 1D Lieder immer richtig schnell zur Ruhe und singe leise mit. „Du solltest Sängerin werden!", meinte Sel, als ich leise Kiss you mitsang, das jetzt nur noch im Hintergrund lief.

Ich antwortete darauf nicht, sondern fragte, nachdem der Song vorbei war: „Habt ihr noch was zu essen? Ich sterbe gerade vor Hunger und ich hab keine Lust 30 Minuten bis zum nächsten Laden zufahren, wieder zurück und mir dann noch was zu kochen!" „Klar... Mama hat eh mal wieder zu viel gekocht. Sie wird sich freuen, wenn du uns mal wieder besuchen kommst!", sagte Sel. „Okay... bin gleich bei euch!" „Cool... beeil dich!" Dann war sie weg. Ich seufzte, legte mein Handy beiseite und ging ins Bad. Ein kurzer Blick in den Spiegel reichte, damit ich feststellen konnte, dass ich fürchterlich aussah. Ich hatte rot geschwollene Augen vom vielen Weinen. Ich war total blass und meine Haare waren auch schon wieder total fettig. Insgesamt sah ich auch total fertig aus.

Zitternd hielt ich an und stieg vom meinem klapprigen Fahrrad ab. Es blitzte über mir und es dauerte nicht lange bis es darauf auch donnerte, also war das Gewitter ziemlich nah. Ich sah in den Himmel. Er war dunkel grau und mir klatschten tausende von Regentropfen auf's Gesicht, die langsam meinen Rücken hinunterliefen. Ich bekam eine Gänsehaut unter dem kühlen Nass. Schnell schob ich mein Rad unter das Carport von Selenas Familie und machte mich auf den Weg zu Haustür.

Noch bevor ich klingeln konnte, wurde die Tür schon aufgerissen und Selena zog mich in eine innige lange Umarmung. „Komm! Du kannst dir trockne Klamotten von mir nehmen!", sagte sie und zog mich die Treppe hinauf in ihr Zimmer. „Du musst mir nichts leihen... Das geht schon so!", sagte ich schnell. Ich war es gewohnt ohne viel auszukommen... also auch mit wenigen Klamotten. „Du willst jetzt die ganze Zeit in den nassen Sachen herumlaufen?", fragte sie verwirrt und zog an meinem Shirt, das an meiner Haut klebte und ein komisches Geräusch erzeugte, als es sich von meinem Körper löste. „Nein, eigentlich nicht, aber ich will dir keine Umstände machen!" „Du immer mit deiner Bescheidenheit! Das macht mir doch keine Umstände! So... hier!", sagte Sel und drückte mir ein graue Jogginghose und ein kuscheligen Pullover in den Arm. „Du ziehst dich jetzt um, föhnst dir im Bad die Haare und kommst dann nach unten in die Küche. Ich mach dir schon mal was zu essen warm!"

Ich merkte, dass es kein Sinn hatte zu diskutieren und nickte deswegen einfach nur brav. Selena verschwand aus ihrem riesen Zimmer und ich hörte sie noch die Treppe hinunterspringen. Ich verharrte kurz, bis ich anfing in den nassen Klamotten zu zittern und ging dann in ihr eigenes Bad. Ihre Eltern verdienen recht gut und Sel ist ein Einzelkind, deswegen bekam sie immer alles, egal ob sie es wollte oder nicht. Ganz anders als ich.

Mein Vater war ein gut verdienender und erfolgreicher Musik Produzent, der inzwischen in Hollywood oder so lebte. Er hat sich vor genau 8 Jahren von meiner Mutter getrennt. Er ist einfach abgehauen. Hat mich einfach so im Stich gelassen... im Stich gelassen, bei meiner selbstverliebten Mutter. Sie kümmert sich null um mich, seit mein Vater eines Morgens einfach nicht mehr da war. Sie denkt nur an sich, verbringt Tage in irgendwelchen Wellens-Centern, geht fast täglich shoppen oder sitzt in ihrem eignen Beauty- Salon, der auch noch super läuft ohne das sie ein Finger dafür tuj muss. Wenn sie dann aber doch mal Zuhause ist, behandelt sie mich wie Luft oder schreit mich an, ich sollte mehr auf mein Aussehens achten, weil sie sich so für mich schämt. Im Haushalt macht sie gar nichts. Das muss alles ich machen und wenn ich nicht auch noch einkaufen gehen würde, wäre ich schon längst verhungert. Meine Mutter kocht nichts und gibt mir für Einkäufe kein Geld.

Sie gibt mir einfach gar nichts mehr.

Sie gibt mir keine Fürsorge mehr,

kein Vertrauen,

keine Liebe,

keine Geborgenheit... einfach nichts. Die Einkäufe bezahle ich von dem Geld, dass mein Vater monatlich als Unterhalt für mich an meine Mutter zahlt. Taschengeld bekomme ich ebenfalls nicht und kann mir wegen dem mängelden Geldes kaum Klamotten leisten, weil das meiste Geld für Lebensmittel, Putzzeug und Schulsachen drauf geht. Ich habe einfach keinen Ort mehr, an dem ich mich Wohl und Geborgen fühlen kann. In der Schule werde ich nur gemobbt. Zum ersten wegen mein alten verwaschenen Klamotten, zum zweiten wegen meiner Noten, die grotich schlecht sind und zu drittem, was eigentlich auch der Hauptgrund ist, wegen meiner abgöttischen Liebe zu One Diretcion. One Direction gibt mir neben Selena und Mister Magic die Kraft zum Leben und das Gefühl von Einzigartigkeit.

Mister Magic ist für mich so was ähnliches wie mein Pflegepferd. Er ist ein Rapphengst und ist einfach traumhaft. Seine Besitzer sind schon etwas älter und sind so freundlich, dass ich ihn ab und zu bewegen darf. Aber viel zu tun habe ich mit ihnen nicht. Das Reiten habe ich mir mit 10 selbst beigebracht und das ist inzwischen jetzt schon 7 Jahre her. Insgesamt fand ich mein Leben aber einfach nur Scheiße!


Glaub an deine Träume (N.H.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt